Druckartikel: Wie der Zahnstocher zum Schiff wird

Wie der Zahnstocher zum Schiff wird


Autor: Manuel Stark

Bamberg, Dienstag, 20. Oktober 2015

Rund hundert Arbeitsstunden investiert Jochen Lupprian in seine ausgefallenen Modelle. Der Bamberger Student kommt mit seinem Hobby zur Ruhe - und zu nicht alltäglichen Geschenken.
Jochen Lupprian arbeitet mal wieder gerade an einem Modell - was ihm offensichtlich großen Spaß macht. Foto: Manuel Stark


Eine Kirche, eine Moschee, eine alte Tempelanlage. Jochen Lupprian hat das alles bereits gebaut. Völlig im Alleingang. Mit Zahnstochern. Etwa drei Mal in der Woche sitzt der 25-jährige Bamberger Student an seinen Modellen, jedes Mal nimmt er sich etwa fünf Stunden Zeit, um zu basteln.

"Manchmal denkt man sich schon, jetzt mag ich nicht mehr. Vor allem dann, wenn man Rückschläge hinnehmen muss", erzählt er. "Aber dann versuche ich es einfach nochmal. So lange bis es klappt." Und das kann dauern. Rund 100 Arbeitsstunden investiert er pro Modell. Aber hartnäckig zu sein, das ist unerlässlich in seinem Hobby. Und es lohnt sich: Vor ihm stehen auf einem Biertisch eine kleine Kirche, mehrere Schiffe, eine Inka-Tempelanlage und eine stabile Brücke mitsamt Moschee.

Jedes einzelne Detail ist fein herausgearbeitet. "Mir sind Einzelheiten sehr wichtig", sagt Jochen und nimmt das Dach der Kirche ab, um den Blick auf das Innenleben des Miniaturgebäudes frei zu geben. Dort sind an der Wand sowohl eine winzige Orgel, als auch Bänke, eine Treppe und ein Hochaltar befestigt. Alles aus dem Holz hunderter Zahnstocher gearbeitet. Jochen schiebt die Kirche zur Seite und nimmt eines seiner Schiffe zu Hand. Die Takelage hat er mit einem schwarzen Faden geflochten, alles andere ist wieder nur aus Zahnstochern. Steuerrad, Reling, Planke, Rumpf, Anker, alles ist aus dem selben Material.

"Das Geheimnis liegt im Pressen", sagt Jochen, legt beispielhaft einen unbearbeiteten Zahnstocher zwischen eine Zange und drückt zu. "Je nachdem wie oft ich drücke, werden die Zahnstocher mehr oder eben weniger flach und biegsam", erklärt er. Auf diese Weise schafft er es, winzige Kreuze für eine Heiligenstatue oder auch ein Geländer für den Ausguck eines seiner Schiffe zu formen. "Von der funktionsfähigen Ankerwinde und dem Steuerrad, das beim Drehen auch das Ruder schwingen lässt, bis zur Wendeltreppe durch den Turm einer dreistöckigen Moschee, bei mir sind Details ein Muss", erzählt er.

Wirklich zufrieden ist der Bastler nie. Vor etwa zwei Jahren hat er sein erstes Modell gebaut. Seitdem sollte es immer größer, detailgetreuer und stabiler werden. "Es ist schon manchmal echt nervig, aber ich will eben immer noch Eins drauf setzen", sagt Jochen. Trotzdem ist es für ihn jedes Mal wieder aufs Neue eine tiefe Entspannung, wenn er sich zum Basteln hinsetzt. "Ich kann runterkommen, das ist einfach schön", sagt er. Auch wenn man einmal noch kein Geschenk habe, sei ein solches Hobby sehr praktisch. Einmal habe er zu diesem Zweck das originalgetreue Fußballstadion von Borussia Dortmund auf der Grundfläche eines Bierfilzes nachgebaut und verschenkt. Einen jeden Sitz in den Sitzreihen nachzubauen, das sei anstrengend gewesen.

Doch wie kommt man auf ein Hobby, in das man hunderte von Arbeitsstunden investiert, völlig ohne Entlohnung oder erkennbaren Nutzen für die Zukunft? Es fing alles mit einem langweiligen Abend an, erzählt Jochen. Wie viele Altersgenossen endete er vor dem Computerbildschirm und begann planlos nach einem Zeitvertreib zu googlen. "Dann hab ich ein Bild von einem Bastelmodell gesehen und hab einfach mal angefangen. Zuerst mit Lego, dann mit kleinen Fertigmodellen und schließlich bin ich selbst auf die Idee mit den Zahnstochern gekommen." Das sei wesentlich günstiger, als die Modelle aus irgendwelchen Baukästen nachzubasteln. Unter 20 Euro Materialkosten hat Jochen pro Kunstwerk. Das Geld braucht er für zwei Packungen mit je 500 Zahnstochern und den Bastelkleber. Stift und Papier rechnet er nicht mit in seine Kostenkalkulation ein. Zwar zeichnet er vor jedem Bau mehrere Stunden lang die Grundrisse und Seitenansichten des Gebäudes, aber das Material nutze sich ja nicht so schnell ab, meint Jochen.


Funktionalität und Ästhetik

"Oft ändert sich das Modell während des Baus sowieso noch. Ich halte mich fast nie völlig an die Skizzen, sondern richte mein Augenmerk mehr auf Funktionalität, aber auch auf Ästhetik." Gebaut sieht eben dennoch anders aus, als gezeichnet. Und zudem soll es ja nicht nur schön, sondern auch besonders stabil sein. "Mit etwas Wackligem, das kaum was aushält, kann ich nichts anfangen. Ich baue maßstabsgetreu, ein Zahnstocher entspricht einem Meter. Also sollen meine Bauten dann auch ein wenig mehr aushalten als einen leichten Stups mit dem Finger." Das bedeutet manchmal aber auch, Geduld zu beweisen und die eine oder andere Idee nochmal auf ihre Funktionalität hin zu überdenken.

Bei seinen Modellen hat Jochen Lupprian diese Geduld. Bei den anderen Dingen im Leben fehlt sie ihm völlig. Gerade wenn es um technische Fragen geht, sei er unausstehlich, erzählt er und lacht: "Wenn ich an einer Hausarbeit sitze und irgendetwas am PC funktioniert nicht, dann möchte man wirklich nicht mit mir im selben Raum sitzen. Dann drehe ich völlig durch."