Vom Pudel aufm Bulldog und der Gefahr im Gleis
Autor: Anette Schreiber
Memmelsdorf, Sonntag, 23. August 2020
Mit dem E-Scooter bleibt er mobil , ganz ohne Arbeit geht es für Ludwig Einwich auch mit 83 nicht. Der Memmelsdorfer hat so einige Anekdoten auf Lager.
Auch mit 83 hat Ludwig Einwich noch ordentlich Schwung. Wenn er mit seinem Elektromobil zum FT-Interview erscheint und rasant mit seinen 7 km/h Spitzengeschwindigkeit stuntmäßig bei den Stühlen einparkt. Er musste einfach mal wieder raus, um was zu erleben, erklärt er und erzählt bereitwillig aus seinem arbeitsreichen Leben. Und sagt, wenn er die Wahl hätte, etwas anders zu machen, dann würde er weniger arbeiten "und jeden Tag spazieren gehen".
Doch bis wir an der Memmelsdorfer Hauptstraße mit dem Rentner ins Gespräch kommen, soll es dauern. Zwei Touristen aus Hessen warten auf den Bus und haben keine Zeit für ein Interview. Eine alte Dame, die hier ebenfalls abfahren möchte, hatte erst einen schweren Schicksalsschlag und bittet um Verständnis, dass sie jetzt nicht in der Lage ist. Dann treffen wir noch eine Gruppe Studenten aus Würzburg, die mit Gästen aus Italien schnell eine Kneipe suchen, etliche Leute auf dem Weg zum Arzt oder in die Apotheke, eine Audi-Fahrerin, die eh schon zu spät dran ist für die Arbeit, und eine Dame, die ihre Mutter zum Arzt fahren und zuvor noch mit dem Fensterputzen fertigwerden muss. Es ist also wieder einmal nicht leicht, den ersten, den man wo trifft, fürs Interview auf unseren Redaktionsstuhl zu bekommen.
Aber zum Glück hat dann Ludwig Einwich Zeit für uns. Er stammt aus einem Bauernhof in Meedensdorf, in den er als jüngster von drei Brüdern hineingeboren wurde. Das Arbeiten habe man als Bauernbub früh gelernt, sagt er. Das hat dann auch sein ganzes Leben geprägt.
Seine spätere Frau Anni hat er schon in der Schule in Memmelsdorf kennengelernt. Als Neunjähriger erlebte er nach dem Krieg den Einmarsch der Amerikaner. "Die sind mit ihren Panzern kreuz und quer gefahren, die Spuren hat man noch lange gesehen."
1961 heirateten Ludwig und Anni. Das Paar zog in den Bauernhof in Memmelsdorf. Denn die Braut war Einzelkind. "Wir richteten das Haus her und bauten einen Stall für die sechs Stück Vieh, die wir hatten", berichtet Einwich. Aber zum Leben reichte das nicht. Deswegen suchte er sich eine Arbeit: Beim Milchhof in Bamberg, wohin er mit dem Roller fuhr. Auto hat der Rentner bis heute keines. Denn nach neun Jahren Milchhof wechselte er zur Bahn und hatte da jede Menge Freifahrtscheine. Freilich hat er sie alle verfallen lassen - "ich hatte ja keine Zeit dafür". Schließlich gab es nach der Arbeit daheim immer noch genug zu tun.
Während die Tätigkeit im Milchhof sehr anstrengend war - jeden Tag musste Einwich 19 000 bis 21 000 Liter Milch mit der Kanne auf eine Metallrutsche kippen - war die bei der Bahn gefährlich. Dabei meint er nicht die Instandhaltung der Heizung in Bahnhof und Stellwerk, sondern die "im Gleis". Als Gleisreiniger in den Weichen. "Da wurden etliche Kollegen totgefahren", erinnert er sich. 29 Jahre und bis zu seiner Rente war der Memmelsdorfer bei der Bahn beschäftigt.
In seiner wenigen Freizeit engagierte er sich in einem kirchlichen Verein, dem Josefsverein. "Da bin ich jetzt der Älteste." Wobei er sich schon ein bisschen geärgert hat, dass es zum 80. nicht mal ein Kärtchen gab. Da müssen wohl die schönen Erinnerungen reichen: Wie die anderen Vereine aus der Gemeinde reihte sich auch der Josefsverein mit einem Wagen bei dem weithin bekannten Memmelsdorfer Faschingsumzug ein. "Und da ist unser schwarzer Pudel auf dem Bulldog gestanden." Das hat einer Zuschauerin aus Bamberg so gut gefallen, dass sie meinte, dieser Wagen sollte doch auch beim ersten Umzug in Bamberg mitmachen. Das tat man und fuhr dabei aus Sicherheitsgründen, so Ludwig Einwich, über Pödeldorf.
Inzwischen genießt er die Memmelsdorfer Umzüge vom Fenster aus, denn das mehrere Jahrhunderte alte Anwesen befindet sich an der Hauptstraße. Er hat es seit diesem Jahr dem Sohn überschrieben, er und seine Frau sowie und eine seiner zwei Töchter haben Wohnrecht.
In Memmelsdorf gefällt es Ludwig Einwich sehr gut: "Wir haben hier ja alles, ich gehe über die Straße und bin beim Bäcker." Jeden Freitag wird eingekauft, da fährt ihn der Schwiegersohn. Nur eines missfällt ihm - der neue Brunnen in der Hauptstraße. Diese befährt er mit seinem mobilen Untersatz. Den hat er seit einem Jahr, seit es mit dem Laufen nicht mehr so ging.
Als wir ihn treffen, befindet sich auch eine Sichel im Korb des Gefährtes - damit kann Einwich bei den Christbäumen ausgrasen. Darum kümmert er sich mit dem Schwiegersohn, die restliche Landwirtschaft ist verpachtet. "Und da schimpfen die Leute immer, dass die Bäume so teuer sind, das ist viel Arbeit." Denn etwa zwölf Jahre dauere es, bis man so einen Baum verkaufen kann.
Ob er denn in seinem Leben etwas anders gemacht hätte, wenn er es könnte? "Ja, weniger arbeiten", kommt es wie aus der Pistole geschossen. Aber damals kannte man es nicht anders. Bis auf eine Woche war er nie länger verreist. Als er von seiner Busreise erzählt und dass er sogar den Papst gesehen hat, leuchten seine Augen. Und was wünscht er sich? "Noch ein paar Jahre leben."
Der FT jeden Tag und ein Bier aus einer Brauerei aus der Umgebung, die er mit seinem Mobil erreicht, gehören für ihn dazu. Und "alle zwei, drei Sonntag Essen gehen beim Höhn", verrät er uns noch. Da sind auch schon unsere 60 Minuten um und Einwich macht sein E-Mobil startklar. "Ich muss raus, was sehen", meint er und staunt nicht schlecht, als die Dame, die gerade noch nebenan auf der Bank gesessen hat, einen Helm aufsetzt und der BMW F 650 GS die Sporen gibt. "Des Weib fährt jetzt Motorrad, ja so was", staunt er nicht schlecht und reizt dann die 7 km/h seines rollenden Untersatzes voll aus.