Druckartikel: Wladimir Kaminer und die "spontane Vegetation"

Wladimir Kaminer und die "spontane Vegetation"


Autor: Corina Erk

Bamberg, Sonntag, 27. Januar 2013

Wladimir Kaminer plaudert im E.T.A.-Hoffmann-Theater über seine pubertierenden Kinder, den russischen Onkel auf Weltreise und Schrebergärten in Brandenburg.
Wladimir Kaminer bei seiner Lesung im E.T.A.-Hoffmann-Theater. Fotos: Michael Gründel


Deutsch-Russe oder doch Russland-Deutscher? So recht lässt sich Wladimir Kaminer nicht einordnen. Im Grunde will er das aber auch gar nicht. Erklärtes Ziel des 45-Jährigen ist die Völkerverständigung zwischen Russen, Deutschen und dem Rest der Welt.

Dieses Ziel verfolgt Kaminer bei seiner Lesung im Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater mit einfachen Mitteln: eine Stehlampe mit 60er Jahre-Charme und vergilbtem Schirm, ein Bistrotisch mit klischeehafter roter Tischdecke, darauf ein Rotweinglas, natürlich, und einen kleinen Stapel abgegriffener Blätter, aus denen Kaminer immer mal wieder einen herausfischt, um alte und neue Geschichten aus seinem Alltag mit ironischem Unterton und einem schalkhaften Lächeln auf den Lippen vorzutragen.

Im voll besetzten Theatersaal plaudert der Autor knapp zwei Stunden aus dem Nähkästchen seines Familienlebens. Das Publikum unterhält er auf nonchalante Art und Weise mit den Facebook-Party-Geschichten seiner pubertierenden Kinder, Anekdoten über nächtliche Streifzüge durch seine Heimatstadt Berlin mit Onkel Wanja aus Russland, der, bevor er stirbt, noch einmal die Welt bereisen will, und Episoden aus seinem Leben als Schrebergärtner, bei dem er sich mit Problemen mit "spontaner Vegetation" konfrontiert sieht. Das ansonsten einwandfreie Deutsch des Autors ist mit einem charmanten russischen Akzent eingefärbt.

Kaminers Sichtweise auf seine russische Vergangenheit und seine deutschen Gegenwart, seine Art, zwischenmenschliche Beziehungen der sich nicht immer wohlgesonnenen Völker mit einem Augenzwinkern zu betrachten, hat ihn über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gemacht.

Geboren 1967 in Moskau zu Zeiten der Sowjetunion, tourt der deutsche Schriftsteller und Kolumnist russisch-jüdischer Herkunft von seiner Wohnung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg mittlerweile um die ganze Welt. In diesem Jahr etwa wird er Deutschland auf der Buchmesse in Brasilien vertreten, "Russendisco" im Gepäck als "deutschen Kulturexport."

Sein erster Erzählband, "Russendisco" aus dem Jahr 2000, brachte Kaminer einige Aufmerksamkeit ein. Selbstironisch berichtet der Autor darin von seiner Emigration aus Russland, seinen Berliner Anfangsjahren und den Schwierigkeiten, die russische Einwanderer mit der Integration in die für sie fremde deutsche Kultur und Gesellschaft haben. Spätestens mit der gleichnamigen Verfilmung für die Kinoleinwand - Matthias Schweighöfer spielt darin die Hauptrolle - wurde Kaminer republikweit bekannt. Es folgten etliche weitere Erzählbände, darunter Titel wie "Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus" (2006) oder "Es gab keinen Sex im Sozialismus" (2009).

Vor drei Jahren war der Sohn einer Lehrerin und eines Betriebswirts, der am Theaterinstitut von Moskau Dramaturgie studierte, bevor er 1990 in der DDR Asyl suchte, schon einmal zu einer Lesung in Bamberg. Und auch diesmal ist Kaminers Auftritt in Bamberg angenehm entspannt und unprätentiös: Aus dem Orchestergraben fährt er per Hebebühne nach oben, selbst überrascht, dass dieser kleine Effekt schon ausreicht, um das Publikum - von Studenten über Paare um die 40 bis hin zur Mutter mit ihrem Sohn haben sie sich eingefunden, um Kaminer zu lauschen - zum Lachen zu bringen. Vieles an Kaminers Auftritt ist spontan. Ein festes Programm verfolgt er nicht, sondern kramt mal diese, mal jene Geschichte aus dem Haufen abgegriffener Zettel hervor. Dazwischen unterbricht er sich immer wieder selbst, um zu seinem aktuellen Lieblingsthema zurückzukehren, seinen beiden pubertierenden Kindern.

Das ist dann zwar nicht immer große Literatur, denn Kaminer arbeitet sich an altbekannten Klischees ab: den trinkenden Russen, die ordnungsliebenden Deutschen. Auch dürfte der Kolumnist gerne etwas politischer sein. Bis auf den "Zwischenpräsidenten" Medwedew und einen Seitenblick aus Pussy Riot lässt Kaminer die Realpolitik außen vor. Gute Unterhaltung ist es dennoch. Und vielleicht trägt es auch ein wenig zur Völkerverständigung bei, denn die Pubertät ist ja schließlich kein exklusiv deutsches oder russisches Phänomen. Damit hätte Kaminer also sein Ziel erreicht.