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Würzburger Forscher erklärt, wie genial unser Hirn arbeitet - wenn wir nicht denken


Autor: Natalie Schalk

Bamberg, Donnerstag, 05. Mai 2016

Beim Sport ist das Gehirn mehr gefordert als beim Schach. Psychologe Oliver Herbort erforscht die erstaunliche Fähigkeit zielgerichteter Bewegung.
Schon beim Lesen und Kaffeetrinken entspricht der Informationsfluss in unserem Körper der Rechenleistung eines Supercomputers - die Bewegungen beim Sport hinzubekommen, ist eine erstaunliche Fähigkeit.


Während Sie mühelos begreifen, worum es in diesem Text geht, muss Ihr Hirn eine Menge leisten: die vom Auge gemeldeten Seh-Reize erfassen, in Buchstaben übersetzen, zu Wörtern, Sätzen und einem Sinn kombinieren. Dabei unzählige Bauch-, Rücken- und Nackenmuskeln so ansprechen, dass der Kopf sich im optimalen Blickwinkel zum Bildschirm neigt. Vielleicht trinken Sie beim Lesen einen Schluck Kaffee? "Versuchen Sie mal, sich zu merken, welche Positionen der Arm einnimmt, wenn Sie die Tasse greifen!" Oliver Herbort zählt auf: Oberarm mit dem Schultergelenk heben, nach vorn, drehen, Ellbogen anwinkeln, ausstrecken, Hand drehen, die einzelnen Glieder der Finger um die Tasse schließen - ein Dutzend Gelenkstellugen bei mehr als 40 Muskeln im Arm und noch mehr Sehnen.
"Würde man versuchen, die Bewegung bewusst zu steuern, wäre das Arbeitsgedächtnis schnell überfordert und man wüsste mitten in der Bewegung nicht, wie es weitergeht. Mehr als etwa sieben Informationsbröckchen passen nicht in unser Arbeitsgedächtnis", erklärt Herbort. An der Universität Würzburg forscht und lehrt er am Lehrstuhl für Kognitive Psychologie. Mit Experimenten und Computermodellen simuliert er, wie der Mensch zielgerichtete Bewegungen steuert.


Gehirn auf Autopilot

Schon beim Lesen und Kaffeetrinken entspricht der Informationsfluss in unserem Körper der Rechenleistung eines Supercomputers. Nicht schlecht. Aber nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was unser Hirn rechnet, wenn wir Sport machen. "Bei Bewegungen muss man Prozesse ausführen, die viel komplexer sind als bei einem Schachspiel. Das merkt man nur nicht, weil das Gehirn auf Autopilot läuft."


Das Kleinhirn ist der Co-Prozessor im Supercomputer Gehirn

Das Großhirn definiert ein Ziel, also die grobe Richtung einer Bewegung. Das Kleinhirn ist der Co-Prozessor, der genau feinjustiert, wie für diese Bewegung die Muskeln angesprochen werden müssen. Das Gehirn sei darauf hochspezialisiert. "Es hat sich entwickelt, um den Körper gut bewegen zu können - nicht dafür, dass wir gut Schach spielen oder rechnen können. Das sind gewissermaßen Zweckentfremdungen." Bei Aufgaben, die wir als Ziel des Intellekts ansehen, sind Herbort zufolge Computer dem Menschen immer voraus. Aber wenn es darum geht, eine Tasse zu greifen oder einen Ball zu spielen, macht dem Menschen keiner was vor. "Roboter haben viel gelernt. Aber sie sind immer noch ganz schlecht, wenn es um ganz einfache Bewegungen geht." Er spricht vom Robo-Cup, der Roboterfußball-WM. "Die Roboter können den Ball oft nicht kontrolliert passen, fallen einfach um - obwohl die schlauesten Leute daran arbeiten, ist es einfach total schwer."


Blitzschnelle Problemlösung erforderlich

Ein menschlicher Fußballer hingegen löst mehrere komplexe Probleme gleichzeitig. Der Mensch entscheidet blitzschnell, wie weit ein Objekt, also beispielsweise ein Fußball wohl entfernt ist. Wie schwer, wie schnell und in welchem Winkel bewegt er sich? Ist er nass, ist es windig, beeinflusst die Umwelt sonstwie das Verhalten des Balles? Wo steht die gegnerische Mannschaft? Wie schnell und wohin bewegt die sich jetzt? Was machen die als nächstes? Wo sind die eigenen Leute? Wie sind die Laufwege von 22 Personen auf dem Platz? In nur einem Augenblick nimmt der Mensch unbewusst all diese Fragen als Basis der Entscheidung, wie er den Fuß ausfährt, das Bein streckt - und "Toooor" brüllt. Und wenn er sich verschätzt hat, speichert das Hirn diese Erfahrung ab. "Das Hirn passt sich die ganze Zeit an neue Gegebenheiten an", erklärt Herbort.
Er selbst kennt diese Erfahrung aus seiner Freizeit, wenn er Ultimate Frisbee spielt. Wenn es nass ist, rutscht die Scheibe beim Werfen oft etwas zu früh aus der Hand. "Sie fliegt zu weit nach rechts. Wenn ich drei Meter zu weit nach links ziele, funktioniert das - am Anfang. Das Gehirn erkennt nach einiger Zeit, dass die Scheibe nass ist und andere Flugeigenschaften hat als gewohnt. Es korrigiert den Bewegungsablauf automatisch. Wenn ich dann zu weit nach links ziele, fliegt die Scheibe auch dorthin."


Bloß nicht nachdenken!

Am genialsten funktioniert unser Gehirn, wenn wir es einfach arbeiten lassen. Ohne zu denken. "Oft ist es so, dass man eine Bewegung nicht mehr ausführen kann, wenn man sich zu sehr darauf konzentriert, wenn man zuviel überlegt." Herbort berichtet von einem Experiment mit Golf-Experten. Die eine Gruppe sollte beim Spiel auf ihren Arm achten. Die anderen sollten sich auf den Schläger konzentrieren - ihre Treffsicherheit war deutlich besser als bei denjenigen, die sich auf die Bewegung konzentrierten.


Der Mensch als Informationsverarbeitungs-Maschine

Es geht um eine extreme Masse an Informationen, die extrem schnell und effektiv verarbeitet wird. Die Anforderungen sind bei den verschiedenen Sportarten recht unterschiedlich. "Bei Ballsportarten entsteht die Komplexität in der Spielsituation. Das spielt beim Golf keine große Rolle, dafür sind hier die Anforderungen an die Präzision höher." Solche komplexen Anforderungen halten die Steuerzentrale des Menschen auf Trab: Das Hirn bleibt fit. "Studien mit älteren Leuten, die sich regelmäßig bewegen, zeigen, dass die mental länger fit bleiben." Experimente sprechen außerdem dafür, dass sich die Gehirnaktivität bei Bewegung so verändert, dass der Kopf frei wird und die Konzentration und Leistungsfähigkeit steigt. Hilft also auch bei Schach und Rechnen.