Würzburger Forscher kämpft gegen "getarntes Virus" : Warum es immer noch keinen Impfschutz gegen Aids gibt
Autor: Redaktion, Alice Natter
Kitzingen, Samstag, 29. Dezember 2018
Auch mehr als 40 Jahre nach Entdeckung des Erregers gibt es keinen wirksamen Impfschutz. Der Würzburger Forscher Carsten Scheller sieht dennoch "große Erfolge". Er erklärt, warum das HI-Virus so schwer zu erwischen ist - und wieso ihn die Nachricht über das "Designerbaby" entsetzte.
Der Würzburger Virologe Professor Carsten Scheller forscht seit über 20 Jahren am Human Immunodeficiency Virus, kurz HIV. Er begann Mitte der 1990er Jahre als Doktorand, als HIV ein sehr präsentes und drängendes Thema war. Anfang der 1980er Jahre war das Virus zum ersten Mal aufgetaucht. Und, sagt Scheller, "schnell wurde klar, dass es der Auslöser für eine der größten Virusepidemien sein würde, die wir kennen". Damals waren weder eine wirklich gute Therapie noch ein Impfstoff in Sicht. "Aus der Perspektive eines jungen Wissenschaftlers natürlich sehr spannend." Doch wie sieht der aktuelle Stand der Forschung aus? Nachfrage bei dem Virologen.
Aus Sicht des Wissenschaftlers: Was fasziniert Sie am HI-Virus?
Carsten Scheller: Die Faszination liegt ein bisschen in der Hartnäckigkeit des Virus, mit der wir es hier zu tun haben. Es ist so eine Art virologischer Endgegner. Anders als bei den meisten Virusinfektionen, die wir kennen, gibt es kaum jemanden, der in der Lage ist, die Infektion ohne Hilfe von Medikamenten zu überleben. Faszinierend dabei ist auch, dass dieser Kampf zwischen Virus und Immunsystem sich über Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte hinzieht, bevor er verloren wird. Wer sich mit HIV beschäftigt, muss deshalb auch zwangsläufig das Immunsystem erforschen, um zu verstehen, warum dieses Rennen so knapp, aber doch regelmäßig, verloren wird. Zum Glück haben wir heute ja eine Therapie zur Verfügung, die dafür sorgt, dass der Patient jetzt auf jeden Fall das Rennen gewinnt.Wie gut ist das Virus denn erforscht? Und was wissen Sie noch nicht?
Zum Thema: Aids-Forscher zerstören HI-Virus in Labor - Durchbruch in Kampf gegen Krankheit?
Was erforschen Sie selbst in Würzburg konkret?
In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir die Reaktion des Immunsystems auf das Virus. Wir beschäftigen uns mit der Frage, welche Immunantworten dazu geeignet sind, das Virus besser zu kontrollieren, und welche eher schlecht sind. Erstaunlicherweise geht nämlich ein ganz wesentlicher Mechanismus der Schädigung des Körpers vom Immunsystem selbst aus. HIV stammt ursprünglich von afrikanischen Affen. Deren Immunsystem geht mit der Infektion viel entspannter um als das menschliche. Diese Affen bekommen auch kein Aids, wenn sie sich mit dem Virus infizieren. Wir untersuchen aber auch die Frage, welche Eigenschaften Patienten haben, die in der Lage sind, das Virus selbstständig oder zumindest über einen sehr langen Zeitraum zu kontrollieren und ob sich aus diesen Erkenntnissen Hinweise auf die Impfstoff-Entwicklung ableiten lassen. Leider ist HIV aber sehr variabel, das Immunsystem läuft der Entwicklung des Virus meist hinterher.Wie schafft es das Virus, sich ständig zu verändern und "unsichtbar" zu machen?
Das liegt an der Fehlerhaftigkeit bei der Virusvermehrung. HIV ist nicht sehr gut darin, sein Erbgut fehlerfrei zu kopieren. Es hat gewissermaßen eine ziemlich ausgeprägte Rechtschreibschwäche, die Kopien von sich selbst sehen immer leicht anders aus als das Original. In der Tat ist diese Schreibschwäche derart stark ausgeprägt, dass fast jedes neu gebildete Virus etwas anders ist als das ursprüngliche Virus, das eine Zelle infiziert hat. Unser Immunsystem braucht etwa drei bis sechs Wochen, um sich auf einen Erreger komplett einzustellen, und in dieser Zeit ist HIV bereits wieder ein paar Schritte davongeeilt. Hinzu kommt, dass sich das Virus mit einer Schicht von Zuckermolekülen tarnt, wie sie der Körper selbst auch verwendet. Dadurch sieht es von außen betrachtet gar nicht wie ein Fremdkörper aus. Es wird für das Immunsystem dadurch gewissermaßen unsichtbar, genau wie Harry Potter unter seinem Tarnumhang - zumindest solange es sich außerhalb der Körperzellen im Blutplasma befindet.Magie wie bei Harry Potter? Heißt das: Ein wirksamer Impfschutz ist nicht in Sicht? War man zu optimistisch, was die Entwicklung betrifft?