Druckartikel: Tuvia Tenenbom entlarvt den deutschen Antisemitismus

Tuvia Tenenbom entlarvt den deutschen Antisemitismus


Autor: Rudolf Görtler

Bamberg, Donnerstag, 20. November 2014

Der amerikanische Autor israelischer Herkunft hat mit seinem Buch "Allein unter Deutschen" einen viel diskutierten Erfolg gelandet. Dann bewegte er sich "Allein unter Juden". Ein weiteres Mal provoziert Tuvia Tenenbom mit diesem Buch. In Israel ist es bereits ein Bestseller.
Tuvia Tenenbom Foto: Rudolf Görtler


Das war schon ein ungewöhnliches Aufgebot, das da zur Lesung im Buch- und Medienhaus Hübscher saß: Nicht nur, wie gewohnt, der Autor, sondern eine ganze Kavalkade an Begleitern und Übersetzern. Denn Tuvia Tenenbom, 57, Journalist, Schriftsteller, Dramatiker, Theaterleiter, versteht zwar Deutsch, spricht es aber nicht - so oblag es den Bamberger Anglisten Susan Brähler, Christoph Houswitschka und Pascal Fischer, seine Texte vorzutragen, verstärkt durch den mit Tenenbom befreundeten Künstler Viktor Sanovec und den Übersetzer Alexander Debney.

Angesagt war nicht nur eine Lesung mit ehrfurchtsvollen Fragen danach, sondern eine Diskussion mit dem Autor. Denn Tenenbom ist einer, der lustvoll provoziert. Geboren in Tel Aviv als Spross einer deutsch-polnischen Familie jüdischen Glaubens, der Vater ultraorthodoxer Rabbiner, wanderte er als junger Mann nach New York aus und gründete dort das "Jewish Theater of New York". Vor zwei Jahren dann tauchte Tenenbom mit seinem Buch "Allein unter Deutschen" auf und erregte einiges Aufsehen damit, auch weil dem ursprünglich angepeilten Verlag einige Passagen offenbar zu brisant waren. Tenenbom schreibt seither unter dem schönen Titel "Fett wie ein Turnschuh" Kolumnen für die "Zeit" und veröffentlichte dieser Tage "Allein unter Juden", eine Reportagereise durch Israel in 55 Stationen, ganz ähnlich dem Vorgängerband, als der Autor seine Begegnungen mit Deutschen vom Neonazi bis zur grünen, pazifistischen Feministin festgehalten hatte.

Eben dieses Kapitel lasen Susan Brähler und Pascal Fischer im Dialog. Mit galligen Fragen entlarvt Tenenbom eine naive Friedensfreundin Gitti, die in Duisburg-Marxloh neben einer Moschee einen Rosengarten angelegt hat, um die Konfessionen miteinander zu versöhnen, und dabei über den Judenhass ihrer muslimischen Freunde großzügig hinwegsieht: "Was sie beschützen, ist nicht der Koran oder der Islam, da sie von beidem keine Ahnung haben ... Hier sind Deutsche, die die Schande, die Judenmörder von gestern zu sein, dadurch auslöschen wollen, dass sie sich mit den Judenhassern von heute zusammentun", resümiert Tenenbom.


Unfaire Berichterstattung


Was schon erhellt, worum es dem Autor ging und geht: Er will den Antisemitismus weltweit, vor allem jedoch in Deutschland kenntlich machen. Er praktiziert kritische Solidarität mit Israel und entlarvt die unfaire Berichterstattung der meisten Medien, die, so Tenenbom, nach der Maxime arbeiten: "Erwisch den Juden, wenn er irgendwas falsch macht!" Seine Methode ist teilnehmende Beobachtung. Was im Falle des Israel-Buchs bedeutet, in Lederhose als "Tobi der Deutsche" oder als Araber Abu Ali scheinbar naiv durchs Land zu fahren und das Gespräch mit allen zu suchen, mit Israelis, Palästinensern, westlichen NGO-Mitarbeitern, ohne Hemmungen und Angst, sich lächerlich zu machen.

Lächerlich in gewisser Weise sind die Beobachtungen Tenenboms bei der Feier des palästinensischen Unabhängigkeitstags mit dem Präsidenten des Palästinensischen Olympischen Komitees Dschibril ar-Radschub, einem vorgelesenen Kapitel aus dem Israel-Buch. Da wird vor den Fernsehkameras ein Aufstand inszeniert, der wieder einmal zeigt, wie brutal die Israelis vorgehen. Dass gleichzeitig aus den Lautsprechern unaufhörlich auf Arabisch brüllt "Allah ist mit euch. Tötet sie!" (die Juden), bekommt keiner mit.

Lächerlich und doch wieder traurig. In der Diskussion präzisierte Tenenbom seine Positionen - leider hatte der Übersetzer Schwierigkeiten, die hervorsprudelnde israelisch-amerikanische Suada konzis zusammenzufassen. Deutschland sei von den 106 000 deutschen Juden geradezu besessen, sagte der Schriftsteller, und Israel werde insbesondere in Europa harsch kritisiert. Die meisten seiner Argumente leuchten sofort ein: Warum interessiert sich zumal die deutsche Öffentlichkeit so brennend für diesen Konflikt, während ihr das viel größere Elend in etlichen Teilen dieser Welt herzlich egal ist? Wie kann man als Korrespondent aus Israel berichten und weder Hebräisch noch Arabisch sprechen? Warum wimmelt es in Israel von NGOs (Nichtregierungsorganisationen)? Warum kümmert sich die Linke statt um die Armen in der Nachbarschaft wie zwanghaft um die Palästinenser?
Freilich deprimiert die Antwort auf die Frage nach der israelischen Siedlungspolitik: Die Bildung von Nationen sei immer mit Gewalt verbunden gewesen. Jedoch ist ein Abend mit Tuvia Tenenbom erfrischend: als Antidot gegen latenten oder manifesten Antisemitismus, als Medienkritik und Erkenntnisgewinn, der zudem noch außerordentlich witzig daherkommt.