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Wie aus einer anderen Zeit: Bambergs letzte Eisengießerei


Autor: Sabine Christofzik

Bamberg, Dienstag, 18. April 2017

Dennoch arbeitet die Firma Joseph Müller modern und so energiesparend wie möglich. (MIT VIDEO)
Höchste Konzentration ist unabdingbar beim Umgang mit dem 1500 Grad heißen Gusseisen. Foto: Ronald Rinklef


Stinkt so kochender Urin? Man denkt, man hält es locker eine Weile aus, doch dann fängt der Husten an. "Das, was beißend riecht, ist verdampfender Harnstoff und die Flammen sind brennender Alkohol", hatte Stefan Müller vorher erklärt.

Beides steigt aus den mit schwarzem Sand gefüllten Formkästen auf, in deren Einfüllöffnungen gerade glühendes, 1500 Grad heißes Eisen geflossen ist. Zwei je 14 Zentner schwere Absperrtore für Öfen in Müllverbrennungsanlagen und viele verschiedene kleinere Gusstücke, darunter "Beine" für Bierbänke und -tische, entstehen auf diese Weise.

Für den Chef und seine Mitarbeiter sind Geruch und Hitze Alltag. "Mindestens fünf Eisengießereien hat es mal in Bamberg gegeben", sagt Stefan Müller. "Wir sind die letzte, die übriggeblieben ist."

Wer das Gelände der Maschinenfabrik und Eisengießerei Joseph Müller in der Hallstadter Straße betritt, glaubt sich in eine andere Zeit versetzt. Hundert Jahre zurück. Mindestens. Dennoch wird hier so modern gearbeitet, dass das Unternehmen im 21. Jahrhundert im Wettbewerb besteht. Auf dem Portalkran in der Gießhalle weist ein Schild das Baujahr aus: 1935. "Der leistet sehr gute Dienste. Er ist robust und man kann ihn noch selbst reparieren".

Auch einige andere Maschinen und Vorrichtungen fallen unter die Rubrik "Oldtimer". "Der Großvater hat, immer wenn eine andere Gießerei zugemacht hat, alles aufgekauft, was er brauchen konnte."


In fünfter Generation

Der 60-Jährige führt den Betrieb in fünfter Generation. Die erste Betriebsstätte der 1855 von Joseph Müller gegründeten Maschinenbaufirma befand sich im Haingebiet (Am Zwinger). 1878 entstand die Gießerei am heutigen Standort in der Hallstadter Straße.

Stefan Müller erinnert sich an die Zeit, als Vater und Onkel die Firma gemeinsam leiteten. "In der Nachkriegszeit, und später auch noch, musste sie die Großeltern, die Familie des Onkels, meine Eltern und uns fünf Kinder ernähren. Bis in die 80er-Jahre wurde kaum etwas investiert.

Dann hat uns die TA Luft viel abverlangt. Rund eine Million Mark haben wir reingesteckt, um die Vorgaben dieser Vorschriften zum Bundes-Immissionsschutzgesetz einzuhalten. Später hat sich herausgestellt, dass gar nicht alles für einen Betrieb dieser Größe notwendig gewesen wäre.

Doch im Nachhinein betrachtet war es ein Glücksfall. Wir arbeiten nun mit technischen Voraussetzungen, die Energie- und Materialverbrauch sowie die Umwelt schonen. Unsere Recyclingquote liegt bei 93 Prozent."


160 Liter Öl für eine Schmelze

Koks kommt nicht mehr zum Einsatz. Schwefelarmes Heizöl und reiner Sauerstoff bringen im 1,8 Tonnen fassenden Drehtrommelofen das Schmelzgut in eineinhalb bis zwei Stunden von Umgebungstemperatur auf 1500 Grad. Für eine Schmelze werden 160 Liter Öl benötigt.

Befüllt wird der Ofen mit 30 Prozent Roheisen in Form von handgroßen Brocken, 35 Prozent Schrott (zum Beispiel alte Kanaldeckel) und 35 Prozent Kreislaufmaterial. Letzteres sind in den Zu- und Ablaufröhren der Formen erstarrtes Gussmaterial sowie Ausschuss-Gussstücke. Für Bronze- und Aluminiumguss gibt es separate, ölbeheizte Öfen.


Formsand wird aufbereitet

Zwischen einem und zehn Tagen kühlen die Gussteile in der Form ab, bevor sie mit Stahlkörnern beschossen werden, um Formsandreste zu beseitigen und die Oberfläche zu glätten. Anschließend werden die Grate weggeschliffen.

Das Material in den Formkästen war früher Tonmehl und Wasser. Heute findet in der Eisengießerei Müller eine Mischung aus Sand, Harnstoff und Alkohol Verwendung (Furanharzverfahren). "Der Vorteil ist, dass man den Sand nahezu komplett wiederverwenden kann. Man bereitet ihn auf, indem man die festgewordene Masse zerreibt und dann siebt", erläutert Stefan Müller.

Zwölf Mitarbeiter hat die Firma zurzeit. Und sie würde auch Gießerei-Mechaniker ausbilden, wenn denn Lehrlinge zu bekommen wären...

Etwa die Hälfte dessen, was in der Hallstadter Straße 46 hergestellt wird, sind Aufträge für große Gießereien, für die sich die Herstellung kleinerer Stückzahlen nicht lohnen würde. Und bei denen es aufs Handwerkliche ankommt. Auch Künstler lassen hier arbeiten.


Vieles geht in alle Welt

Wer sich von Stefan Müller durch die Hallen und über das Gelände führen lässt, gewinnt den Eindruck, dass hier so ziemlich alles gegossen wird, was gegossen werden kann: Zylinderköpfe für Harley-Motorräder, Zaunspitzen (nach Denkmalschutzvorgaben), Turbinenwellen, Teile für Schleusentore, Rinnen für die Glasproduktion, Formteile für Trompetentrichter.

"Vieles geht tatsächlich in alle Welt - das meiste nach der Weiterverarbeitung durch andere Firmen", sagt Stefan Müller. In Schiffswinden verbaute Guss-Teile aus Bamberg kommen ab und zu sogar mal wieder vorbei in der Stadt: auf Binnenschiffen, die auf den Wasserstraßen Europas unterwegs sind.

Auch ungewöhnliche Bestellungen sind gelegentlich dabei. So orderte ein Geschäftsmann einst Stiefelknechte als Werbegeschenke: in Form einer leicht bekleideten Dame. Aschenbecher für die Bamberger Gaststätte Pelikan (die aussehen, wie der namensgebende Wasservogels) wurden auch schon angefertigt.


Als Foto-Location beliebt

Weil die alten Betriebsgebäude einen ganz speziellen Charme haben, werden sie gelegentlich von Fotografen gebucht, die vor den alten Maschinen ihre Modells in Szene setzten. Auch eine Hochzeitsfeier und Film-Dreharbeiten fanden dort schon statt: Zuletzt im Oktober 2016 für das Forchheimer Jugendfilm-Projekt "Dylan Papermoon", für das sich auch Filmproduzent Charles Matthau, Sohn des bekannten US-Filmschauspielers Walter Matthau, engagierte.

Die Arbeitsatmosphäre vor dem und beim Gießen ist eine besondere. Niemand rennt herum, es wird nicht laut geredet oder gerufen. "Vor dem Gießen muss man runterfahren." Wenn Stefan Müller das sagt, meint er es überhaupt nicht scherzhaft. "Die Leute sollen zur Ruhe kommen. Es ist eine Aufgabe, die viel Konzentration erfordert. Wer hektisch ist, dem können Fehler unterlaufen. Und Fehler würden sich, bei dem was wir hier tun, unter Umständen zur großen Gefahr entwickeln. Deshalb machen wir vorher eine Pause, in der alle sich sammeln können."

Ist auch der nächste Tag ein Gieß-Tag, wird der Schmelzofen am Ende der Arbeitsschicht neu befüllt. Bei einer Restwärme von 500 bis 600 Grad.


Aus der Firmengeschichte


Joseph Müller beginnt 1855 mit der Fabrikation hydraulischer Instrumente und Maschinen "Am Zwinger" in Bamberg.

Nach einer Beteiligung an der ersten Bamberger Gießerei Stauch & Co. richtet er 1878 am heutigen Standort Hallstadter Straße eine eigene Gießerei ein. "Am Zwinger" wird die Maschinenfabrik weiter ausgebaut. Sie hat in Mitteleuropa einen guten Namen als spezialisiertes Unternehmen für die technische Einrichtung von Hopfenmagazinen.

Joseph Müllers Enkel Bernhard vereinigt 1929 beide Betriebe in den Gebäuden an der Hallstadter Straße und baut eine größere Maschinenhalle. Fabriziert werden nun Hopfenverarbeitungsmaschinen, Turbinen und Spezialanlagen für Sägewerke. 1930 sind 40 Arbeiter im Unternehmen beschäftigt. Die nachfolgenden Jahre stehen im Zeichen der wirtschaftlichen Krise und erfordern vorübergehend Entlassungen.

Nach Beseitigung der Kriegsschäden wird die 1948 die Gießereihalle vergrößert. Auch die Söhne von Bernhard Müller, Josef und Bernhard jun., arbeiten im Betrieb mit. 1995 übernimmt Josefs Sohn Stefan Müller die Maschinenfabrik mit der Eisengießerei. Es stehen umfangreiche Neuerungen im Schmelzbetrieb an.