Druckartikel: Viel zu tun rund um den Kirchturm

Viel zu tun rund um den Kirchturm


Autor: Werner Baier

, Donnerstag, 04. Oktober 2012

Hirschaid startet in einen 15-jährigen Prozess der Gestaltung einer lebenswerten Heimat mit Zukunftsperspektiven.
Stadtplaner Klaus J. Schulz (links) und Bürgermeister Andreas Schlund (rechts) verspüren reges Interesse der Hirschaider an der Entwicklungsplanung der Marktgemeinde. Hier bei der Auswertung der Anmeldeformulare zu den Arbeitskreisen.     Foto: Werner Baier


Mehr als 50 Hirschaider ließen sich "anzünden" von der Idee, ihre Heimatgemeinde für die Zukunft zu rüsten. Angestoßen wurde ein etwa 15 Jahre währender Prozess der Modernisierung mit dem Ziel, Hirschaid für Jung und Alt attraktiv zu machen. Gelingt dies nicht, wird die ohnehin spürbar alternde Bevölkerung von jetzt 12 000 auf etwa 9500 schrumpfen. Davor warnte der Münchner Stadtplaner und Architekt Klaus J. Schulz, dessen Büro mit der Ortsentwicklung Hirschaids beauftragt worden ist. Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit den Bürgern bei der Ausformung zukunftsweisender Projekte, sagte Schulz. Und Bürgermeister Andreas Schlund (CSU) forderte die ganze Gemeinde auf, dabei an einem Strang zu ziehen. Man wolle die Ortsentwicklung innovativ, integriert und ganzheitlich betreiben, den Bürgern nicht wie früher üblich ein Konzept von oben überstülpen.

Diese Stoßrichtung verfolge auch der Marktgemeinderat einstimmig, berichtete Schlund. Er hofft, noch während seiner bis 2014 währenden Amtszeit die Weichen gestellt zu sehen.

Aufnahme in Städtebauförderung


Hirschaid wurde in die Städtebauförderung des Freistaates Bayern aufgenommen und erhält aus dem Projekt "Aktive Stadt- und Ortsteilzentren" Zuschüsse zu Maßnahmen in einer Vielzahl von Aufgaben. Dazu gehören folgende sieben Schwerpunkte: Kultur und Bildung, soziales Leben und Generationen, Wirtschaft und Einzelhandel, Freizeit/Sport/Erholung, Energie/Klimaschutz/Infrastruktur/Umwelt, Orte und Landschaft: Gestaltung und Nutzung sowie der Bereich Verkehr und Mobilität.

Der Aufruf von Bürgermeister Schlund und Koordinator Schulz, sich für die Mitarbeit in den nun entsprechend dieser Gliederung zu bildenden Arbeitskreisen zur Verfügung zu stellen, verfehlte seine Wirkung nicht: Aus den etwa 80 Teilnehmern der Auftaktveranstaltung gaben zunächst 51 Personen Anmeldeformulare ab; einzelne wollen sich in mehreren Arbeitskreisen einbringen. Bis zum 30. Oktober haben die Hirschaider Gelegenheit, sich noch anzumelden. (Formulare gibt's im Rathaus, es geht aber auch relativ formlos unter dem Kennwort "Arbeitskreise" per E-Mail an markt@hirschaid.de). Danach konstituieren sich die Arbeitskreise; sie werden fachkundig vom Büro Schulz und seinen Planungspartnern begleitet.

Eine umfassende Bestandsaufnahme der Bevölkerungsentwicklung, der Verkehrsströme und der Freizeiteinrichtungen, des Bildungsangebots, des Energiesektors und viel mehr liegt bereits vor. Auf der Basis dieser Daten sollen die Hirschaider gemeinsam mit den Kommunalpolitikern und den Experten bis November 2013 Ziele formulieren, die es hernach - wohl von einem neuen Bürgermeister und Marktgemeinderat - zu verwirklichen gilt. Soweit die Mittel reichen und der Staat sein Scherflein dazu beiträgt und als Wichtigstes die Ortsbewohner sowie die Gewerbetreibenden ihre Chancen erkennen und den Fortschritt mittragen.

Bausubstanz erhalten


Eine Ahnung von der Vielfalt der Aufgaben, die Hirschaid im Interesse seiner Lebenswürdigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zu lösen hat, bekamen die Besucher der Auftaktveranstaltung durch Kurzreferate der beteiligten Fachplaner. So muss nach Meinung von Stadtplaner Schulz untersucht werden, weshalb die Menschen lieber an die Ortsränder ziehen, während die Ortskerne sterben. Die Bausubstanz erhalten und den Energieverbrauch anzupassen, den Einzelhandel zu stärken und das kulturelle Angebot zu erweitern zählt Schulz zu den weiteren Vorhaben.

Der Wirtschaftsgeograf Peter J. J. Elspaß aus Jena will helfen, dass sich Hirschaid im Bamberger Raum behaupten kann. Dazu wäre es nötig, in jedem Ort über einen lokalen Händlerbesatz zu verfügen. Man dürfe nicht nur den Zuzug junger Familie im Auge behalten, sondern müsse auch Wohnformen für junge und alte Singles sowie für Alleinerziehende mit Kindern schaffen. Flankiert werden müsse dies durch eine gute Bildungslandschaft, ein weitgreifendes Sozialgefüge, ein vielfältiges Kulturangebot und ein intaktes Vereinsleben, erklärte Elspaß.

Dr.-Ing. Bernhard Michel von der "Cooperative Darmstadt" übernimmt den Fachbereich Energie und Klimaschutz. Dazu zählt er die technische Infrastruktur von der Wasserversorgung bis zum Lärmschutz, den Schutz der natürlichen Ressourcen bis zur "abfallfreien Gesellschaft". Weitere Themen können laut Michel die "barrierefreie Mobilität" für Behinderte, Senioren und Mütter/Väter mit Kinderwagen sein, ferner der Lärmschutz oder die Bewertung der Altlasten.

Biotope und Energielandschaften


Mit der Erhaltung und Stärkung der natürlichen Lebensgrundlagen will sich die Landschaftsarchitektin Almuth Boedecker, München, beschäftigen. Dazu braucht sie Orts- und Sachkundige sowie Einsatzfreudige aus der Gemeinde, weil ein Bogen gespannt werden muss: Das Aufgabengebiet reicht vom Schutz der Biotopverbundachse (Sandachse Franken) über die vielfältigen Grün- und Freizeitflächen bis zu den "Energielandschaften": Windräder, Sonnenkollektoren und Biomasseanlagen können die Landschaft verändern, meinte Boedecker; das müsse diskutiert werden.

Um die Funktion und Gestalt geht es dem Stadtplaner Ingo Quaas aus Weimar. Seiner Meinung nach muss sich auch Hirschaid der Innenentwicklung widmen, die Funktionen der Ortskerne stärken, Brachen nutzen und gemeinschaftliche Wohnformen fördern. Weitere Handlungsfelder sind demnach die Übergänge der bebauten Ortslagen in die Landschaft oder die weithin sichtbaren "Merkzeichen". Mit Bildern von markanten Kirchtürmen und dem unübersehbaren roten Stuhl illustrierte Quaas sein Themenspektrum.

Am Ende der Veranstaltung war allen klar: Hirschaid steht vor spannenden und interessanten Diskussionen. Ausnahmslos alle Gemeindebürger rief Andreas Schlund auf, daran mitzuwirken. Sie bekommen eine gute Gelegenheit, auch außerhalb des Gemeinderates Einfluss zu nehmen, mitzugestalten.