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"Uferlos" will Stadtratskandidaten Fragen stellen


Autor: Sebastian Martin

Bamberg, Sonntag, 26. Januar 2014

Im Verein "Uferlos" sind 70 Schwule und Lesben organisiert. Ende Februar wollen die Mitglieder bei einer Diskussionsrunde ihre Fragen den Kandidaten zur Stadtratswahl stellen.
Martin Claß Foto: Matthias Hoch


Es war im Jahr 1979, als sich Homosexuelle im Gästezimmer des erzbischöflichen Jugendamtes in der Kleberstraße trafen, um einen Verein zu gründen. Ausgerechnet dort - wird sich mancher denken. Seitdem gibt es den Verein "Uferlos" in Bamberg. Dass Schwulsein auch im Jahr 2014 noch ein schwieriges Thema ist, lässt sich daran erkennen, dass der Verein in seinem Mitgliedermagazin Fotos unterschreibt mit: "Die Darstellung der Personen auf unseren Bildern gibt keinerlei Aufschluss über ihre sexuelle Orientierung". Seit drei Jahren ist Martin Claß Vorsitzender. Der 42-Jährige hat kein Problem damit, sich zu zeigen.

Wie lebt es sich als Schwuler in Bamberg im Jahr 2014?
Martin Claß: Schon ein bisschen besser als zu der Zeit, als ich mich geoutet habe. Kurz nach meinem 18. Geburtstag habe ich das bei meinen Eltern getan. Die haben es damals sehr locker aufgefasst, weil bei ihnen auf der Arbeit bereits ein Schwulenpärchen war.

Haben sie in Bamberg negative Erfahrungen als Schwuler gemacht?
Ich selber habe in der Hinsicht eigentlich nie was Negatives erlebt. Wenn wir von Uferlos zum Beispiel beim Bamberger Faschingsumzug dabei sind und die Leute uns sehen, finden die das eher super.

Sie haben sich im vergangenen Jahr an der weltweiten Aktion gegen Homophobie mit einem "Rainbowflash" in Bamberg beteiligt. Was wollten Sie damit erreichen?
Wir wollten für Toleranz werben und zeigen: Wir sind da.

Braucht man das heute noch, dass man Toleranz fordert?
In der jetzigen Gesellschaft immer noch, ja.

Wie waren die Reaktionen auf den "Rainbowflash"?
Wir wurden von vielen angesprochen, die nicht wussten, dass es uns gibt. Die Reaktion war auch da positiv. Nur einmal gab es vor Jahren Probleme, als wir im Jugendzentrum Veranstaltungen organisiert haben. Das kam aber hauptsächlich von Jugendlichen - von Erwachsenen kam nie etwas. Auch mit der Stadt haben wir nie ein Problem gehabt. Der Oberbürgermeister setzt sich sehr für uns ein.

Als sich der ehemalige Fußball-Profi Thomas Hitzlsperger Anfang Januar geoutet hat, wie haben Sie das aufgefasst?
Man hat ja schon lange darauf gewartet, dass sich ein Fußballspieler outet. In anderen Sportarten gibt es viele, die das schon lange getan haben. Das ist aber nie so hochgepusht worden. Zum Schluss fand ich es dann schon nervig, weil in jeder Nachrichtensendung das erste Thema Hitzlsperger war - irgendwann war das einfach zu viel.

Sind Prominente wie Hitzlsperger dennoch wichtig?
Ja, weil der Schritt sehr mutig ist.

Würden Sie jedem heute zum Coming Out raten, damit man für mehr Offenheit sorgen kann?
Es ist schwierig, jedem zu raten: oute dich! Denn sehr viele sind in Familien, die katholisch sind. Da kann sehr viel schief gehen mit dem Coming Out. Viele werden von ihren Familien ausgestoßen. Da muss man vorsichtig sein. Für jemanden, der in einer hohen Position ist und sich später outet, kann es auch gefährlich sein. Man muss sich wirklich überlegen, ob man das macht. Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn man im Siemens-Vorstand ist und sich dann outet.

Wie kann Ihr Verein zu mehr Offenheit beitragen?
Zwei Tage nach dem Coming Out von Thomas Hitzlsperger haben wir eine Mail bekommen von einem, der sich nicht sicher war, ob er schwul ist oder nicht. Dafür ist Uferlos auch da. Wir unterstützen ihn und helfen, das herauszufinden. Das Outen muss er dann aber selber machen.
Den Verein gibt es seit 35 Jahren. Hätten Sie den Mut gehabt, sich in den 70er Jahren zu outen?
Schwer zu sagen (überlegt). Ich habe Ende der 90er vier Jahre lang auf dem Dorf gelebt, was ich damals witzig fand: Das Dorf hat getratscht über zwei, die schwul waren. Der eine war ein bisschen tuntig, der hat das Klischee also voll erfüllt. Die beiden wurden im Ort deswegen etwas geschnitten. Bis irgendwann rausgekommen ist, dass ich mit meinem Freund dort wohne...

Und dann?
Dann haben wir uns geoutet. Und irgendwann waren wir auch Gesprächsthema im Ort, und die Leute haben gesagt: "Von euch hätten wir das nicht gedacht. Ihr lebt ja ganz normal." Dann haben wir gemeint: "Ja, es gibt auch ganz Normale." Komischerweise wurden die anderen beiden dann auch integriert.

Läuft das immer so problemlos ab?
Ich hab mehrere Coming Outs erlebt. Vielen hat es gut getan. Sehr viele haben gesagt, sie haben den Schritt bereut. Sie sind weggezogen und haben woanders neu angefangen. Ob die noch Kontakt zur Familie haben, weiß ich nicht.

Wird Ihr Verein jetzt politischer?
Wir versuchen wieder stärker politisch einzuwirken, ja.

Woher kommt das?
Weil wir merken, dass sehr viele uns nicht kennen. Das ist das, was wir mit dem "Rainbow-flash" machen wollen: Öffentlichkeitsarbeit.

Warum engagieren Sie sich?
Das frag ich mich auch manchmal (lacht). Nein: Ich mache es, weil es mir Spaß macht, und weil ich mit meinem Schwulsein kein Problem habe, in der Hoffnung, dass ich anderen helfen kann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass die Politik das macht, was sie seit fünf Jahren machen will: Für eine Gleichstellung von Homosexuellen im Steuerrecht und Adoptionsrecht zu sorgen. Solange die Politik nicht einlenkt, wird es in der Bevölkerung nicht komplett akzeptiert.