Warum Bungee-Jumping nicht mutig ist und wie wir in Extremsituationen mutiger werden können, erklärt Sozialpsychologe Christian Leder im Interview.
Was ist Mut überhaupt? Gibt es einen Unterschied zur Courage? Und können wir daran arbeiten, mutiger zu werden? Gar nicht leicht zu beantworten, weiß Christian Leder, Sozialpsychologe an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Warum gibt es so viel Forschung zum Thema Angst, aber so wenig zu Mut? Und was ist Mut aus psychologischer Sicht?
Johannes Leder: Ein bisschen Forschung gibt es schon, es ist aber eher ein modernes Thema. Das Problem ist die Definition. In der Philosophie gibt es zwei Sichtweisen. Aristoteles definiert Mut als Tapferkeit, vor allem im Kampf. Also Soldaten, die trotz Pfeilhagels auf eine Festung zustürmen. Thomas von Aquin hat diese Definition hinterfragt, denn sonst könnte ein mutiger Mensch auch teuflische Dinge tun. Ihm war eine moralische Komponente wichtig. Das ist in der Psychologie ähnlich: Wir definieren Mut als die Bereitschaft, Handlungen auszuführen, die für den Handelnden negative Konsequenzen haben können, um ein höheres Ziel zu erreichen. Bungee-Jumping gilt nach dieser Definition nicht als mutig.
Zudem unterscheidet die Psychologie zwischen spontanem Mut, also etwa dem Retten einer Person aus einem brennenden Haus, und einer längerfristigen, durchdachten Entscheidung zu prosozialem Handeln trotz ständigem Risiko. Also etwa, wenn man sich dazu entschließt, "Ärzte ohne Grenzen" beizutreten.
Welche Unterschiede gibt es?
Man hat herausgefunden, dass Persönlichkeit und Moralvorstellungen bei Spontansituationen kaum eine Rolle spielen. Wie man sich in einer Extremsituation verhält, ist sehr schwierig vorherzusagen. Studien haben gezeigt, dass sich Menschen diesbezüglich oft nicht einmal selbst richtig einschätzen können. Bei längerfristigen Risikoentscheidungen spielen Persönlichkeit und Moralvorstellung hingegen eine wichtige Rolle. Also zum Beispiel Menschen, die während der Nazi-Herrschaft Juden versteckt haben. Persönliche Werte sind auch bei der Risikobereitschaft wichtig. Bei einer unserer Studien hatten die Testpersonen die Wahl, etwa 2,50 Euro zu bekommen oder eine Münze zu werfen. Beim Wurf kann die Person vier Euro oder gar nichts bekommen, eine dritte Person bekommt aber einen Euro, wenn sich die Testperson dazu entscheidet, die Münze zu werfen. Menschen, die sich selbst als altruistisch betrachten, werfen häufiger die Münze.
Kann man Mutigsein trainieren?
Nach dem derzeitigen Forschungsstand sollte es zumindest möglich sein, sich in die Richtung von etwas zu entwickeln, das wir Mut nennen. Man hat festgestellt, dass Wissen und Fähigkeiten spontanes mutiges Handeln begünstigen: Wer sich gut mit Erster Hilfe auskennt, wird eher zum Ersthelfer. Das heißt aber noch nicht, dass er auch eher in ein brennendes Haus geht. Grundsätzlich hilft die Selbstregulation von Emotionen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn man sich nicht so sehr auf die eigenen Ängste konzentriert, kann man sich eher um andere kümmern. Und das lässt sich zumindest ein Stück weit trainieren.
Hat Mut immer auch mit der Abwesenheit von Angst zu tun?
Nein, das sollte unabhängig sein. Es gibt auch ängstliche Menschen, die spontan Mut zeigen. Etwa klaustrophobische Personen, die sich in eine enge Höhle wagen, um eine Person zu retten. Nelson Mandela hat gesagt: "Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Furcht ist, sondern der Triumph darüber." Danach ist Mut das Handeln trotz Ängsten, nicht frei von Ängsten. Diese Unabhängigkeit zeigt sich zum Beispiel auch bei Studien von mutigem Verhalten bei Kindern.
Wo ist die Grenze zum Übermut?
Ok, aber wo ist jetzt der Unterschied zwischen angesprochenem Mut und Courage, Herr Psycho?