Vom Stammbuch zum Poesiealbum: Denkmäler der Freundschaft
Autor: Sabine Christofzik
Bamberg, Samstag, 02. Sept. 2017
Die Staatsbibliothek Bamberg beherbergt eine interessante Sammlung.
S ie hatten so gar nichts mit den Freundschaftsbüchern zu tun, die heutzutage schon in Kindergärten herumgereicht werden, und in denen man meistens nur Listen ausfüllen muss.
"Stammbücher" hießen die Sammlungen von handschriftlichen Erinnerungszeichen auf Deutsch. Studenten baten damals die Professoren und ihre Kommilitonen um einen Eintrag, zumeist kurz vor dem Weggang vom Studienort.
Das konnte in einem Buch mit blanken Seiten geschehen, viel öfter aber in gedruckten, oft illustrieren Büchern, die dem Albumträger etwas bedeuteten. Da man Druckwerke früher ungebunden erwerben konnte und diese für das Binden erst zum Buchbinder tragen musste, konnte man diesen auch anweisen, vorn und hinten (oder zwischen den Seiten) leere Blätter für die handschriftlichen Einträge einzufügen. Dieser Brauch ging von der Universität in Wittenberg aus. Er verbreitete sich dann rasch an anderen Hochschulen und in Adelskreisen.
Eines hat sich seit dieser Zeit so gut wie nicht verändert: Ein Eintrag besteht - in der Regel - immer noch aus den gleichen Elementen in der gleichen Abfolge: einem Sinnspruch, der Widmung, dem Datum, dem Ort und der Unterschrift.
Schräger Bruder-Humor
Wie sich diese Stammbücher bis zu den heute bekannten Poesiealben entwickelt haben, weiß Prof. Werner Taegert, der ehemalige Leiter der Staatsbibliothek in Bamberg. Auf einem Tisch hat er 16 Exemplare aus verschiedenen Epochen ausgelegt. Er fasst sie nur mit weißen Handschuhe an. Theodor Lindner heißt der junge Mann, dessen Stammbuch das erste in der Reihe ist. 1574 hat er es in Umlauf gebracht. Holzschnittbilder aus beiden Testamenten der Bibel befinden sich darin. Seine Professoren und Mitstudenten haben sich jeweils die Motive herausgesucht, mit denen sie sich identifizieren konnten und sich auf der linken, freien Seite verewigt. Theodors Bruder Friedrich beispielsweise hat den ganzen ihm zustehenden Platz mit den Noten eines von ihm selbst komponierten Lieds ausgefüllt. Seinen Eintrag hat er mit humorvoll gemeintem Hintersinn ausgerechnet gegenüber einem Bild mit Kains Brudermord platziert.
So ganz frei war die Wahl der Stelle, an der man dem Albumträger ein Zeichen der Erinnerung und der Wertschätzung hinterlassen konnte, nicht. Jeder wusste, wo er nach seinem Status hingehörte: Die wichtigen Leute trugen sich immer vorn ein.
Die hohen Herren malten nicht selbst
Das zweite Album, das Werner Taegert aufblättert, gehörte einem späteren Bamberger Domherrn. Der prominenteste Eintrag stammt vom Fürstbischof. Seine Exzellenz hat allerdings mitnichten selbst zu Farben und Pinsel gegriffen. Sein Wappen, das prächtig gemalt ins Auge sticht, ist eine Auftragsarbeit, mit denen betuchte Einträger damals (das Album wurde 1602 gestartet) professionellen Malern ein wahrscheinlich bescheidenes Zubrot sicherten. Die Herren haben bloß noch unterzeichnen müssen. Dass der Einschreibende obendrein Geld für seine erbetene Widmung ausgab, galt als ein Zeichen besonderer Wertschätzung.
Dennoch findet man gerade in den älteren Alben gelegentlich herausgerissene Seiten, berichtet Werner Taegert. "Da könnten missliebige Einträge gestanden haben oder der Albumträger wollte an den Schreiber nicht mehr erinnert werden."
Herausgerissen und durchgestrichen
Theodor Lindner allerdings hat dies nicht gemacht. Dafür wird ihm sein von 1574 bis 1594 geführtes Büchlein zu kostbar gewesen sein. Er hat stattdessen einige Einträge durchgestrichen und bei einem mit eigener Hand angemerkt, dass der Schreiber ein "kostfreier Mann", sprich ein Schnorrer, sei. "Gesellschaftlich ist so etwas eine Hinrichtung", sagt Taegert. "Jeder, der es vorgelegt bekam, konnte sich im Album umsehen. Die Eintragenden fühlten sich als eine Gemeinschaft und wenn da jemand ausgestoßen wurde, war das so schnell nicht wieder in Ordnung zu bringen."
War rund 100 Jahre lang gelehrtes Latein die erste Sprache der Wahl, setzte sich ab etwa 1775 die deutsche Sprache durch. "Plötzlich wird in den Alben überall Lessing und Goethe zitiert."
Jetzt hieß es: Hauptsache persönlich
Um diese Zeit änderten sich zwei weitere Dinge: Scherenschnitte, die die Silhouette des Eintragenden zeigten, kamen in Mode und auch Frauen legten sich verstärkt Stammbücher zu. "Hauptsache etwas Persönliches, war jetzt die Devise. Man fing an, selbst in die Alben zu malen und zu zeichnen oder flocht Haarlocken zu kleinen Kränzchen."Die Symbole der Erinnerung bekamen einen melancholischen Unterton. Im Album von Friederike von Flotow aus Bayreuth beispielsweise (geführt von 1790 bis 1825) strahlen viele Illustrationen auf den ersten Blick Tristesse aus. Zeichnungen von Urnen und Obelisken sind zu sehen. Werner Taegert: "Damit wollte der Eintragende aber nicht sagen ,Stirb bald!', sondern es sind Zeichen der wohlmeinenden, auch etwas sentimentalen Erinnerung."
Als die Mutter von Karl Remeis - seine Villa und die Sternwarte sind in Bamberg wohlbekannt - jung war, kamen die Album-Attrappen auf. Dabei handelte es sich um kleine Kästchen, in die man lose Blätter einlegen konnte. Diese Freundschaftsbilletts kaufte man und teilte sie aus, mit der Bitte um eine persönliche Gestaltung. Die konnte durchaus auch mal in einer filigranen Stickerei auf diesem festen Papier bestehen (das Album wurde von 1825 bis 1836 geführt).
Im Büchlein der Bambergerin Johanna Margaretha Ostheimer (verheiratete Panzer) mit Einträgen von 1890 bis 1899 finden sich frühe geprägte Glanzbildchen zum Einkleben. Die Farben waren damals aber eher gedeckt und pastellig.
Album für eine Puppe
Das Wort Poesie auf dem Einband taucht in der Zeit des Jugendstils auf. Auch bei Betti Eckert, die später Rucker hieß - sie entstammte der Besitzerfamilie der Eckertsmühle - wurde die Hierarchie noch streng eingehalten: In ihrem von 1900 bis 1919 geführten Album kommen zuerst die Einträge der Familie, dann die der Lehrer. Hinter ist die Schar der Mitschülerinnen versammelt.Ein Album zu führen war nun endgültig zur Domäne der Frauen geworden, die ab den 1870er-Jahren die Stammbuchmode im großen Stil aufgegriffen hatten. "Die Männer begannen, sich ab 1825 schon zurückzuziehen. Ab 1875 kamen dann die Kinder dazu", weiß Werner Taegert. "Man spricht von gesunkenem Kulturgut".
Ein Kuriosum in der Sammlung der Staatsbibliothek Bamberg ist eine Puppe mit ihrem eigenen winzigen Poesiealbum. Elisabeth Viering (verheiratete Dreßler) hat es aus Teilen eines Schulhefts für ihren Liebling angefertigt. Es finden sich tatsächlich (ab 1931) auch Einträge darin. Dieses Album wurde samt Puppe und dem eigenen Album der Besitzerin der Bibliothek gestiftet.
"Bitte nicht wegwerfen!"
"Die ganz alten Exemplare befanden sich in verschiedenen Sammlungen der Staatsbibliothek, aus denen wir sie zusammengeführt haben. In den letzten Jahrzehnten wurde auch gezielt aus dem Handel und bei Auktionen zugekauft. Viele Bände stammen aus Stiftungen. Eher spärlich vertreten sind Exemplare ab den 1940er-Jahren. Da trennen sich die (überwiegend weiblichen) Besitzer noch nicht davon."Wenn jemand weiß, dass seine Kinder später einmal nichts mit dem Album anfangen können, sollte er es nicht wegwerfen. "Bringen Sie es bitte in die Staatsbibliothek Bamberg, wo es eine dauerhafte Bleibe finden wird", appelliert Taegert an alle, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, ein Poesiealbum zu entsorgen.
Werner Taegert
Einführungstext zum Katalog der Stammbuch-Ausstellung
der Staatsbibibliothek Bamberg von 1995
Werner Taegert: Edler Schatz holden Erinnerns. Bilder in Stammbüchern der Staatsbibliothek Bamberg aus vier Jahrhunderten. Fotografien von Alfons Steber, Bamberg 1995 (155 Seiten).
Der reich bebilderte Ausstellungskatalog ist für 10 € erhältlich in der Staatsbibliothek Bamberg.
"Goennern reiche das Buch und reich" es Freund und Gespielen,
Reich es dem Eilenden hin, der sich vorüber bewegt.
Wer des freundlichen Worts, des Nahmens Gabe dir spendet
Häufet den edlen Schaz holden Erinnrens dir an."
Goethe
Dreihundert Jahre Stammbücher
Der Brauch, eigenhändige Widmungen von Freunden und Bekannten in einem eigens zu diesem Zweck angelegten Buch zusammenzutragen, erwächst aus einem menschlichen Grundbedürfnis: der Sehnsucht, dem flüchtigen Augenblick der Begegnung, der enteilenden Zeit des Beisammenseins, Dauer zu verleihen. Als unverwechselbarer Ausdruck der Persönlichkeit werden die Schriftzüge eines Menschen stellvertretend zu greifbaren Erinnerungszeichen, die bei nachsinnender Betrachtung die einstige Verbindung zu beschwören vermögen. Zwischen den Zeilen Unsichtbares tritt lebendig wieder vor Augen: das erste Zusammentreffen, der vertraute Umgang, gemeinsame Erlebnisse, die Situation der Eintragung. In dem niedergeschriebenen Wort kann eine ganz persönliche Zuwendung wahrgenommen werden, die Bestand über die Trennung hinweg verspricht. Der Antrieb für das Einholen solcher Gedankenspenden verbindet sich auf der anderen Seite mit dem eingewurzelten Bestreben des Menschen, bleibende Spuren seiner Existenz einzuprägen und sich einen Platz im Gedenken zu sichern.
Als Goethe den Vierzeiler in das Freundschafts- und Erinnerungsbuch seines 10jährigen Sohnes schrieb, stellte er sich in eine kulturgeschichtliche Tradition, die bereits seit mehr als 250 Jahren währte und die in ihrer letzten Erscheinungsform, den kindlichen Poesiealben, ihre Langlebigkeit bis heute unter Beweis stellt. Das Sammeln autographer Zueignungen von ausgewählten Menschen, die persönlich hierzu angesprochen (bisweilen vielleicht auch genötigt) werden, ist wesentliches Merkmal eines Brauches geblieben, der über die Zeiten hinweg zugleich von mannigfachen Wandlungen geprägt wurde: Verändert haben sich die Gebrauchsfunktion der Gedenkbände, die soziale Gruppenzugehörigkeit sowie die Altersstufe ihrer Besitzer und der Eintragenden, die äußere Form der Bücher, die Gestaltung der Widmungen und der dekorativen Beigaben, auch die Gattungsbezeichnung selbst - so etwa zunächst "Album amicorum" und "Stammbuch", zu späteren Zeiten "Philotheca", "Denkmal(e) der Freundschaft", "Souvenir d"amitié", "Album", "Poesie".
Die Anfänge des Stammbuchbrauches lassen sich in den frühen 1540er Jahren im Umkreis der Universität Wittenberg lokalisieren. Von diesem Kristallisationsort aus breitete er sich seit der Jahrhundertmitte im deutschen Sprachgebiet zunehmend aus, unter deutschem Einfluß besonders auch in den Niederlanden und in Skandinavien, während er in England und in den romanischen Ländern ohne Widerhall blieb. Die früheste und auf lange Zeit vorherrschende Trägergruppe blieben die Studenten, für die im 16. und frühen 17. Jahrhundert der Besuch mehrerer Universitäten die Regel darstellte. Im Verlauf der "Peregrinatio academica" - der Bildungsreise - wurde die akademische Ausbildung vielfach auch durch kürzeren oder längeren Aufenthalt an ausländischen Hochschulen abgerundet; Italien, Frankreich und die Niederlande stellten in absteigender Frequenz die Hauptziele dar. Im Gepäck des Studiosus befand sich üblicherweise das Stammbuch, das Verwandten, Gönnern, Freunden und Bekannten mit der Bitte um einen Eintrag vorgelegt wurde. Im Unterschied zum "ortsfesten" Gästebuch wurde das Album in einer noch "bewegten" Lebensphase seines Eigners an heimatferne Stätten mitgeführt, wo er erstmals in die Eigenständigkeit hineinzuwachsen lernte. Gerade eine solche Zeit der Mobilität und der damit einhergehenden Vielzahl neuer Begegnungen läßt die Bewahrung eines handschriftlichen Zeugnisses als dauerhaftes Andenken erstrebenswert erscheinen.
Der Stammbuchbrauch erfaßte zunehmend weitere Gesellschaftsschichten. Beliebt war er bald auch bei jungen Adligen und Patriziern, sofern es sich nicht ohnedies um Studenten aristokratischer Abkunft handelte. Sie führten ihr Album auf der Kavalierstour zu traditionsreichen Kulturstätten Europas mit sich, bei der ihnen als krönender Abschluß der standesgemäßen Erziehung in Begleitung eines Hofmeisters praktische "Erfahrung" und Weltläufigkeit vermittelt wurden. Reisende Diplomaten und Kaufleute sowie wandernde Handwerksgesellen, auch Militärs und Musiker griffen die Mode auf. Bereits im 16. Jahrhundert findet sich das Gedenkbuch sehr vereinzelt in der Hand von Frauen der adligen und höfischen Gesellschaft. Da das Reisen bei ihnen die Ausnahme darstellte, haben ihre zumeist in der Zeit vor der Eheschließung genutzten Alben eher den Charakter von Gäste- oder Besucherbüchern; Liedtexte waren als Beigabe verbreitet. Daß ausnahmsweise auch für Kinder schon Stammbücher angelegt wurden, bezeugen für das späte 16. Jahrhundert etwa die in der Staatsbibliothek Bamberg verwahrten Exemplare des Hanns Ludwig Pfinzing von Henfenfeld (10 Jahre), des Johann Georg Schwingsherlein (14 Jahre) und des Erasmus Posthius, des Sohnes des Humanisten Johannes Posthius (12 Jahre). Am Beispiel eines Kinderstammbuches des 17. Jahrhunderts ist gezeigt worden, daß eine solche Sammlung von Einträgen "weniger vom Besitzer selbst als durch den Kontaktkreis und die Interessen des Vaters" bestimmt sein konnte (Werner W. Schnabel).
Bezeichnenderweise werden die Alben mit dem Eintritt in das Berufsleben zumeist abgebrochen; allenfalls vereinzelt kommen später noch Widmungen hinzu, die dann wohl in der Regel die Funktion von Gästebucheinträgen erfüllen. In fortgeschrittenem Alter begonnene Stammbücher sind die Ausnahme. Gelegentlich werden die Bände zum rückerinnernden Durchblättern wieder zur Hand genommen. Die fortdauernde Verbundenheit mit einzelnen Einträgern dokumentiert sich in Notizen zu deren späterem Lebensschicksal, die der Eigner hie und da hinzusetzt; mitunter auch zeichnet er ein Kreuz ein oder fügt - in Anlehnung an eine verbreitete Inschriftenformel auf Grabsteinen - ein "Gnad dir Gott" bei zum Gedenken an den verstorbenen Freund. Lessing sollte diese Gepflogenheit zum Thema einer Widmung machen: "Ein Kirchhof ist, / mein frommer Christ, / dieß Büchelein, / wo bald kann seyn / Dein Leichenstein / ein Kreuzelein!"
"Amicitia" ist der vielbeschworene Leitbegriff, mit dem die Widmenden ihre Beziehung zu dem Albumbesitzer charakterisieren. Im Zeitalter des Humanismus meint diese akademische "amicitia literaria" - die "Freundschaft unter Gelehrten", denen auch schon die Studenten zugerechnet wurden - in einem sehr weiten Wortverständnis die idealisierte Geistesverbundenheit, die vom Bekenntnis zu den gemeinsamen wissenschaftlichen Studien getragen ist. Sie kann verschiedene Arten des Umgangs einschließen, so etwa Beziehungen zu Weggefährten entsprechenden Alters: die auf gemeinsame Interessen, Erfahrungen und Erlebnisse gegründete Vertrautheit zweier Kommilitonen ebenso wie deren nur beiläufige Bekanntschaft; junge Menschen in gleicher Lebenssituation tauschten Einträge in der Regel wechselseitig aus. Andererseits zählt hierzu der im Verlauf des Studiums vertiefte Kontakt zu den Hochschullehrern, deren Stammbucheintrag als Beleg einer Anerkennung ihrer Person sowie als empfehlender Studiennachweis gelten konnte.
Begehrt waren schließlich auch Niederschriften von herausragenden Persönlichkeiten, mit denen den Bucheigner vielfach lediglich ein punktueller Kontakt verband - wissenschaftliche Berühmtheiten, staatliche oder kirchliche Honoratioren und verdiente Würdenträger: Ihnen machte der Student seine Aufwartung vor allem in der Absicht, nach einem mehr oder weniger anspruchsvollen Gedankenaustausch mit einem Stammbucheintrag wieder davonziehen zu können. Mochte eine solche Widmung auch als höfliche Pflichtübung mit förmlicher Distanziertheit zugeeignet worden sein, so konnte sie doch den Anschein einer besonderen Wertschätzung suggerieren: Da das immer auch zum Vorweisen gedachte Album die Selbstdarstellung wie auch die gesellschaftliche Standortfindung stützen konnte, mochte dem stolzen Besitzer durch den Glanz solcher Namen erhöhtes Prestige zuwachsen.
Ein berühmter Stammbucheintrag hat ebendiese Gepflogenheit zur Voraussetzung: In der zweiten Studierzimmerszene des "Faust I" läßt Goethe, den Stammbuchbrauch in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückprojizierend, den fahrenden Schüler ein bleibendes Zeugnis der Visite bei dem vermeintlichen Dr. Faust erbitten: "Ich kann unmöglich wieder gehn, / ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen. / Gönn" Eure Gunst mir dieses Zeichen!" Mephistopheles, in die Rolle des hochberühmten Gelehrten geschlüpft, gibt dem Studenten ein (selbstverständlich lateinisches) Bibelzitat mit auf den Lebensweg - jene Verheißung der Schlange, die Adam und Eva zum Sündenfall verleitete: "Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum" (Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist). Der junge Mann liest die Widmung in seinem Büchlein, deren teuflischer Hintersinn seiner Einfalt verborgen bleibt, "macht"s ehrerbietig zu und empfiehlt sich".
Es ist bezeichnend, daß der in den Alben versammelte Mikrokosmos wohlmeinender Menschen im Wesentlichen nur einen Ausschnitt des tatsächlichen Umgangs ihrer Besitzer einbezieht: den Personenkreis, dem sie sich gemäß ihrem sozialen Status vornehmlich zuordneten. So wurden für Einträge in Studentenalben in der Regel Angehörige der akademischen Gemeinschaft - an ausländischen Hochschulen zumeist deutsche Studienfreunde - oder Personen aus anderweitig repräsentativen Gesellschaftsschichten ausgewählt. Frauen fanden sich höchst selten zur Feder gebeten: In der Regel handelte es sich um Verwandte des Eigners oder um die Ehefrau eines Einträgers, die sich neben ihrem Gatten verewigte.
Gelegentlich wurden zwei (oder auch mehrere) Stammbücher neben- bzw. nacheinander geführt. Vielfältig sind die möglichen Gründe: etwa die "Überfüllung" eines Albums (die Bescheinigung einer hohen Kontaktfrequenz scheint manchem Albumeigner als sehr erstrebenswert gegolten zu haben); das Anliegen, Einträgergruppen voneinander getrennt zu halten, zum Beispiel adlige und bürgerliche Bekannte, Gönner wie auch Prominente und Mitstudenten; die Schadensbegrenzung bei erhöhter Gefahr des Verlustes, wie sie ein Auslandsaufenthalt mit sich brachte.
Als Stammbücher wurden schon früh eigens vom Buchbinder angefertigte, zunächst überwiegend hochformatige Bändchen mit leeren Blättern genutzt; da sie als Teil der beweglichen Habe auf Reisen mitgeführt wurden, bürgerte sich eine zweckmäßig handliche Größe ein. Daneben fanden seit Anbeginn bis in das frühe 17. Jahrhundert auch sehr oft Druckwerke Verwendung. Knappen Raum für Einträge boten dort die Seitenränder; häufig wurden beim Binden leere Papierlagen am Anfang und Ende der Bücher beigefügt, wofern der Eigner nicht den gesamten Band mit zusätzlichen Blättern "durchschießen" ließ. Bisweilen wurden schmucklose Drucke gewählt - so Zusammenstellungen klassisch-antiker und humanistischer Sentenzen, etwa auch reformatorische Schriften -, häufiger jedoch mit Holzschnitten oder Kupferstichen illustrierte Publikationen. Für die Widmung ordnete man sich gerne einer Passage zu, die im konkreten Fall (manchmal wohl nur noch dem Stammbuchbesitzer offenkundig) besonders passend oder beziehungsreich erschien und auf die der Eintrag abgestimmt werden konnte.
Unter den sehr häufig als Album verwendeten Emblemsammlungen waren Exemplare des "Emblematum liber" des Andrea Alciati besonders beliebt: Das erstmals 1531 in Augsburg veröffentlichte Werk begründete diese gelehrsame Kunstform und setzte sich zugleich durch eine Vielzahl von Ausgaben als ihr erfolg- und einflußreichster Repräsentant durch. Kennzeichen der literarisch-graphischen Mischform des Emblems ist die Struktur in drei Teilen, die wechselseitig aufeinander bezogen sind: als themenandeutendes Motto eine knappe Überschrift, die komprimiert eine abstrakte Erkenntnis zusammenfassen kann, gefolgt von einem Sinnbild sowie von einem Epigramm, in dem der im Bild verschlüsselt angelegte Gehalt erläutert, seine Bedeutung ausgelegt wird. 1567 wurde in Frankfurt am Main eine Alciati-Ausgabe publiziert, die nur einseitig bedruckt war und sich so von vornherein für eine Verwendung als Stammbuch empfahl. Mit der Nutzung der aus der humanistischen Bildungstradition erwachsenen Emblembücher wird für die darin erbetenen Widmungen "eine gewisse höhere Anspruchsnorm gesetzt" (Wolfgang Harms).
In der ausgedehnten Stammbuchmode erkannten findige Verleger neue Marktchancen: Eigens für Albumzwecke konzipierte (Vor-)Drucke fanden guten Absatz. Im Jahre 1559 erschien in Lyon bei Jean de Tournes mit dem "Thesaurus amicorum" das erste derartige Werk bereits in zweiter Auflage. Sämtliche Seiten weisen Schmuckbordüren auf, einzelne enthalten überdies Sinnsprüche in zehn Sprachen, begleitet von dem Porträtmedaillon einer antiken oder neuzeitlichen Berühmtheit. Der Untertitel der dreisprachigen "Flores Hesperidum", die 1574 nach einer klassischen Sentenzensammlung zusammengestellt wurden, weist die Zweckbestimmung eines Albums aus: "Stamm- oder Gesellenbuch. Mit vil schönen Sprüchen, auch allerley offnen und bürgerlichen Schildten und Helmen, allen Studenten und sonst guten Gesellen, so entweder jre Wapen, Reimen oder Sprüch zur Gedechtnuß einander verlassen wöllen, zu Dienst und Gefallen zusammen getragen". "Gesellen" sind im zeitgenössischen Wortverständnis "Freunde" als Weggefährten: Die Nutzbarkeit des Buches ist für junge Männer aller Stände offengehalten. Die Stiftung von "Gedechtnuß" - im heutigen Sprachgebrauch das "Gedenken" - wird als wesentliche Triebfeder des Stammbuchbrauches herausgestellt. Das Werk nimmt Rücksicht auf die verbreitete Angewohnheit adliger und patrizischer, mitunter auch bürgerlicher Einträger, das Wappen als unverwechselbares Kennzeichen ihrer Familie selbstbewußt dem Eintrag beifügen zu lassen: Leere Wappenschilde bieten sich zum Ausmalen an. Andere Stammbuchdrucke enthalten neben den unabdingbaren Sentenzen sowie den Wappenschablonen auch figürliche Darstellungen oder Embleme.
Die Alben wurden üblicherweise mit einem zweckdienlich soliden Einband ausgestattet, zumeist aus Leder, selten aus Pergament; erlesen, wenngleich wenig strapazierfähig und dauerhaft, war die vereinzelt begegnende Einkleidung in Samt oder Seide. Die Qualität der verwendeten Materialien und der Aufwand an buchbinderischer Kunstfertigkeit bei der Verzierung zeigen die Wertschätzung an, die der Besitzer dem Inhalt entgegenbrachte, mehr aber noch lassen sie Rückschlüsse zu auf Stand und Wohlhabenheit seiner Familie. Ein Schuber konnte den Band vor Beschädigungen schützen.
Gelegentlich wurde das Stammbuch vom Eigner förmlich "eröffnet": Die mitunter verzierte bzw. mit Bildschmuck ausgestattete Eingangsseite gibt in Schönschrift Auskunft über Namen, Stand und geographische Herkunft des Besitzers und stellt gegebenenfalls sein gemaltes oder als Exlibris eingeklebtes Wappen vor; im späten 18. Jahrhundert wurde auch seine Porträtsilhouette eingefügt. Bisweilen erläutert eine Vorrede, häufig in gereimter Form, die Zweckbestimmung des Bandes und die damit verbundenen Erwartungen und Wünsche des Besitzers. Dazu gehört die Bitte um bildliche Beigaben, aber auch die immer wieder betonte, indessen nicht selten mißachtete Verwahrung gegen liederliche oder zweideutige Textbeiträge. Am Ende vieler Bände findet sich ein Namensregister, mit dem der Besitzer sich das Auffinden der Widmungen zu erleichtern suchte.
Für die mehr oder weniger formalisierten Einträge bildeten sich variierende Grundmuster heraus, deren konkrete Umsetzung vielfach von der sozialen Rangstellung des Schreibers und seinem Verhältnis zu dem Albumbesitzer bestimmt war. So beschränkten sich Fürsten, auch viele Adlige, auf Minimalversionen mit Namenszug und Jahres- bzw. Datumsangabe; in die Jahreszahl eingeschobene Buchstaben bezeichneten in der Regel die Vornamens-Initialen des Ehegatten. Zumeist wurde der individuelle Wahlspruch hinzugesetzt. Diese bedeutsame Devise, auch als "Symbolum" bezeichnet, stellte eine Art praktische Lebensphilosophie dar; sie war verdichtet auf wenige Worte, zuweilen auch auf ein einziges prägnantes Wort. Oft wurde sie nur mit den Initialen angedeutet, die ihrerseits denen des eigenen Namens entsprechen oder aber einen sinnträchtigen Begriff bilden konnten: so "M.V.S.I.C.A." für "Mein Vertrauen stehet in Christo allein" oder bedeutungsgleich für "Mea unica spes Iesus Christus, Amen".
Differenzierter war der etwa unter den Studenten verbreitete Standard der Einträge. Als Segenszeichen wurde vereinzelt ein Kreuz oder ein Alpha und Omega vorangestellt. Den Auftakt bildete ein Sinnspruch, Gemeinplatz oder moralisches bzw. erbauliches Zitat, gegebenenfalls auch mehrere, aus dem Fundus des Bildungskanons: aus der Bibel und dem geistlichen Schrifttum (so den Kirchenvätern oder den Reformatoren), aus der antiken und neuzeitlichen gelehrten Literatur oder Dichtung, sodann aus der volkstümlichen Spruchweisheit; hin und wieder begegnen Scherze und Sprachspielereien. Die Textpartikel - überwiegend den lateinischen Schulautoren entlehnt - konnten Früchte eigener Lektüre sein; vielfach waren sie über Sentenzensammlungen vermittelt, aus zweiter, dritter Hand bekannt oder auch als Allgemeingut im Umlauf. Nicht selten wurde vage nach dem Gedächtnis zitiert bzw. umschrieben. Gelegentlich steuerten Einträger eigene, zumeist gereimte kreative Leistungen bei. Musiker empfahlen sich dem Gedenken gerne durch kleine Tonsätze, oftmals Gelegenheitskompositionen in Form von Kanons oder Tanzweisen.
Zur Zueignungsformel gehörte häufig die namentliche Anrede in der dritten Person mit ehrenden Attributen, besonders auch die sinngemäße Versicherung, daß der Eintrag als Ausweis von Liebe und Wertschätzung "memoriae causa", "zu guter Gedechtnus", erfolgte. Dem Namen des Schreibers mit Angabe der geographischen Herkunft und der Studienrichtung bzw. des akademischen Status (bei anderen Einträgern auch der Ämter und Würden) schlossen sich Datum und Ort der Eintragung sowie bisweilen die Devise an. In Anlehnung an die Urkundenpraxis konnte die Eigenhändigkeit durch einen "manu propria"-Vermerk verbürgt werden, der sich, zumeist abgekürzt, mit der Zeit zum Schnörkel am Namenszug verflüchtigte. Bei der Wiederbegegnung von Freunden wurde der ursprüngliche Eintrag hin und wieder durch einen Zusatz "renoviert".
Der gelehrte Charakter des Studentenstammbuches spiegelt sich auch in den exklusiven Sprachgepflogenheiten. Das Lateinische als akademisches Verständigungsmedium nimmt dort bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein den ersten Platz ein. Griechische Zitate sind nicht selten, bisweilen begegnen hebräische Texte. Von den lebenden Fremdsprachen finden insbesondere das Französische und Italienische, weit seltener das Spanische und Englische Verwendung. Auch Kenntnisse in einer entlegenen Sprache werden in Einzelfällen demonstriert. Mitunter erleidet die Neigung, mit Bildung zu glänzen, sprachlichen Schiffbruch und entlarvt so den angemaßten Anspruch. Freilich treten daneben auch deutsche Einschreibungen zunehmend in Erscheinung; sie sind in Adelsstammbüchern vergleichsweise wesentlich häufiger anzutreffen und in den Alben wandernder Handwerksgesellen naturgemäß vorherrschend. Gelegentlich bedienen sich die Einträger verschiedener Sprachen.
Die grundsätzlich ständeübergreifenden Widmungen wurden nicht in fortlaufender Chronologie in den Alben niedergeschrieben. Sie erfolgten an beliebiger Stelle, allerdings unter stillschweigender Beachtung der gesellschaftlichen Hierarchie. Die "Respektseiten" (Karl Masner) zu Beginn des Bandes blieben in absteigender Rangfolge Angehörigen regierender Dynastien, Mitgliedern des hohen Adels, Universitätsrektoren und Professoren wie auch weiteren Würdenträgern vorbehalten; bunt gemischt versammelten sich auf der letzten Stufe die Scharen der Studienkameraden. Die vorsorgliche Courtoisie führte dazu, daß die Alben üblicherweise im vorderen Teil relativ viele unbeschriebene Blätter aufweisen, während die Widmungen weiter hinten oft gedrängt beieinanderstehen. Gemeinsame Freunde und Landsleute suchten auf benachbarten Seiten zusammenzukommen und - seit dem späten 17. Jahrhundert - ihre Verbundenheit durch eine diese beiden Seiten überspannende Bemerkung zu dokumentieren.
Enthielten die frühesten Stammbücher ausschließlich Textwidmungen, so trat mit den seit 1550/1552 (im Album des Achatius zu Dohna) nachweisbaren farbigen Einträger-Wappen eine dekorative Anreicherung hinzu, die im 16. und 17. Jahrhundert als die am weitesten verbreitete Schmuckform in Erscheinung treten sollte. Demselben Gedenkband sind erstmals auch Bilder beigegeben: Federzeichungen mit Sujets aus dem Königsberger Studentenleben. Die künstlerische Ausgestaltung der Stammbücher in allen gängigen Techniken fand seit den 1560er Jahren breiten Anklang; gleichwohl gab es immer auch Exemplare, denen solcher Zierat versagt blieb.
Zu den vielfältigen ikonographischen Themen gehören Genredarstellungen aus dem Volks-, Studenten- und Kavaliersleben, unter denen Widerspiegelungen von Geselligkeit und freundschaftlichem Umgang - etwa bei Musik, Tanz und Spiel, bei Festen, Tafelrunden oder Trinkgelagen - beträchtlichen Raum einnehmen. Häufig anzutreffen sind Liebesszenen, gelegentlich auch Jagd- und Kriegsmotive, vereinzelt biblische bzw. geistliche Sujets, ferner Porträts. Zum Standardrepertoire zählen andererseits Begebenheiten aus der antiken Geschichte und Mythologie sowie - als sehr prägendes Ingredienz - allegorische und emblematische Gestaltungen. Insbesondere sinnbildliche Veranschaulichungen menschlichen Schicksals kristallisierten sich zu spezifischen Stammbuchmotiven; Darstellungen der wankelmütigen Fortuna erfreuten sich großer Beliebtheit. Bei den Emblemen wurden vielfach nur themenandeutendes Motto und "Pictura" wiedergegeben, während das auslegende Epigramm als der dritte konstitutive Teil dieser Kunstform ausgespart blieb: Die abschließende Interpretation des verkürzten Gebildes war dann dem Betrachter überlassen, wofern es diesem nicht ohnedies als Zitat aus einem Emblemwerk vertraut war. Kostümfiguren, auch als Wappenhalter, waren bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein außerordentlich verbreitet; hervorstechend sind hierbei die vielfach weitläufig in die Alben eingestreuten italienischen Trachtenfolgen, welche die Erinnerung an einen Aufenthalt jenseits der Alpen festhielten. Diese Liebhaberei ging einher mit der Blütezeit, die gedruckte Trachtenbücher seit ihrem ersten Erscheinen im Jahre 1562 erlebten.
Üblicherweise waren die Wappen und Bilder Auftragsarbeiten aus der Hand mehr oder weniger talentierter ortsansässiger Berufsmaler, die - außer im Falle eigener Bildwidmungen - in der Regel anonym bleiben; signierte Blätter sind rar. Die Künstler fertigten ihre Miniaturen bisweilen "in Serie", kopierten druckgraphische Vorlagen oder griffen auf sonstige, auch über andere Alben vermittelte Bild-Erfindungen zurück; gleiche oder verwandte Illustrationen in verschiedenen Stammbüchern stellen daher keine Seltenheit dar. Für die Kosten des Schmucks, der einer Widmung beigegeben wurde, hatte der Einträger aufzukommen, worauf in der Dedikation gelegentlich ausdrücklich hingewiesen ist. Sein finanzielles Opfer war ein Zeichen der besonderen Wertschätzung des derart Beschenkten, mochte in Einzelfällen aber auch eine Pflichtübung dargestellt haben, der er sich nur schwer entziehen konnte. Dilettantische Bildbeiträge lassen wohl zumeist darauf schließen, daß der Einträger selbst zu Feder oder Pinsel gegriffen hatte. Darüber hinaus sorgte mancher Albumbesitzer seinerseits für eine weitergehende bildkünstlerische Ausstattung (zu der gelegentlich auch eingeklebte, zum Teil von Illuministen fein kolorierte Holzschnitte und Kupferstiche gehörten), so daß der Band mehr und mehr den Charakter eines kostbaren Bilderbuches annehmen konnte. Als besonders erlesene Beigabe sind in einigen Alben von Orientreisenden des letzten Viertels des 16. sowie des frühen 17. Jahrhunderts verschiedenartige Buntpapiere türkischer Herkunft eingefügt: Silhouettenpapier, Gold- oder Silberstreupapier sowie, vorherrschend, das spezifisch als "Türkisch Papier" bekannte marmorierte Tunkpapier, das bald importiert und seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert in Deutschland auch imitiert wurde.
Eine gesonderte Spezies sind die Stammbücher der als Wandergesellen umherziehenden Kunsthandwerker. In diesen Bänden herrscht die Bildwidmung von Künstlerkollegen vor; die zumeist in die Bildseiten integrierten Zueignungen, die zuweilen von wenig ausgeprägter Übung im Schreiben zeugen, sind in der Regel sehr knapp gehalten; oft beschränken sie sich auf Namenszug, Jahr und Ortsangabe, der eine Formulierung wie "geschehen in ..." oder "gemacht in ..." vorausgehen kann. Beliebt sind hier mythologische und sinnbildliche Sujets, wobei mitunter thematische Gelegenheiten für die Darstellung kaum verhüllter Weiblichkeit gesucht werden; verbreitet sind auch Kunstallegorien und szenische Künstlerdarstellungen. Immer wieder begegnet als wenig origineller Beitrag das Wappen der Malerzunft. Diese Freundschaftsgaben sind überwiegend skizzenhaft, bisweilen recht flüchtig ausgeführt und als eher beiläufige Proben des bildnerischen Vermögens dieser angehenden Künstler anzusehen.
Im frühen 17. Jahrhundert zeichnete sich in der Stammbuchtradition ein Geschmackswandel ab: Die Praxis, für die Eintragung von Widmungen auch (vor-)gedruckte Bücher zu nutzen, hielt sich - mit stetig abnehmender Tendenz - bis um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Dann setzten sich die Alben mit leeren Blättern, die seit den Anfängen in gleicher Weise Verwendung gefunden hatten, ganz durch. Auch das Format änderte sich: Die bisher üblichen Bände in Oktav oder Klein-Quart wurden immer mehr abgelöst von Büchern in Quer-Oktav.
Die Erfahrungen des Krieges und seiner tiefgreifenden Nachwirkungen prägten das Lebensgefühl nachhaltig: Das Bewußtsein der Hinfälligkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen fand seinen Niederschlag in so manchem Stammbuchtext, auch in den beliebten "Vanitas"-Darstellungen, die in dem weiten Spektrum der Stammbuch-Ikonographie nun vermehrt in Erscheinung traten und dem Betrachter die eigene Sterblichkeit als "Memento mori" mahnend vor Augen stellten. Verstärkt dienten andererseits Ortsansichten als Souvenirs; Kostümfiguren als Repräsentanten von Reisezielen kamen weitgehend aus der Mode. Aufs Ganze gesehen sanken der Anteil und das künstlerische Niveau der bildlichen Beigaben.
Eine zunehmende Belebung des Stammbuchbrauches, die sich mit dem heraufziehenden 18. Jahrhundert anbahnte und die ihren Niederschlag auch in einer vermehrten, qualitativ vielfach wieder verfeinerten bildlichen Ausstattung fand, sollte in der zweiten Jahrhunderthälfte in eine nachhaltige Blüteperiode übergehen. Die gewaltige Breitenwirkung, welche die Alben insbesondere seit dem Zeitalter der Empfindsamkeit entfalteten, wurde getragen von dem neugefaßten Freundschaftsgedanken. Die Freundschaft wurde nun in ihrer zentralen Bedeutung als eine die Standesgrenzen übergreifende seelenverbindende Beziehung entdeckt, die der wahren Würde des Menschen gemäß erschien und deren mit großem Gefühlsaufwand betriebene Pflege daher als eine erhabene sittliche Aufgabe galt. Nachgerade kultisch wurde ihr als dem höchsten Glück gehuldigt. Diese Freundschaftsauffassung wirkte in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts weit in das Bürgertum hinein, das nun das bisher eher exklusive Stammbuch als adäquates Mitteilungsmedium solch inniger Zuneigung popularisierend aufgriff. Insbesondere auch das schöne Geschlecht bemächtigte sich seit dem letzten Viertel des Jahrhunderts der bisher vorwiegend den (jungen) Männern vorbehaltenen Domäne. Es dauerte nicht lange, bis das Album überdies in die Hände der Schulkinder geriet.
Zugleich wandelte das Studentenalbum sein Gepräge. Der Gebrauch der gelehrten Sprachen trat zurück, das Deutsche gewann in den 1760er und 70er Jahren zunehmend die Oberhand; französische, italienische und englische Einträge blieben präsent, spielten aber eine sehr nachgeordnete Rolle. Das vordem in Sinnsprüchen und Zitaten vielfach vermittelte antike Bildungsgut wurde mehr und mehr durch die zeitgenössische deutsche Dichtung verdrängt, die bei den Jungakademikern nachhaltigen Eindruck hinterließ. Nicht selten offenbart sich eine Vertrautheit auch mit neuesten Werken als selbstverständliches Bildungsgut. In den Zitaten werden Herausbildung und Vermittlung eines literarischen Kanons in seiner prägenden Wirksamkeit ablesbar. Ansonsten finden sich (auch selbstgereimte) Beiträge, die einen hehren Tugendkanon beschwören, dabei besonders nachdrücklich das Ideal unverbrüchlicher Herzensgemeinschaft; andere räsonieren über mehr oder weniger tiefsinnige Weisheiten, bemühen erbauliche Lebenslehren oder entbieten dem Adressaten Zukunftswünsche. Mitunter melden sich spontaner Witz und schlichte Bonmots, arglose oder derbe Scherze, Trivialitäten und ungeschminkte Erotica zu Wort.
Die Zugehörigkeit der Eintragenden zu einer korporativen Vereinigung, wie sie mit den studentischen Orden und den Landsmannschaften in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufkamen, dokumentiert sich in typischen Erkennungszeichen und (vielfach mit Initialen angedeuteten) Wahlsprüchen. Oftmals liefern derartige Hinweise in Stammbüchern das einzige Indiz für Existenz bzw. Verbreitung und Mitgliederbestand solcher Zusammenschlüsse: Die sich bis um die Jahrhundertwende haltenden Orden waren von freimaurerischem Einschlag geprägt; sie standen jeweils in symbiotischer Beziehung mit einzelnen Landsmannschaften, die ihre Mitglieder nach der regionalen Herkunft rekrutierten, und zogen wie jene immer wieder obrigkeitliche Überwachung und Verfolgung auf sich. Bei eventuellen behördlichen Ermittlungen konnten die Stammbücher probate Beweismittel abgeben, um Studenten ihrer Zugehörigkeit zu einer verbotenen Verbindung zu überführen.
Einträge von Professoren und prominenten Persönlichkeiten wurden im letzten Jahrhundertviertel nicht mehr gesucht - der vormalige Referenzcharakter des Stammbuches war allmählich dahingeschwunden. Gelegentlich trugen sich Frauen ein, die mitunter ihre Identität hinter den Namensinitialen verbargen.
Die Frauenalben gingen ihre eigenen Wege. Sie zeichneten sich durch einen feinsinnigeren und gemütvolleren, auch stärker moralisierenden Charakter aus; in ihrer genügsamen Weltenthobenheit walteten die Maßregeln tätiger Strebsamkeit, zurückhaltender Tugend und Sittsamkeit. Vielfach dürfte sich in den Zitaten eigene Dichterlektüre niederschlagen. Manche Weisheit wurde auch aus einer der Zusammenstellungen auserlesener Stammbuchsprüche und Versdichtungen geschöpft, die seit dem letzten Jahrhundertviertel in großer Zahl gedruckt wurden. Jährlich erscheinende belletristische Sammelwerke - Musenalmanache, Damen-Kalender und Taschenbücher - dienten gleichfalls als Quellen.
Als "Denkmäler der Freundschaft" galten nunmehr die Stammbucheinträge - eine Bezeichnung, die den Alben selbst vielfach aufgeprägt war. Auf dem Einbandrücken erschienen jetzt auch andere gefühlsträchtige Titel wie "Der Freundschaft geweiht", "Der Erinnerung heilig", "Andenken guter Freunde", "Souvenir d"amitié", daneben freilich immer noch die Benennung "Stammbuch", die sich besonders auch in den Einträgen selbst hielt.
In den Widmungsformulierungen hatte sich zuvor eine zeremonielle Gespreiztheit herausgebildet, für die etwa folgende Anrede eines Studienkollegen aus dem Jahre 1750 symptomatisch erscheint: "Hochedler, Hochzuverehrender Herr Bes[itzer] dies[es] St[amm]B[uches], haben Sie die Güte und Gewogenheit und erinnern sich bey Durchlesung dieser Zeilen auch dereinst in Abwesenheit Ihres ergebensten Dieners und Freundes, der sich nennt X Y" (M.v.O.Msc.56, Bl. 162v). An die Stelle solch steifer Verbindlichkeit trat nun ein ausgesprochen persönlicher Ton. Schwärmerisch hochgreifend waren oft die Beteuerungen unauslöschlicher Freundschaft. Dies entsprach dem konventionell Erwarteten, ohne daß immer ein tiefempfundenes Bekenntnis dahinterstehen mußte. Welche Gefühlsbewegungen die Stammbuchlektüre auszulösen vermochte, zeigt Wilhelm Hauffs Schilderung der Tage besinnlicher Einkehr, die der Großvater gelegentlich bei sich selbst hielt: "Noch jetzt, als wäre es gestern geschehen, sehe ich sein großes blaues Auge sinnend auf den vergelbten Blättern seines Stammbuchs weilen; und wie deutlich sehe ich, wie dieses Auge nach und nach sich füllt, wie eine Thräne in den grauen Wimpern zittert, wie der gebietende Mund sich zusammenpreßt, wie der alte Herr langsam und zögernd die Feder ergreift und "einem seiner Brüder, der geschieden", das schwarze Kreuz unter den Namen malt" (Phantasien im Bremer Rathskeller. Stuttgart 1827, S. 10 f.).
Die bildliche Ausschmückung wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte von den Eintragenden mehr und mehr in die eigenen Hände genommen. Den Zeichnungen und Malereien gesellten sich als weibliche Gaben hie und da Seidenstickereien, Scherenschnitte, Spitzenbilder und in das Papier eingeflochtene Bänder bei. Der kunstbeflissene Dilettantismus konnte bisweilen ein recht beachtliches Niveau erreichen; vielfach aber verrät er sich durch eher schlichte oder auch unbeholfene Leistungen, die immerhin das achtbare Bemühen um einen persönlichen Beitrag adeln mochte. Bis zum Jahrhundertende waren gerade für die Studentenalben in hohem Maße auch noch professionelle Künstler tätig, die teils ihre Bilder unmittelbar in die Bücher einmalten, teils auch Serien illustrierter Blätter zum Einfügen auf Vorrat feilboten.
Die Wappen, vordem eine markante Stammbuchbeigabe, traten im 18. Jahrhundert immer seltener in Erscheinung. Beliebt in den Alben der fidelen Musensöhne waren Darstellungen der angenehmen Begleiterscheinungen des studentischen Lebens: Freizeitvergnügungen und gesellige Aktivitäten sind in (oft gekonnt naiven) Miniaturen vielfältig dokumentiert, während das ernstliche Bemühen um die Wissenschaften wenig Anreiz (nicht nur?) zur bildlichen Vergegenwärtigung geboten zu haben scheint. Genreszenen und sinnbildliche Darstellungen wurden weiterhin gepflegt. Ortsansichten hielten die Erinnerung an Stätten des Studiums und ihre Umgebung oder an Reiseziele wach. Anmutige Landschaftsbilder, galante Schäferszenen und Stilleben entsprachen dem Geschmack des Rokoko. Gerne versuchte sich zeichnerischer Ehrgeiz an dem illusionistischen Täuschungswerk des Trompe-l"oeil sowie des Quodlibet als dessen raffinierterer Spielart. Bei letzterem werden insbesondere Ansammlungen von bedruckten oder beschriebenen Papierstücken und Graphiken imitiert, die wie zufällig zusammengeraten erscheinen. Großer Beliebtheit erfreute sich floraler Zierat. Sinnträchtige klassische Versatzzeichen der Blumensprache waren Vergißmeinnicht, Rosen und Veilchen - sie sind auch in den heutigen Poesiealben noch nicht verblüht.
Der Freundschaftskult gewann in einem spezifischen Bildkanon Gestalt, der Altäre mit opfernden Mädchen oder Jünglingen, antikisierende Tempel der Freundschaft (überwiegend in der bei Gartentempeln beliebten Form offener Rundbauten), Genien mit Kränzen und Blumengirlanden sowie flammende Herzen einschloß. Die sentimentale Seelenverbindung brauchte neben dem Genuß des gegenwärtigen Beisammenseins zugleich den vorwegempfundenen Schmerz des Abschieds wie überhaupt auch das Bewußtsein der Vergänglichkeit, um sich voll entfalten zu können. Solch wehmütige Gestimmtheit spiegelt sich in antikisierenden Ruinenlandschaften wie auch in der Tristesse der Friedhofssymbolik mit Gedenksteinen, Säulenstümpfen, Urnen auf Sockeln und Trauerweiden: Das Gedenken überdauert das Grab.
Einsetzend mit den 1760er Jahren, besonders ausgeprägt in den beiden folgenden Dezennien, eroberten sich die geschnittenen oder getuschten Porträtsilhouetten die Alben. Maßgeblich befördert wurde diese begeistert aufgegriffene Mode durch Johann Kaspar Lavaters Schriften zur Physiognomik, in denen die Bedeutung der körperlichen Formen als sinnfällige Ausprägung des Charakters herausgestellt wurde. In den Studentenalben um die Jahrhundertwende präsentierte die spezifische Uniformsilhouette den Burschen in seiner dem Militär abgeschauten Kleidung.
Waren in die Alben schon immer auch einzelne Druckgraphiken aufgenommen worden, so kamen um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Göttingen Serien von Kupferstichen auf, die speziell für die Einfügung in Stammbücher konzipiert waren. Sie zeigten anfänglich Ansichten der Stadt und ihrer Umgebung und Szenen aus dem Studentenleben. Seit den 1780er Jahren wurden dort mit Schmuckrahmen und figürlichen Darstellungen gezierte Blattfolgen herausgebracht, die Widmungen aufnehmen konnten, um dann als Loseblattsammlung verwahrt zu werden. Um die Jahrhundertwende wurde das Sortiment durch Stammbuchkupfer mit Landschaftsdarstellungen erweitert.
Im frühen 19. Jahrhundert fanden die Stammbücher bei den Studenten nach wie vor intensive Verwendung. Eine augenfällige Anreicherung der Widmungen waren die mitunter recht ausgedehnten "Memorabilien", die in stichwortartiger Auflistung gemeinsam erlebte "Denkwürdigkeiten" festhielten - die erste Begegnung, Ausflüge, Bierabende, Bälle, Streiche, Duelle, Liebschaften. Vorläufer waren seit dem 17. Jahrhundert gelegentliche "Notabene"-Zusätze, die sich auf die Erinnerung an eine einzelne verbindende Begebenheit beschränkten.
Hatten seit dem Zusammenbruch des Ancien régime bereits Losungen der Französischen Revolution sehr punktuell Eingang in die Alben gefunden, so sollte sich mit den Freiheitskriegen der Jahre 1813-1815 ein politischer Einschlag nun nachdrückliche Geltung verschaffen. Begeistert Raum gegeben wurden dem Widerstand gegen die napoleonische Gewaltherrschaft und der in der Studentenschaft entfachten patriotischen Aufbruchsstimmung. Aufgegriffen wurden auch die Zielsetzungen der 1815 in Jena ins Leben gerufenen Allgemeinen Teutschen Burschenschaft, die den umfassenden Zusammenschluß aller Studenten auf nationaler Gundlage anstrebte und beim Wartburgfest von 1817 die nationalstaatliche Einheit des deutschen Volkes und eine konstitutionelle freiheitliche Ordnung einforderte. Die mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 einsetzende "Demagogenverfolgung", die eine Überwachung der Universitäten und das Verbot studentischer Verbindungen einschloß, führte indessen bald wieder zum Verstummen solcher liberal-nationaler Gedanken.
Im zweiten Jahrhundertviertel kamen die Alben in Studentenkreisen zunehmend außer Gebrauch; um 1840 riß diese bis zuletzt eigengeprägte, drei Jahrhunderte währende Traditionslinie ab. Als Sonderform handschriftlich zugeeigneter Erinnerungszeichen waren um 1823 in Göttingen Dedikationssilhouetten aufgekommen. Diese Mode, die sich zunehmend unter den Studenten aller Hochschulen ausbreitete, fand in den 1840er und 50er Jahren außerordentlich intensiven Zuspruch. Ausgetauscht wurden getuschte, später auch schablonisierte oder druckgraphisch vervielfältigte Schattenrisse auf hochformatigen Kärtchen in Visitenkartengröße. Besonders beliebt waren sie offenbar bei Korporierten, die vielfach Band und Mütze in den Verbindungsfarben kolorieren ließen. Die Widmungsfloskeln unter den Konterfeis folgten im Allgemeinen einem auf das Äußerste reduzierten Standard ("X seinem Y zur freundlichen Erinnerung", Ort und Datum). An die Stelle der Dedikationssilhouetten traten mit Beginn der 60er Jahre gewidmete Bildnisphotographien.
Andererseits bot die Biedermeierzeit einen idealen Nährboden für die Pflege des Stammbuchbrauches in den Bildungsschichten überhaupt, dem mit besonderer Hingabe die Frauen frönten - eine Epoche, in der sich das Bürgertum von den bedrängenden politischen und sozialen Gegebenheiten in eine umhegte und wohlgeordnete Welt rechtschaffener Häuslichkeit zurückzog und sehr bewußt der Geselligkeit in Familienverband und Freundeskreis lebte. In dieser noch von der Nachwirkung des empfindsamen Freundschaftskultes zehrenden Zeit konnten die mehr oder weniger pathetischen Herzensergießungen schriftlich dokumentierter Zuneigung gedeihen. Die Stammbuchtexte ließen eine unberührte idyllische Wunschwelt erstehen, in der Glück, Frieden und ausgleichende Harmonie die tragenden Elemente bildeten. Redliche Tüchtigkeit, edelmütige Tugend, Genügsamkeit und Ergebung in das Schicksal wurden in tiefgründigen oder schlichten (bisweilen selbstgereimten) Versen und in prosaischen Formulierungen als Endzweck eines gottgefälligen Lebenswandels gepriesen.
In Konkurrenz zu den gebundenen Stammbüchern setzte sich die seit dem späten 18. Jahrhundert hie und da begegnende Loseblattform nun weitgehend durch. Das Zusammenbringen solcher goldumrandeten "Denkzettel" konnte rasch vonstattengehen, da nicht mehr das gesamte Album zirkulieren mußte; auf diese Weise war obendrein die Gefahr seiner Beschädigung und mutwilligen Verunzierung oder Ausplünderung vermieden. Auch ließen sich mißliebige Einträge spurlos entfernen. Dieser bis etwas über die Jahrhundertmitte hinaus andauernden Mode entsprachen gesonderte, durch einen Rücken verbundene Buchdeckel, Faltmäppchen mit Laschenverschluß oder Pappkassetten in Gestalt von Buchattrappen. Den Behältnissen, die sich überdies als Verwahrungsort von allerlei sentimentalen Souvenirs anboten, gesellte sich ein Schuber bei. Sie waren mit Leder, Bunt- oder Glanzpapier bezogen, seltener mit Seide oder Leinen, und oft mit weiterem Dekor ausgestattet.
Damit einhergehend weitete sich die auf den Albumbedarf spezialisierte Gebrauchsgraphik zur Massenproduktion aus: Die Bilderindustrie brachte (zum Teil handkolorierte) Radierungen, später auch Lithographien und Stahlstiche auf den Markt, die sich einem allgemeinen Geschmacksniveau anzupassen suchten. Das vielfältige ikonographische Repertoire schloß insbesondere sentimentale Sinnbilder der Freundschaft und idyllische Szenen, ferner Orts- und Landschaftsdarstellungen ein; speziell für den Gebrauch der Studenten dienten überdies Szenen aus dem Burschenleben. Das Zurückgreifen auf derlei populäre Fertigprodukte, die auch Aufnahme in die gebundenen Alben fanden, schmälerte in gewissem Maße den Anteil der selbstgefertigten dekorativen Beigaben. Gleichwohl fanden die Hervorbringungen kreativer Heimarbeit, anknüpfend an die im späten 18. Jahrhundert entwickelten Ausdrucksformen, weiterhin breiten Niederschlag. Eine neuartige Zutat waren Haarkränzchen, die als sehr persönliches weibliches Angebinde gelegentlich auf den Blättern montiert wurden - geradezu leibhaftige Erinnerungsstücke.
Die mit dem Ausgang der Biedermeierepoche anbrechenden Zeitläufte ließen die arglose Beschaulichkeit der kultivierten Gefühls-Innigkeit brüchig werden: Im bürgerlichen Lebensgefühl verschaffte sich deutliche Ernüchterung Raum. Die Erwachsenen zogen sich mehr und mehr aus dem Kreis der Albumbesitzer zurück; die Gästebücher, die nicht immer zu den Annehmlichkeiten des geselligen Umgangs zählen, sind ihnen als ein andersgearteter Seitentrieb solcher Autographenbände verblieben. Späterhin wurde das Freundschafts- und Gedenkbuch vereinzelt noch in Künstlerkreisen gepflegt.
Der Brauch wurde weitestgehend eine Domäne der Schulkinder - überwiegend der Mädchen -, die verstärkt seit dem frühen 19. Jahrhundert als Teilhaber in Erscheinung getreten waren. Um die Jahrhundertmitte änderten die Kollektionen auch ihren Namen: Auf dem Einband der nun in der Regel serienmäßig vorgefertigten Bände erschien der nüchterne Titel "Album", in Konkurrenz dazu (anfänglich noch sehr zögernd) der hochgreifende neue Aufdruck "Poesie", der sich schließlich durchsetzte. Er unterstellt eine gewisse respektable Anspruchshöhe der einzuschreibenden Sinnsprüche und Dichterzitate, der sich die gereimten Elaborate tatsächlich nicht immer gewachsen zeigen, und suggeriert zugleich eine Nähe dieser Textsammlungen zu den literarischen Anthologien, über die ja andererseits vielfach derlei konfektioniertes Spruch- und Versgut vermittelt wurde. Seit den 1860er Jahren hielten die Oblaten Einzug in die Bände: Diese Glanz- oder Lackbildchen, massenhaft als Chromolithographien gedruckt, geprägt und gestanzt, sollten fortan als augenfälligste dekorative Ausstattung des Poesiealbums in Erscheinung treten.
Das "Stammbuch" mutierte zum "Poesiealbum", das nun in alle Gesellschaftsschichten vordrang. Bereits um 1860 kamen die gestanzten und geprägten, vielfarbigen "Oblaten" (Glanz- oder Lackbildchen) auf, die als typischer Schmuck das Poesiealbum seither leitfossilartig kennzeichnen.
Die Herausbildung des Poesiealbums vollzog sich nach geraumer Anbahnung gleitend und nahezu unterschwellig. Die Verschiebung und Verengung der spezifischen Trägerschaft und das Sinken ihres Lebensalters (das mit den Kindern ab den mittleren Grundschulklassen nun an die Grenze der Schreibfähigkeit gerückt ist), aber auch die Streuung in alle Gesellschaftsschichten hinein haben Gebrauchsfunktion, Gehalt und Zierat des Erinnerungsbandes tiefgreifend gewandelt. Gleichwohl bleibt die grundsätzliche Verbindung zu dem alten Stammbuch, das Fortwirken wesentlicher Spezifika, erkennbar.
Von Erwachsenen vielfach belächelt, von der Stammbuchforschung auch pauschal als minderwertiges Derivat geschmäht, hat das Poesiealbum sein ungebrochenes Beharrungsvermögen bewiesen. Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Wandlungen, angesichts auch der Flüchtigkeit vieler Kulturgüter in unserer Zeit erscheint das Überdauern dieser sich in mancherlei Hinsicht rückständig, nachgerade "biedermeierlich" gebärdenden Institution bemerkenswert. Sie kommt offenkundig einem latenten Bedürfnis ihrer kindlichen Trägerschaft entgegen und entspricht ihrem ästhetischen Empfinden. Sie verdient insoweit ernsthafte Beachtung und differenzierte Würdigung.
Stammbücher sind als chronistische "Buchführung" über zwischenmenschliche Beziehungen, als biographische Dokumente einer persönlich erfahrenen Welt geprägt von der Individualität und dem geistigen Umfeld ihrer Besitzer und der Eintragenden; vielfältig spiegelt sich in ihnen die Zeit, in der sie geführt wurden. Sie stellen so für den heutigen Betrachter kulturhistorische Zeugnisse von hohem Aussagewert dar. Als Objekte interdisziplinärer Forschung sind sie schon seit geraumer Zeit entdeckt. Es wäre betrüblich, wenn sich die Überzeugung ihrer Entbehrlichkeit durchgesetzt hätte, die folgender (übrigens auf bereits längere Überlieferung zurückgehender) Albumspruch zum Ausdruck bringt - auch wenn man geneigt ist, seiner Aussage recht zu geben. Daß er gleichwohl niedergeschrieben wurde, läßt für den Fortbestand der Tradition hoffen:
"Schreib meinen Namen aufs Beste in Dein Gedächtniß ein,
So wird für mich und Dich kein Stammbuch nöthig seyn."
Bamberg 1838
(Msc.Add.84, Bl. 19r)
EXKURSE
Zur Diskussion um die Anfänge des Stammbuchbrauches
Das gezielte Sammeln autographer Zeugnisse geschätzter Menschen hat die Emanzipation des Individuums, die Bewußtwerdung der eigenständigen Persönlichkeit zur Voraussetzung, wie sie sich mit Renaissance und Humanismus entfalteten.
Nährboden der Stammbuchtradition war das reformatorische Milieu Wittenbergs. Zu Beginn der 1540er Jahre kam in der seinerzeit bedeutendsten deutschen Universitätsstadt unter den Studenten und anderen begeisterten Anhängern der neuen Lehre der Brauch auf, die Bahnbrecher der kirchlichen Erneuerung um ein handschriftliches Erinnerungszeichen in eines ihrer gedruckten Werke zu bitten. Die verehrten Lehrer, allen voran Martin Luther und Philipp Melanchthon, nach ihrem Vorbild sodann auch andere führende Theologen in ihrem Umkreis, verewigten sich mit Bibelsprüchen und bisweilen recht weitläufigen Auslegungen oder mit anderen geistlichen Erörterungen und Traktaten; am Schluß stand jeweils der Namenszug, vielfach ergänzt um Ort und Datum der Eintragung. Der Sammeleifer führte bald dazu, daß Einschreibungen mehrerer Theologen auf den unbedruckten Vorsatzblättern bzw. auf zusätzlich eingehefteten leeren Blättern zusammengetragen wurden. Besonders häufig wurden hierfür zunächst eine der deutschen Bibelausgaben Luthers oder das grundlegende dogmatische Handbuch Melanchthons, die "Loci communes theologici", verwendet.
Derartige Einträge Luthers nahmen besonders seit 1542 bis zu seinem Tod im Jahr 1546 ein beträchtliches Ausmaß an: "In seinen letzten Jaren schrieb Doctor in vieler Leut Bücher; gemeinigklich aber leget er die Sprüch auß, die zum Trost gericht waren in Sterbens Nöten, wie er auch in sein Pselterlein ihm [d. i. sich] selbs viel schöner Trostsprüch zusammen verzeychnet hatte" (Johannes Mathesius: Ausgewählte Werke. Bd. 3. Hrsg. von Georg Loesche. Prag 21906, S. 360). Eine Zusammenstellung solcher Texte, eingemischt auch Dedikationen in Geschenkbänden, wurde erstmals von Johannes Aurifaber im Jahr nach dem Ableben des Reformators veröffentlicht unter dem Titel: "Auslegung etzlicher Trostsprüche, so der Ehrwirdige Herr, Doctor Martinus Luther, jnn seiner lieben Herrn und guten Freunden Bibeln und Postillen [d. i. Predigtbücher] mit eigener Handt zu seinem Gedechtnis geschrieben." Beachtenswert in unserem Zusammenhang ist die Charakterisierung dieser Einträge als "Denk-Schriften". Eine zeitgenössische Biographie Melanchthons sieht in solchen Inskriptionen eine "neuartige sonderbare Beschäftigung", der sich der Mitarbeiter Luthers mit überaus großer Geduld und Mühe gewidmet habe: "Es begannen nämlich nicht wenige, durch seine Berühmtheit und die anderer dazu getrieben, nach eigenhändigen Niederschriften in ihren Büchlein zu trachten, die sie stolz vorweisen könnten. Und etliche trugen für diese Eintragungen zusammengeheftete Blätter und besondere Büchlein bei sich" (übersetzt nach Joachim Camerarius d. Ä.: De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte. Leipzig 1566, S. 563).
In der neueren Forschung hat eine Stammbuchdefinition weithin Aufnahme gefunden, welche die reformatorischen Autographen-Kollektionen als eine Vorstufe abgrenzt von den "eigentlichen" Stammbüchern. Für letztere werden zwei konstitutive Kriterien vorausgesetzt: Explizite persönliche Ausrichtung der Einträge auf den Bucheigner; handliches Format der Alben, die als Bestandteil des Reisegepäcks in Betracht kommen sollten. Die frühen Sammlungen der Wittenberger Reformatoren-Einträge, vielfach in Bibeln von Median- oder Folioformat integriert, seien demgegenüber mehr oder weniger allgemein gehalten, ihnen fehle die persönliche Zueignung in Form einer ausdrücklichen Widmungsformulierung.
Diese Gattungsbestimmung schreibt idealtypische Merkmale späterer Alben als bereits für die Anfänge verbindlich fest. Dem läßt sich entgegenhalten, daß die Einträge der Reformatoren in der Regel sehr wohl spezifisch auf den Besitzer des jeweils vorgelegten Buches hin konzipiert sein dürften, auch wenn eine ausdrückliche Adressierung durchweg fehlt. Andererseits finden sich auch zu späteren Zeiten in den Stammbüchern zahllose Einträge ohne individualisierte Widmung. Das Format der Bände wiederum erscheint als ein äußerliches Kriterium, das die mit den Einzeichnungen verfolgte Absicht kaum wesentlich berührt. Hier verdient auch Beachtung, daß einzelne Sammler, die solche Autographen einem gewichtigen Bibelexemplar einzuverleiben gedachten, sich die Handhabung erleichterten, indem sie für die Einträge zunächst formatentsprechende leere Einzelbögen vorlegten. Ein von vornherein selbständiges, "weltliches" Album im Folioformat war das Exemplar des Achatius zu Dohna (1550-1552).
Der gegenwärtigen Forschung gilt das aus unbedruckten Blättern bestehende Oktav-Exemplar des Claude de Senarclens als ältestes bekanntes Stammbuch. Niederschriften Wittenberger Reformatoren vom Frühjahr 1545 bilden darin den frühesten Komplex. Von den Einträgen der Bekanntschaften, die sich später (bis 1569) beigesellen, sind erstmals eine der Widmungen von 1546 sowie nahezu sämtliche Zueignungen aus den Folgejahren ausdrücklich an den Bucheigner gerichtet. Setzt man die gängige Gattungsbestimmung voraus, so macht genaugenommen erst dieses (partielle) Hervortreten des Empfängerbezuges die Sammelhandschrift zum "regulären" Stammbuch - eine etwas künstlich anmutende Grenzziehung. Hinzuweisen ist im übrigen auf vereinzelte adressierte Widmungen, die sich bereits in Exemplaren der (freilich großformatigen) Wittenberger Luther-Bibel von 1541 neben unpersönlichen Einträgen finden: Individualisierende Zusätze sind zwei Texten für den Zwickauer Bürgermeister Oswald Lassan (1542 und 1543) und einer Niederschrift für den Hallenser Maler Lucas Furtenagel (1543) beigegeben.
Wenn manche Sammler von Autographen der Reformatoren ihr Album bald anderen Professoren, auch Freunden und Bekannten für Bekundungen persönlicher Wertschätzung öffneten, so wurde dieses Nebeneinander offenbar nicht als ein Bruch oder eine prinzipielle Konzeptionsänderung empfunden, sondern als folgerichtige Weiterführung. Freilich gab es Unterschiede: Hier die berühmten Theologen, von denen man gleichsam eine Reliquie schon zu Lebzeiten zu erlangen trachtete; ihre geistlichen Einträge galten nicht nur als eine mit Stolz vorweisbare Kostbarkeit, sondern sie konnten - wie Felix Heinzer gezeigt hat - der Vergewisserung und Stärkung des religiösen Zusammengehörigkeitsgefühls und der Solidarität dienen in einer Zeit, in der die sich entfaltende neue Glaubensgemeinschaft noch nicht hinreichend gefestigt und gesichert war. Dort die Gruppe der Gefährten und Bekannten, die sich in knappen und bündigen Widmungen ihre zumeist weltlich (durch die humanistischen Studien) begründete Verbundenheit bekräftigte.
Mochten sich auch Orientierung und Sinngebung dieser Autographensammlungen mit der Ausweitung des Einträgerkreises verschieben, so blieb doch das Grundanliegen bewahrt: das Zusammentragen von handschriftlichen, persönlich zugedachten Erinnerungszeichen gleichstrebender und (gerade deshalb) miteinander sympathisierender Menschen. In der Stammbuchtradition ist das Zusammenkommen unterschiedlich motivierter und bewerteter Widmungen auch fortan die Regel, wesentlich bedingt durch die Art des jeweiligen spezifischen Verhältnisses zwischen Albumeigner und Einträger. Einen Sonderfall stellen Bemühungen einiger Stammbuchbesitzer dar, sich nach dem Tod Luthers und Melanchthons Schriftzeugnisse aus deren Feder zu sichern, die sie in ihr Album einfügten, um so "den Wittenberger Genius loci zu beschwören" (Peter Amelung). Es erscheint immerhin kennzeichnend, daß gerade das Stammbuch als der angemessene Verwahrungsort für solche in anderer Weise dem Gedenken dienenden Schriftproben ausersehen wurde.
Die reformatorischen Autographen-Sammlungen sind im wesentlichen ab dem Jahre 1542 greifbar (abgesehen von isolierten Sonderfällen bereits des voraufgehenden Dezenniums). Betrachtet man diese als die eigentliche Ausgangsstufe der Albumtradition - die ältere wissenschaftliche Diskussion sieht hier vielfach keinen ausgrenzenden Unterschied -, so ist demnach bereits für die Frühzeit der Handschriftenspezies eine "säkulare" Fortentwicklung festzustellen, die Herausbildung einer weiteren Facette des ihr innewohnenden Potentials. Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit sollten die Merkmale bleiben, durch die sich diese biographisch-dokumentarische Gebrauchsform ihre Vitalität über Jahrhunderte hinweg zu bewahren vermochte.
Daß andererseits auf die Entwicklung einzelner formaler Konventionen des Stammbuchbrauches überdies verschiedenartige, zum Teil ineinandergreifende oder sich wechselseitig verstärkende Vorbilder eingewirkt haben dürften, ist in der Forschung herausgestellt worden: so Dedikationen von Autoren an ihre Gönner in Druckwerken, Eigentumsvermerke in Büchern (vielfach von Mottos bzw. Textzitaten begleitet), persönliche Widmungen in Geschenkexemplaren, Grußformeln in Humanistenbriefen, Eintragungen in Universitätsmatrikeln ("Alba universitatis"); Parallelen liegen auch vor zu Niederschriften in adligen Gästebüchern sowie, bei heraldischen Beigaben, zu Wappenexlibris.
Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts griff die Stammbuchmode rasch um sich. Ungeachtet ihrer reformatorischen Wurzeln fand sie sehr bald auch in katholischen Kreisen Zuspruch, Widmungseinträge erfolgten über die Bekenntnisgrenzen hinweg. Gerade die starke Mobilität der Studenten und das Zusammenfinden in konfessionell durchlässigen Kreisen, die von zwanglosem Austausch getragen waren, wird - wie Wolfgang Klose angemerkt hat - die uneingeschränkte Ausbreitung der "religionsneutralen" Gepflogenheit entscheidend begünstigt haben: Durch die gemeinsamen humanistischen Bestrebungen zusammengeführte Menschen vergewisserten sich im Album ihrer Verbundenheit. Protestantische Stammbucheigner sollten freilich vorherrschend bleiben. Hierin spiegelt sich die zeitgenössische Bildungssituation, wie sie in dem dominierenden studentischen Zulauf an Universitäten dieser konfessionellen Prägung deutlich wird; andererseits trug die starke Akzeptanz des Brauches bei den führenden Schichten der Reichsstädte, insbesondere in Nürnberg, das Ihrige zu dem Übergewicht bei.
Zu den frühen Albumbesitzern katholischer Konfession gehören etwa der Lizentiat Ludwig Miller (Müller), Herzoglich Bayerischer Rat und "Director" der Münchner Fronleichnamsprozession (zwei Alben, Einträge 1560-1572), die Domherren Johann Georg Zobel von Giebelstadt (1560-1566), später Fürstbischof, Johann Georg von Werdenstein (1563-1604), Johann Melchior Segesser (1563-1577) und Neithard von Thüngen (1564), später Fürstbischof, schließlich der Kanoniker Johann Schweinfurter (1565-1573) und der Chorherr und Priester Johann Ratzenhofer (1566-1588). Stammbücher von Studenten an der katholischen Universität Ingolstadt bereits aus den 1550er Jahren lassen einen Rückschluß auf deren Konfession nicht von vornherein zweifelsfrei zu. Daß bei der Wahl des Studienortes religiöse Aspekte nicht unbedingt ausschlaggebend waren, zeigt etwa der nicht unbeträchtliche Anteil von Protestanten unter den dortigen Rechtsstudenten. Kommilitonen in vergleichbarer Situation könnten als Multiplikatoren der Stammbuchmode in Betracht kommen.
Zu den frühen Gattungsbezeichnungen
Spezifische Bezeichnungen für die neue Handschriftengattung dürften sich erst allmählich herausgebildet haben. Die frühen Namen "Stammbuch" und "Album amicorum" sollten weiteste Verbreitung finden.
Der Begriff "Stammbuch" war bereits zuvor gebräuchlich für die im späten Mittelalter einsetzenden Familienbücher, in denen Adels- und Patriziergeschlechter, nach ihrem Vorbild dann auch bürgerliche Familien ihre wappengeschmückten Stammfolgen vorstellten. Der älteste bekannte Nachweis für die Übertragung auf die Freundschafts- und Erinnerungsbücher findet sich auf der Eröffnungsseite eines studentischen Albums: "Stamenn Büchleinn gehortt Johannes Klarnner dem Jüngern von Nürmberg 1559". Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts begegnet der Name im Titel bzw. Untertitel von Album(vor)drucken, dort in den präzisierenden Fügungen "Stamm- oder Gesellenbuch" (1574), "Stamm- und Wappenbuch" (1579), "Album familiare: Stammenbuch" (1587), "Wappen- und Stammbuch" (1589), "Trachten- oder Stammbuch" (1600). Als "Gsellnbuech" - "Geselle" im Sinne von "Freund" - hatte bereits Sebastian von Stamps sein 1571 angelegtes Album betitelt. Die Benennung "Genealogiae seu amicitiae liber", die Emmeram Lerchenfelder im Jahre 1579 auf die Eröffnungsseite seines Albums setzte, ist offenbar als Latinisierung des Begriffspaares "Stamm- oder Freundschaftsbuch" zu verstehen.
Daß der Terminus "Stammbuch" in dem neuen Zusammenhang bereits vor dem letzten Jahrhundertviertel mehr oder weniger verbreitet war, scheint eine Publikation zu belegen, die der niederländische Dichter Jan van der Noot 1572 in Köln herausgab: "Stammbuch, inhaltend ettlicher Fürsten, Graven, Herrn unnd Edelmannen Wapffenen". Das 20seitige Bändchen führt einige persönliche Mäzene - ohne deren "Mitwirkung" - mit ihren Wappen in einer Buch-Gemeinschaft zusammen, um so "zu einer ewigen Gedechtnuß jhrer Tugendt und Ehre" beizutragen. Wenn auch eine weitergehende (Fremd-)Nutzung des Büchleins als Album nicht vorgesehen war, so suchte van der Noot mit der Betitelung offenbar doch an ebendiese Begriffsverwendung anzuknüpfen.
Die Übertragung des Namens der genealogischen Familienbücher auf die modischen Alben gründet in der Erkenntnis, daß diese unterschiedlichen Handschriftengattungen Wesentliches gemein haben. Lotte Kurras hat auf Analogien hingewiesen: So erkennt sie etwa die größte Übereinstimmung in dem Grundanliegen, das Gedenken durch "Verewigung" in der schriftlichen Fixierung zu sichern - dort die kollektive "memoria" ganzer Familien, hier die in der persönlichen Begegnung begründete "memoria" von Individuen. Andererseits werden in den Alben die Einträger virtuell zu einer Gemeinschaft versammelt, gleichsam zu einer Familie von Freunden und wohlmeinenden Bekannten. Stammfolgen der Besitzer und Familiennachrichten, die sich gelegentlich in den Alben finden, zeigen gleichfalls eine gewisse Nähe zu den genealogischen Büchern. Die Wappen, die man mitunter als entscheidendes gemeinsames Ingredienz angesehen hat, stellen zwar in Alben des 16. und 17. Jahrhunderts die augenfälligste Schmuckform dar, sie sind aber durchaus nicht kennzeichnend für die Gattung an sich; so sind etwa auch dem erwähnten Büchlein des Johannes Klarner keine Wappen beigegeben.
Darüber hinausgehend könnte man in der Übernahme der Gattungsbezeichnung eine geradezu programmatische Äußerung der Selbsteinschätzung in Humanistenkreisen vermuten, der eigenen Standortbestimmung in einer ständisch formierten Gesellschaft: Das Freundschafts-Stammbuch der Gelehrtenschaft ließ sich als Gegenstück zum Familien-Stammbuch des Geburtsadels betrachten. Beriefen sich die Aristokraten bei ihrer Selbstdarstellung auf die Zugehörigkeit zu ihrem traditionsreichen Geschlecht, so konnten die Vertreter des Humanismus konkurrierend auf die als "amicitia" stilisierte geistige Standesgemeinschaft mit Menschen gleicher Bildung und gleicher Interessen verweisen. Das "Herkommen", dort rückwärtsgerichtet aus der Ahnenfolge abgeleitet, wird hier aus der gegenwärtigen Einbindung in ein stützendes akademisches Beziehungsgeflecht definiert, aus der dem einzelnen in Rückkoppelung Bestätigung und Geltung zuwachsen. Das elitäre geistige Statusbewußtsein der Akademikerzunft sollte in der Theorie der "nobilitas literaria" - des Bildungsadels - in der Blütezeit des Späthumanismus um die Jahrhundertwende spezifisch ausgeformt werden.
Zu alledem fügt es sich, daß in einigen Fällen Stammbücher nach dem Übergang an einen anderen Besitzer (den Bruder, den Sohn, einen Freund oder eine fremde Person) weitergeführt wurden: Die von dem vormaligen Eigner versammelte Freundesschar konnte ungeachtet fehlender unmittelbarer Bekanntschaft "adoptiert" und dem eigenen Kontaktkreis zugruppiert werden, waren doch die Betroffenen insgesamt durch das übergreifende Band des Humanismus ideell zusammengeschlossen.
Im heutigen Sprachgebrauch ist der Begriff "Stammbuch" - in Anknüpfung an den ursprünglichen genealogischen Wortsinn - noch geläufig als Bezeichnung von Sammelmappen für standesamtliche Familiendokumente, auch als Verzeichnis von Familienangehörigen in einer Stammtafel. Lediglich in der Redewendung "jemandem etwas ins Stammbuch schreiben" hat sich der Bezug zu den Autographenalben bewahrt, wobei die Aussage eines solchen imaginären Stammbucheintrages unhistorisch im wesentlichen auf das nachdrückliche Ermahnen oder Zurechtweisen reduziert erscheint.
Das Aufkommen des Stammbuchbrauches in gelehrten Kreisen spiegelt sich noch handgreiflicher in der ebenfalls seit dem 16. Jahrhundert gängigen lateinischen Bezeichnung "Album amicorum". "Album" bezeichnete in der Antike eigentlich eine mit Gips geweißte Holztafel, auf der behördliche Bekanntmachungen - etwa Listen mit den Namen von Amtspersonen - verzeichnet wurden. Das Wort fand in der Bedeutung von "Verzeichnis", "Register" Eingang in den neulateinischen Sprachgebrauch. "Unter Humanisten gehörte die Bitte um Aufnahme in das "Album amicorum" zu den Brieffloskeln" (Lotte Kurras); dies war übertragen zu verstehen als Wunsch, in den "Kreis der Freunde" des Adressaten eingereiht zu werden. In Bezug auf das konkrete Stammbuch meint "Album amicorum" sachlich eine "Zusammenstellung", ein "Namenbuch der Freunde"; im gleichen Sinne sollte noch der 20jährige E. T. A. Hoffmann in einem Brief an den Kameraden Theodor Gottlieb von Hippel vom 22.2.1796 sein Stammbuch als "einen Registrant über meine Bekanntschaften" charakterisieren. Daneben waren Benennungen in Gebrauch wie "Liber amicorum", "Thesaurus amicorum", "Catalogus amicorum" ("Buch der Freunde", "Repertorium" bzw. "Magazin der Freunde", "Verzeichnis der Freunde"), später auch gräzisierende Neuprägungen wie "Philotheca" ("Aufstellung der Freunde"); als "Philothecarius" sprach man im 17. und 18. Jahrhundert den Eigentümer eines solchen Bandes an. "Stammbuch" allerdings blieb die durchgängig und in den ersten drei Jahrhunderten vorherrschend verwendete Bezeichnung.
Wenngleich sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Erinnerungsbänden der Aufdruck "Album" bzw. (später) "Poesie" durchsetzte, wurde in Einträgen - konkurrierend mit "Album" - lange Zeit auch noch der Terminus "Stammbuch" benutzt. Im Titel der gedruckten Musterkollektionen von Widmungstexten blieb letzterer vorherrschend, bisweilen begleitet von der parallelen Benennung "Album", die hier seltener allein auftrat. Auf "Poesiealben" beziehen sich die Titel der Spruchpublikationen regelmäßig erst seit Anfang der 1960er Jahre. Die vielleicht frühesten, isolierten Belege für vorgefertigte (und illustrierte) Gedenkbücher dieses Titels sind das in zwei Ausgaben erschienene "Poesie-Album" (Leipzig: Karrer 1888) sowie die Bändchen "Für Freundes Hand" und "Vergiß mein nicht", beide mit dem Zusatz "Ein Autographen- und Poesie-Album" (München: Stroefer 1890).