Druckartikel: "Von höherer Warte angeordnete Verwandtschaft"

"Von höherer Warte angeordnete Verwandtschaft"


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Montag, 01. Juli 2013

In der Nacht zum 21. März 1763 ist der deutschen Literatur vielleicht größtes Genie im rauen Fichtelgebirge geboren worden, und gut 250 Jahre später erinnerten auch die Temperaturen im Garten der Villa Concordia an jenen bedeutenden Geburtstag.
Fotos: Ronald Rinklef


Direktorin Nora Gomringer hatte eingeladen, den skurrilen oberfränkischen Schriftsteller mit einem Leseabend zu feiern, und viele Zuhörer waren gekommen. Befeuert doch auch ein sehr rühriger "Verein Jean Paul 2013", der diese Veranstaltung mitorganisierte, das Gedenken an den Mann, den man, wenigstens das war zu lernen, auch französisch aussprechen darf, so wie Jean-Paul Belmondo oder Sartre.

Zwei Autoren, eine Autorin, eine Schauspielerin: Gomringer hatte Hochkarätiges zu bieten an diesem Abend. Eckhard Henscheid hat einen Jean-Paul-Preis bekommen, die ehemalige Künstlerhaus-Stipendiatin Sibylle Lewitscharoff ist gerade gekürte Büchner-Preisträgerin, Katharina Thalbach prominente Aktrice ("Die Blechtrommel") und Regisseurin, Paul Maar einer der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren des Landes.



Nun zeigte sich allerdings im Lauf des von Rundfunk-Redakteur Niels Beintker moderierten und vom Wiener Akkordeon-Virtuosen Christian Bakanic glänzend aufgelockerten Abends, dass der Bezug der Autoren bzw. ihrer vorgetragenen Texte zu Jean Paul Friedrich Richter so leicht nicht zu finden war. Mehr als einmal musste der Konnex recht mühsam geknüpft werden, obwohl jedem/r ein Paul-Aphorismus als Motiv vorgegeben war. Was im Falle Thalbach noch am leichtesten fiel, denn sie las originäre Texte des jungen wie älteren Richter.

"Goethe spricht scharf, bestimmt und ruhig" heißt es in einem Brief an den Bruder aus dem Jahr 1796, der die bekannte Wendung über den Dichterfürsten "Auch frisset er entsetzlich" enthält. Als "scharf und bestimmt" könnte man auch die Diktion Thalbachs charakterisieren. Sie ist eben ein Profi; da können Nur-Autoren nicht mithalten. Da wird eine langatmige Epistel Jean Pauls an Emilie von Berlepsch, eine der vielen Verehrerinnen des Dichters und von Frau von Stein übrigens als "lustig und munter, dick und fett" geschildert, noch amüsant. Am vorgeschrittenen Abend las sie dem mittlerweile durchgefrorenem Publikum noch die Pfefferkuchen-Episode aus dem "Maria Wuz" und einen Abschnitt aus "Dr. Katzenbergers Badereise", in dem dieser sich grämt, eine Hinrichtung nicht sehen zu können.

Eckhard Henscheid, in seinen eigenen digressiven, mit sprudelnd-überbordender Sprachkunst überreich versehenen Werken dem fränkischen Genie stilistisch nicht allzu fern, musste sich dagegen Mühe geben, die "von höhererer Warte angeordnete Verwandtschaft" zu belegen. Den Sinn für Kruditäten des Zeitgeistes nannte er, eine "satirische Essigfabrik" nach einem längeren Exkurs über Jean Paul und die Frauen, bevor er einen Text über die These las, dass das Alte und Schöne überlebe und dem "dummem Zeitgeist" die Grenzen aufzeige. Betagt ist auch schon das Henscheid'sche Kabinettstück über den Pfarrer Sommerauer, erschienen in der "Mätresse des Bischofs" 1978, für Henscheid-Kenner und -Verehrer ein alter Hut.

Sibylle Lewitscharoff wiederum lobte den "überbordenden Trieb" des Sprachmagiers, "in manchen Texten geht es drunter und drüber". Ihr Lieblings-Stück sei die "brillante Burleske" "Der Komet", ein Spätwerk. Die Büchner-Preisträgerin las dann aus ihrem jüngsten Roman "Blumenberg". Die Jean-Paul-Affinität mögen Literaturwissenschaftler erkunden.

Paul Maar sieht sich durch die skurrilen Figuren im Riesenwerk Jean Pauls beeinflusst, die ausgefallenen Namen. So ist denn der "Maria Wuz" sein Hit. Maar las aus dem Jugendbuch "Kartoffelkäferzeiten", der Geschichte eines Mädchens kurz nach dem Zweiten Weltkrieg; vielleicht waren diese kargen Zeiten eine Parallele zur bitteren Armut des jungen Jean Paul.

Als Katharina Thalbach zuletzt den im Befehlston gehaltenen Brief an seine Ehefrau vortrug, war man doch froh, ins Warme flüchten zu können. Ein abwechslungsreicher, mitunter amüsanter Abend war zu Ende. Aber was Henscheid im Interview gesagt hatte, ist unerschütterlich wahr: Ein populärer Autor wird Jean Paul nie werden.