Wie "Kultur für alle" in Bamberg funktionieren kann
Autor: Michael Memmel
Bamberg, Sonntag, 17. März 2019
Die Lebenshilfe baut ein Haus zur Kulturfabrik für Künstler mit und ohne Handicap um - ein bundesweit einmaliges Projekt.
Die ersten Reaktionen sind euphorisch: "Sie haben uns ein wunderbares Geschenk gemacht", "sensationell", "eine gewaltige Energie" und "es hat wirklich mein Herz berührt", hieß es. Umso bemerkenswerter sind diese Aussagen da sie von einer Menschengruppe stammen, die nicht unbedingt für emotionale Ausbrüche bekannt sind: Politiker. Doch Barbara Stamm (CSU), Landtagspräsidentin a. D. und Landesvorsitzende der Lebenshilfe, MdB Andreas Schwarz (SPD), MdL Ursula Sowa und MdB Lisa Badum (beide Bündnis 90/Die Grünen) waren ebenso ergriffen wie die übrigen 100 Gäste, die in der Stunde zuvor das Tanzensemble "Wackelkontakt" und die Percussion-Gruppe "Hörsturz" in Aktion erlebt hatten.
Eröffnung am 7. November
Die rund 30-köpfige Gruppe aus Tänzern und Musikern hatte am Freitagabend in der alten Seilerei für noch skeptische Zuschauer eindrucksvoll die Frage beantwortet: Warum braucht Bamberg ein Haus für inklusive Kultur? Denn genau ein solches Haus entsteht als Leuchtturmprojekt unter dem Namen Kulturfabrik "Kufa" ("Kultur für alle") aktuell in der Ohmstraße 3 und soll dort am 7. November offiziell eröffnet werden.
Mit der Darbietung des eigenen Stücks "Geächtet" boten "Wackelkontakt" (Leitung Laura Schabacker) und "Hörsturz" (Leitung Philipp Zeitler) eine Parabel zur Bedeutung von Inklusion - angelehnt an die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten. Hahn, Hund, Katze und Esel werden von der gleichförmigen Gesellschaft ausgeschlossen, stützen sich bald aber gegenseitig, ohne ihre Eigenheiten aufzugeben. Am Ende gelingt es ihnen gar, ihre Individualität mit der Gesellschaft zu versöhnen - über die Musik und den Tanz. Sie sind nicht mehr geächtet, sondern geachtet.
Jeder mit eigenen Fähigkeiten
Das Stück berührt nicht in erster Linie wegen seiner ergreifenden Percussion-Begleitung - mal mit ekstatischer Marschmusik, mal mit leisem Vogelzwitschern - und seinen natürlichen Tanzeinlagen, sondern vor allem weil die Akteure auf einer Metaebene das Dargestellte verstärken. Die Künstler mit und ohne Handicap haben alle besondere Fähigkeiten und bringen diese mit Gewinn ein - wie der entfesselt trommelnde Dennis Wolter oder die ganz bei sich und glücklich tanzende Hannah Bezold. Und so kann jeder Zuschauer schnell nachempfinden, wie erfüllend und verbindend Kunst und Kultur hier wirkt.
Mit dem Zitat von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker "Es ist normal, verschieden zu sein" hatte Schirmherrin und Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) bereits vor der Aufführung eine wesentliche Aussage vorweggenommen. Für sie bedeutet das: "Inklusion kann nur gelingen, wenn wir nicht aufeinander schauen, sondern miteinander tun."
Haus der künstlerischen Vielfalt
Genau darauf zielt das Lebenshilfe-Projekt "Kufa" ab. Für am Ende wohl 1,4 Millionen Euro (geplant waren ursprünglich 1,2 Millionen) wird gerade das ehemalige Betriebsgebäude von "Farben Gnatz" in der Ohmstraße zu einem Haus der künstlerischen Vielfalt umgebaut. Die Bamberger Lebenshilfe ist damit nach dem bundesweit beachteten und schon von vielen anderen Städten aufgegriffenen Konzept "Integra Mensch" erneut Vorreiter bei einer neuen inklusiven Idee, wie Vorsitzender Klaus Gallenz stolz betont.
Es entsteht ein barrierefreier Theater- und Veranstaltungssaal, Musik- und Bandprobenräume, Mehrzweckräume für Workshops und ein Kunstatelier. Projektleiter Harald Rink betont, dass es einerseits ein "Veranstaltungsort für inklusive Kunst- und Kulturprojekte sein wird", die in vielerlei Gruppen seit dem Start der "Inklusiven Kulturwerkstatt" im Juni 2014 entstanden sind, andererseits aber auch "der freien Kulturszene für Auftrittsmöglichkeiten zur Verfügung steht".