Vom Weib zum hübschen Madla in Reckendorf
Autor: Sarah Seewald
Reckendorf, Freitag, 16. Januar 2015
In einer Altweibermühle werden alte Frauen wieder jung gemacht, und schön. So heißt es zumindest in der Sage. Die Mühle mit Verjüngungsseffekt gibt es auch in Reckendorf. Alle zehn Jahre werden auch hier die Frauen wieder jung gemahlen.
Ja, die Welt kann ganz schön klein sein. Es liegen zwar immerhin an die 250 Kilometer und eine Bundeslandgrenze zwischen Reckendorf im nördlichen Landkreis von Bamberg und Cleebronn in Baden-Württemberg. Aber Sagen um diese ganz besondere Mühle mit Nebeneffekt sind nicht nur einem Franken, sondern auch gebürtigen Schwaben - erst recht Schwäbinnen wie mir - bekannt.
Ob beim Besuch im Freizeitpark oder eben in Reckendorf beim Fasching alle zehn Jahre zelebriert: Die Chance, sich von Schrumpel-Falten und grauem Haaren befreien zu lassen, nutzt frau - und gelegentlich auch Mann - selbstverständlich aus.
Müllersburschen schnappen zu
Die Wurzeln des alten Volksbrauches der Altweibermühle lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. In diese Materie hat sich der Vorsitzende des Orts-Kultur-Ringes (OKR) in Reckendorf eingearbeitet. Erwin Wahl weiß, dass im Volkskundemuseum in Amsterdam zum Thema "Altweibermühle" ein Holzschnitt zu betrachten ist. Im Laufe der Jahre gab es verschiedene Darstellungen der Mühle in Augsburg und in der Gegend um Innsbruck zu sehen.
Wie Reckendorf ist beispielsweise auch der Ort Lobitzsch (Saale) durch die Altweibermühle bekannt. Hier werden alte, schrumpelige Gestalten alle sieben Jahre verjüngt, das nächste Mal im Jahr 2016. Außerdem taucht die Wundermühle auch noch alle fünf Jahre in Karlstein bei Bad Reichenhall auf.
Nach Wahls Recherchen lässt sich ein religiöser Hintergrund nicht von der Hand weisen: "In der Karikatur der Reformationszeit werden Mönche und Pfaffen von Tod und Teufel in der Mühle verschrotet. Sie verkehrt eine spätmittelalterliche Allegorie von der Hostienmühle, in die das Evangelium geschüttet und das Lebensbrot von den kirchlichen Würdenträgern in Empfang genommen wird", so steht es zumindest im Brockhaus-Lexikon geschrieben.
Brauch stammt vermutlich von jüdischen Händlern
Zwar gibt es keinen speziellen historischen Eintrag zum Ursprung in Reckendorf, aber eine Theorie: "Gesicherte Quellen gibt es leider nicht. Es ist jedoch zu vermuten, dass die damals in Reckendorf ansässigen jüdischen Händler diesen Brauch bei ihren Reisen kennen lernten und mitbrachten", so Erwin Wahl.
Im Winter 1904 wurde wohl die erste Verjüngungskur für die Reckendorfer Weiber verschrieben. Nach den Aufzeichnungen sollte diese Faschingsgaudi der Bevölkerung Freude und Abwechslung vom kargen Alltag bringen. Mit den freiwilligen Spenden der Zuschauer - auch wenn sie noch so bescheiden waren - versuchte man in der dörflichen Gemeinschaft Not und Elend zu lindern. "Ein Zeugnis unsrer Vorfahren dafür, dass sie nicht zufrieden waren mit dem Tag, wie er kommt, sondern nach Verbesserungen strebten und praktische Hilfen anboten", erklärt der OKR-Vorstand von Reckendorf. Noch heute wird der Erlös für kulturelle Anliegen in der Gemeinde verwendet.
Aufführungen nicht in jedem Jahr
Erst wieder nach einem Vierteljahrhundert, beim Fasching 1929, wurde die zweite Altweibermühle in Reckendorf aufgeführt. In der Chronik fand Wahl den Eintrag, dass viele Menschen aus der Umgebung bei eisiger Kälte am Bahnhof warteten, bis endlich der Prinzen-Zug aus Bamberg eintraf.
Im Gefolge des Prinzen Andreas I. rollte die Altweibermühle - montiert auf einem hartgummibereiften Lastkraftwagen - durch das Dorf. Junge Leute hinter alten, hässlichen und teils gruseligen Hexen-und-Weiber-Gesichtern trieben ihren Schrecken beim Umzug durch die Stadt. Aber nur solange, bis sie einer der Müllerburschen schnappen konnte. Diese Helfershelfer hatten den Auftrag, an bestimmten Stellen die alten Weiber einzufangen. Sie kamen dann kopfüber in den großen Trichter auf der Mühle und wurden mit viel Gekrache und Gezeter zu jungen und hübschen Mädchen umgemahlen. Wie es die Sage will, wurden die Schönheiten anschließend von ihrem Bräutigam zum Tanze geführt.
Obermüller hat das Kommando
"Zehn mal wird die historische Mühle auch in diesem Jahr malen, um alle ,Alten Weiber' in den Besitz ihrer einstigen jugendlichen Schönheit und Kraft zu bringen", kündigt Wahl an. Nach einer Funktionsprobe am Bahnhof wird das erste Weib gefangen und der Mahlauftrag vom Obermüller gegeben. Die Müllerburschen schleppen das alte Weib auf die Mühle, wo es unter Schreien im Mahltrichter verschwindet.
Allein für den Mühlenbetrieb und die Verjüngungskur werden über 100 Akteure, für den Faschingsumzug weitere 500 Akteure eingesetzt.
Beim letzten Altweibermühlen-Spektakel gab es in Reckendorf kaum noch ein Durchkommen für die einzelnen Umzugswagen. Denn nicht nur die Wundermühle und das Prinzenpaar Thomas und Prinzessin Celina werden ihr Volk mit närrischen Einlagen erheitern. Noch laufen die Vorbereitungen in der 2039-Einwohner-Gemeinde für das in knapp einem Monat bevorstehende Ereignis. Die Kostüme der "Sexy Recken-Hexen" sind schon genäht und angepasst.