Druckartikel: Wenn Großeltern plötzlich "entsorgt" werden

Wenn Großeltern plötzlich "entsorgt" werden


Autor: Sarah Seewald

Bamberg, Mittwoch, 01. März 2017

Helga und Norbert Jansen haben drei Enkel. Früher haben sie viel mit ihnen unternommen. Seit einem Schicksalsschlag ist alles anders.


Emil klettert auf die Knie, rutscht auf der Kirchenbank noch ein Stück näher an seine Oma heran und flüstert ihr ins Ohr: "Oma, wenn ich jetzt in der Schule bin, lerne ich zaubern. Dann zaubere ich, dass ich unsichtbar bin und komme immer wieder zu euch."

Während der Junge vermutlich verheißungsvoll, verschmitzt grinst, zerbricht seiner Großmutter ein Stück ihres Oma-Herzens. Und noch einmal, wenn sie von dieser Begegnung erzählt. Der genaue Wortlaut und die wahren Namen tun nichts zur Sache, um zum Ausdruck zu bringen, dass Helga Jansen eine der Frauen ist, die die Kinder ihres Kindes nicht aufwachsen sehen dürfen. Beim Einschulungsgottesdienst dabei zu sein, das haben sie und ihr Mann sich nicht nehmen lassen. Zu dieser öffentlichen Veranstaltung konnten sie kommen. Immer mal wieder ein paar vertraute Stunden mit ihren drei Enkelkindern verbringen, die Zeit bleibt ihnen verwehrt. Sie zählen sich zu verstoßenen, verlassenen, entsorgten Großeltern.

Das war nicht immer so. Mit ihrer Tochter, der Mutter ihrer Enkelkinder, hatten die beiden Senioren aus Oberfranken ein gutes Verhältnis. Die Tochter hat wie ihr Vater Lehramt in Bamberg studiert und sich in der Weltkulturerbestadt mit ihrem Ehemann ein Leben aufgebaut.

Mit dem Todestag der Tochter veränderte sich alles. Die Enkel bekommen sie erst weniger, ein paar Wochen später schon gar nicht mehr zu Gesicht. Helga und ihr Mann Norbert können sich nur ausmalen, was den Kindern mittlerweile über sie erzählt wird - wenn überhaupt über sie gesprochen wird. "Ein Feindbild wird aufgebaut", befürchtet Helga Jansen und fühlt sich machtlos. Machtlos wie auch die Kinder, die für sie in ihrem Recht beschnitten werden. "Wer soll unseren Enkeln erzählen, wie ihre Mutter gewesen ist? Als Kind? Als junge Frau?" Ihnen alte Bilder zeigen, das erste Tanzstundenkleid, mit ihnen auf der ersten Gitarre ihrer Mutter spielen ... Der Schmerz sitzt tief. Vor Gericht ziehen, um ihr Recht geltend zu machen, das wollen sie eigentlich nicht, weil für sie klar ist, wer leiden müsste: Emil, Lotta und Leon (Namen geändert).


Das Recht der Großeltern

Es muss kein Schicksalsschlag wie der Tod eines Elternteils im Leben dazwischenkommen. Heiner Hille, "Kümmerer" für die Selbsthilfegruppe verstoßener Großeltern Hersbruck, weiß, was häufiger der Auslöser ist: eine Scheidung. "Dann fallen die Eltern des ,unterlegenen‘ Ehepartners automatisch hinten mit runter." Unabhängig davon, dass sie am Konflikt unbeteiligt und schon lange mit ihren Enkelkindern verbunden seien.
Im Jahr 2015 haben sich Eltern von insgesamt 131 749 minderjährigen Kindern scheiden lassen. Väter, die ihr Sorgerecht einklagen, sind keine Seltenheit. Großeltern, die für ihr Umgangsrecht bis vor Gericht ziehen, gibt es deutlich weniger. Aus Scham, aus Rücksicht, weil sie noch nie etwas mit Gerichten zu tun hatten - so die Erklärung der Betroffenen.

Dabei sind Großeltern nicht ohne Rechte: Im Paragrafen 1685 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wurde 1998 den Großeltern ein Umgangsrecht zugesprochen - wenn es dem Wohl des Kindes dient. Nur, das "Wohl des Kindes" sei Auslegungssache - und manipulierbar, so die Kritik der Betroffenen, von denen einige bereits vom Jugendamt oder Familiengericht enttäuscht wurden. "Es steht und fällt alles mit den Anwälten und Richtern", sagt Aybike Soybaba, Ansprechpartnerin der Bundesinitiative entsorgter Großeltern in Bayern und zweifache Oma. Vor Gericht ziehen - das sei auch eine Geldfrage. Und das Urteil von Familie zu Familie, von Richter zu Richter ungewiss. Sie wünscht sich, dass der Zusatz "zum Wohle des Kindes" gestrichen wird. Großeltern gehörten schlichtweg zur Familie dazu.

Eine deutlichere Rechtsprechung könnte so aussehen, dass derjenige vor Gericht ziehen muss, der das Umgangsrecht anderen Menschen, die eine Bindung zum Kind aufgebaut haben, untersagen will. In Frankreich zum Beispiel, so der Blick ins Nachbarland, hätten es Großeltern leichter, die ihre Enkel aufwachsen sehen wollen. Wenn es bereits eine vertraute Bindung gegeben habe, "werden sie kein Kind finden, das seine Großeltern nicht liebt", sagt die 63-jährige Soybaba.

Sie lebt in Bamberg und setzt sich dafür ein, dass die Stimme der entsorgten Großeltern laut werden kann: "Wir werden immer mehr - leider." Meist rufen die Betroffenen an und schildern ihr Schicksal. Ihnen kann sie Tipps geben, Demonstrationen organisieren, ihnen zuhören. Fest steht: Kaum eine Situation gleicht der anderen. Unabhängig ob Scheidung oder Todesfall: "Das Leid der Großeltern ist immens." - "Es sind körperliche Schmerzen, die Kinder nicht zu sehen", sagt auch Helga Jansen, die Tag für Tag mit dem Verlust zu kämpfen hat.
Dabei könnten Großeltern eine wichtige Rolle im Leben ihrer Enkel spielen: "Als Groß-Eltern hat man nicht den Stress, den man selbst hatte, als die eigenen Kinder noch klein waren", sagt Soybaba.

Helga und Norbert Jansen machen deutlich, was sie nicht wollen: dem Vater die Kinder wegnehmen. Wofür sie kämpfen? Zeit. Was Soybaba in diesem Zusammenhang kritisiert, ist die Begründung einiger Familienrichter oder Jugendämter, dass erstmal Ruhe in der Familie einkehren müsse: "Wir nennen das Friedhofsruhe." Jeder Tag, an dem die Großeltern nicht Teil des Lebens der Enkel sein dürfen, obwohl sie sich die Zeit nehmen würden, ist verlorene Zeit.

Dass alles möglich ist, nach Jahren das Telefon klingelt oder die Enkel vor der Tür stehen, darauf hoffen sie alle. "Wir sind nicht nachtragend", stellen Helga und Norbert Jansen klar. Würde ein Zeichen von ihrem Schwiegersohn kommen, würden sie sich umgehend ins Auto setzen und nach Bamberg fahren. Bis dahin bleiben zwei Gedanken: Die Sorge, was der Konflikt mit den Kindern macht, und die Gewissheit, dass Lebenszeit verstreicht. In ein paar Jahren könnte es zu spät sein.

Was das Bamberger Jugendamt zu dem Thema sagt:

Herr Kobold, können Sie als Amtsleiter des Jugendamtes in Bamberg erklären, ob es eine Art Leitfaden in Sachen verstoßene Großeltern gibt?
Tobias Kobold: Die Mitarbeiter des Stadtjugendamtes gehen bei dem Thema genauso vor wie bei getrenntlebenden Eltern. Sie bieten ein Gespräch im Jugendamt an, um eine einvernehmliche Lösung zu erarbeiten oder eine Vereinbarung zu finden. Sie stehen beiden Seiten beratend zur Seite. Grundlage für das Beratungsangebot des Jugendamtes ist der Paragraf 18, SGB VIII.
Gelingt es nicht, eine Vereinbarung zu finden, so haben die Großeltern die Möglichkeit, sich an das Familiengericht zu wenden und einen Antrag auf Regelung des Umgangsrechts zu stellen (§ 1685 BGB). Beim gerichtlichen Verfahren ist das Jugendamt ebenfalls beteiligt.

Oft betrifft es Großeltern, die in den ersten Lebensjahren Kontakt zu ihren Enkelkindern hatten. Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die Beziehung zu Großeltern?
Das Jugendamt erachtet es generell als wichtig, dass Kinder zu allen Familienangehörigen gute Beziehungen unterhalten und diese auch unterhalten können. Von daher wird auch der Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln für wichtig erachtet.

Wie sehr belastet es Kinder, die Oma und Opa nicht sehen dürfen?
Das ist unterschiedlich und abhängig davon, wie intensiv der Kontakt vor dem Abbruch war, welche Rolle die Großeltern im Leben ihrer Kinder gespielt haben.
Auch die Beziehung zwischen den Eltern und den Großeltern spielt eine Rolle. Manchmal stehen die Kinder in einem Loyalitätskonflikt.

Warum scheint es für betroffene Großeltern schwierig zu sein, das Umgangsrecht einzufordern?
Zum einen schrecken sie sicherlich davor zurück, gerichtliche Schritte gegen ihr eigenes Kind einzuleiten. Auch wollen sie ihre Enkel nicht belasten, ihnen das Procedere einer gerichtlichen Anhörung, eines Gesprächs im Jugendamt und so weiter nicht zumuten. Vielleicht fällt es Menschen dieser Generation generell schwerer, ihre Rechte einzufordern, sie resignieren möglicherweise früher.

Würden Sie sagen, dass verstoßene Großeltern ein Tabuthema sind?
Aus unserer Erfahrung lässt sich sagen, dass Großeltern, die keinen Kontakt zu Enkeln haben, kein Tabuthema sind. Sie finden bei uns genauso Gehör wie Väter oder Mütter, die Schwierigkeiten bei der Ausübung des Umgangsrechts haben. Einen Anstieg der Beratungsanfragen von Großeltern können wir im Bamberger Jugendamt nicht verzeichnen. sd

Kontakt zu betroffenen Großeltern
Gespräch Betroffene haben die Initiative "Entsorgte Großeltern" gegründet. Kontakt zu Ansprechpartnerin Aybike Soybaba finden Interessierte unter grosseltern-initiative.de.

Austausch Im Nürnberger Land treffen sich Großeltern, die keinen Kontakt zu ihren Enkeln haben dürfen. Die Kiss Selbsthilfekontaktstelle vermittelt unter 09151/9084494 den Kontakt. Auch in Coburg treffen sich monatlich "Verlassene Großeltern". Mehr dazu unter 09561/891576 oder per E-Mail an selbsthilfe@coburg.de. red