Druckartikel: Unter Strom: Geistertrassen durch Franken

Unter Strom: Geistertrassen durch Franken


Autor: Günter Flegel

Schweinfurt, Donnerstag, 30. Juli 2015

Schneller als sie es selbst für möglich hielt, hat die Staatsregierung die verhassten neuen Stromleitungen verschwinden lassen. Allerdings nur in der Schublade. Die Planungen gehen im Stillen weiter. Neue Konflikte sind schon jetzt absehbar.
Es geht doch: Dieser Hochspannungsmast am Berliner Ring in Bamberg zeigt, wie Freileitungen unter die Erde verschwinden. Bei ganz hohen Spannungen und langen Leitungen wird's schwieriger. Foto: Matthias Hoch


Aus den Monstertrassen sind Geistertrassen geworden: Die neuen Stromleitungen, an deren Ob und Wo sich seit Monaten vor allem in Franken die Gemüter erhitzen, sind in der Versenkung verschwunden. Bayern hat sich erfolgreich quergelegt. Die Skeptiker trauen dem Frieden an der Strom-Front nicht: Ist das Ruhe nach oder vor dem Sturm?
Auf den ersten Blick hat sich Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beim Koalitionsgipfel Anfang Juli durchgesetzt und die fränkischen Interessen vertreten: Es wird weder im Osten des Freistaats (Süd-Ost-Passage) noch im Westen (Südlink) neue Höchstspannungsleitungen auf kirchturmhohen Masten geben. Die künftigen Gleichstrom-Autobahnen sollen bestehende Trassen nutzen und weitgehend unter die Erde gelegt werden, mithin unsichtbar sein.

Die Wende und die Kröten

Das ist nicht die erste Wende bei der Energiewende in Bayern. Unmittelbar nach Fukushima hatte Seehofer, bis dahin einer der entschiedensten Freunde der Kernenergie, ebenso entschieden den raschen Ausstieg gefordert. Für die Energiewende, so kündigte er an, müssten auch die Bürger in Bayern Kröten schlucken, tausende Windräder und neue Stromleitungen.
Die Kröten stießen den Bürgern aber sauer auf. Die Proteste gegen die Windräder und Leitungen machten Bayern zum Bremsklotz: Erst kam mit der neuen Abstandsregel der Ausbau der Windenergie im Freistaat nahezu zum Erliegen; dann brachte Seehofer den Rest der Republik gegen sich auf, weil sein Nein zu neuen Stromleitungen die ganze Energiewende in Frage stellte: Wie soll denn der Strom aus den Windparks im Norden in den Süden fließen?

Horst, der Kürzere

Bei dieser Frage hat Seehofer in der Runde mit Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel den Kürzeren gezogen, auch wenn er sich als Sieger feiern lässt: Seehofer hat seinen Widerstand gegen die Stromtrassen aufgegeben und die Bürgerinitiativen in Ober-, Mittel- und Unterfranken vor den Kopf gestoßen, die in dem Ministerpräsidenten ihren stärksten Verbündeten sahen. Nicht einmal mehr von einer Prüfung des Bedarfs ist die Rede: Beide Leitungen werden gebaut. Punkt.
Das räumt Seehofer selbst ein; aber er verspricht, die Stromtrassen eben anders "verschwinden" zu lassen, durch Erdverkabelung (teuer) und die Nutzung bestehender Trassen (technisch schwierig). Damit düpiert er einmal mehr Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), deren letzte konkrete Aussage zu den Stromleitungen sinngemäß hieß, es sollten neue Wege für die Trassen gesucht werden. Leitungen also ja, und auch sichtbar, aber um Bayern herum ... Der Chef will's anders.

Berliner Dissonanzen

Seehofers Wunschkonzert in Berlin erzeugt freilich beim genauen Zuhören noch mehr Misstöne. Die Koalition hat nämlich gar nichts beschlossen. Sie hat die Netzbetreiber beauftragt, neue Trassenvorschläge zu machen. Das dauert. Für Erdkabel gelten ganz andere Vorgaben als für Freileitungen. "Wir fangen bei der Planung wieder bei Null an und verlieren zwei bis drei Jahre", sagt ein Sprecher des Unternehmens Tennet, das die Südlink-Trasse plant, die Unterfranken treffen oder tangieren wird, je nachdem.
Diese Trassenvorschläge hat die Bundesnetzagentur zu prüfen; das Ergebnis dieser Prüfung wird dann die Grundlage für ein neues Gesetz zum Netzausbau sein, in dem die Trassen endgültig festgezurrt werden. Wie viel Zeit dieses Verfahren in Anspruch nehmen wird, vermag heute niemand zu sagen. Seit fast zweieinhalb Jahren planen die Netzbetreiber die bisherigen Freileitungen ... das Ergebnis landet erst einmal in der Schublade, wenn nicht im Abfall.

Die Geister, die er rief ...

Spätestens mit dem neuen Netzgesetz wird Klarheit herrschen und die Ruhe vorbei sein: Auch die Trassen für Erdkabel sind mit 40 Metern Breite ein gewaltiger Einschnitt in die Landschaft. Die riesigen Konverterstationen, die aus Gleich- Wechselstrom machen, werden in jedem Fall gebraucht - auch in Franken. Und bei Mehrkosten in zweistelliger Milliardenhöhe für "unsichtbare" Trassen hat Seehofer monströse Geister gerufen, die er nicht mehr los wird.