Traum vom Monster am Haken

Wenn sich Andrè Schmitt nachts schlafen legt, träumt er vom Fischen. Von "Monstern" aus der Tiefe, die an seiner Angelrute beißen, zerren, mit ihm kämpfen. Von "Ungeheuern", wie er sie nennt, meterlange Fische mit messerscharfen Zähnen im Maul. Manchmal sind es Alpträume, die ihn aus dem Schlaf reißen. Aber nicht nur, denn auch von Titeln und Erfolgen träumt er. Davon, Preise und Medaillen in die Luft zu strecken.
Vor allem ein Traum hat sich schon lange in Andrès Kopf festgesetzt. Festgebissen wie ein hartnäckiger Fisch, der nicht mehr loslässt: einen europäischen Titel im Sportangeln gewinnen. Ein Wunsch, der für Andrè vor wenigen Wochen in Erfüllung ging. Denn zusammen mit seiner Teampartnerin hat er die Lure Masters 2018 in den Niederlanden gewonnen. Ein Wettbewerb, wo nur die besten Angler Europas antreten.
Sortangeln, das bedeutet nicht gemütlich am Seeufer sitzen, die Angel ins Wasser halten und geduldig warten, bis ein Fisch anbeißt. Das, was Andrè seit zwei Jahren im Profibereich macht, "ist verrückt", sagt der 36-Jährige und lacht. Dann holt er sein Smartphone heraus, sucht ein Video auf Facebook, das bei dem diesjähigen Wettbewerb aufgenommen wurde. 60 Schnellboote schwimmen auf dem Wasser und warten auf das Startsignal des Schiedsrichters - die Ruhe vor dem Sturm. Irgendwo im Hintergrund befindet sich auch Andrè, bereit, Gas zu geben und mit den Kontrahenten um die vorderen Plätze zu kämpfen.
"Los", heißt es plötzlich. Die Motoren dröhnen. Der Wind peitscht. Alle 60 Teams fahren gleichzeitig los. Pures Chaos. "Du hast das Gefühl gleich von Bord zu fallen", beschreibt Andrè, wie es sich anfühlt, mit 130 km/h Höchstgeschwindigkeit über das Wasser zu rasen.
Es muss schnell gehen. Die besten Plätze auf dem Gewässer sind sonst belegt, wenn Andrè nicht sofort dort ankommt. Ab diesem Punkt zahlt sich dann seine Erfahrung aus. Und die genaue Vorbereitung. Denn bis aufs kleinste Detail hat Andrè und sein Team das Gewässer im Vorfeld untersucht, haarklein studiert wie ein Wissenschaftler. Der Vergleich bietet sich an, denn "Sportangeln ist wirklich wie eine Wissenschaft", verrät der Drosendorfer. Sämtliche Messgeräte befinden sich bei Andrè an Bord. Sowohl während der Vorbereitung, als auch am Wettkampftag. Geräte zur Bestimmung der Temperatur, des Sauerstoffs, GPS-Geräte, auch ein Notizbuch. Darin stehen Fische mitsamt Größe und Koordinaten, wo Andrè sie gefangen hat.
Viele Stunden im Fitnessstudio
Ganz genau schreibt Andrè in seiner Vorbereitung auf, was er für den Wettkampf wissen muss. Deswegen überlegt er nicht lange, wo er mit seinem Schnellboot hinfahren muss. Sobald ein Fisch anbeißt, zahlen sich auch die vielen Stunden im Fitnessstudio aus. Solche dicken Fische aus dem Wasser ziehen, kostet Kraft. Kraft, welche sich Andrè regelmäßig antrainiert, um im Zweikampf gegen das Tier bestehen zu können. Die Selbstdiziplin sei mehr als die halbe Miete, fasst der Sportangler zusammen. Auf den Rest hat er in der Regel keinen Einfluss. "Die letzten zehn Prozent des Erfolges sind Glück", erklärt Andrè.
Glück, welches bei den Lure Masters lange ausblieb und für viel Anspannung an Bord sorgte: Es ist der letzte Tag eines drei Tage dauernden Wettbewerbs. Und bisher läuft es für Andrè und sein Team gut. Es braucht nicht viel und die Anforderungen sind erfüllt. Dazu gehört unter anderem, dass die Sportler insgesamt drei Hechte aus dem Wasser ziehen müssen. Der Knackpunkt ist jedoch, dass diese zusammengerechnet einen Durchschnitt von einem Meter Länge haben müssen. Für viele Angler überhaupt ein Traum, in ihrem Leben einen so langen Hecht in ihren Händen halten zu dürfen.
Obwohl Andrè überall im Soll ist, bereiten ihm die Hechte bis zum Schluss Kopfzerbrechen. Der erste von dreien war unterdurschnittlich. Der zweite lag über dem Durchschnitt. Auf den letzten kommt es an. Ein Meter oder mehr. Währenddessen ist die Last, die auf Andrès Schultern liegt, groß. Seine Sponsoren zählen auf ihn, seine Freunde, seine Familie, sie alle fiebern mit. Ein paar Zentimeter liegen zwischen Preisgeld und der Enttäuschung, leer auszugehen. Dann zieht etwas an der Leine. Es sind die letzten zehn Prozent. Einen Hecht zieht Andrè aus dem Wasser. 1,01 Meter lang. Erleichterung.
Den Titel kann Andrè keiner mehr nehmen. Sein Traum hat sich erfüllt. Doch nur mit viel Aufopferung: "Ich habe in drei Tagen vier Kilo abgenommen nur wegen des Wettkampfes", verrät der 36-Jährige, "Essen, Trinken, Schlafen ist da Nebensache. Es zählt nur noch das Fischen", meint er. Andrè Schmitt sagt das mit einer Selbstverständlichkeit. Einer Selbstverständlichkeit, welche ihn überhaupt zum Angeln gebracht hat. Denn der Drosendorfer kann sich auch nicht erklären, woher das kommt. Etwas, was tief in ihm ein Feuer entfachte. Etwas, was seine Faszination fürs Angeln weckte, als er mit drei Jahren mit seinen Eltern im Urlaub an der Ostsee war. Ihn im Kindergarten mit Angelruten spielen ließ. Und ihn schließlich zu einem europäischen Titel verhalf.
"Ich möchte auf dem Level bleiben, bis es nicht mehr geht", sagt er über seine Zukunft als Sportangler. Die Europameisterschaft gewinnen, das steht als nächstes auf seiner Liste. Vielleicht sogar irgendwann eine Weltmeisterschaft. Andrè Schmitt hört nicht auf zu träumen. Trotzdem könne sich der Drosendorfer nicht vorstellen, sich hauptberuflich dem Sport zu widmen. Als gelernter Physiotherapeut mit eigener Praxis habe er sich etwas aufgebaut, was er nicht so einfach aufgeben könne, verrät er. "Karriere als Sportfischer kann man nur in Amerika machen, wo auch das Gehalt stimmt", sagt der 36-Jährige.
Begeisterung weitergeben
Dazu müsste er zu viel hinter sich lassen. Vor allem seine Familie. Seit zehn Monaten hat Andrè eine kleine Tochter. Voller Stolz hat er sie schon mit aufs Wasser genommen, damit sie zusammen angeln gehen. "Vielleicht kann ich die Begeisterung an sie weitergeben", sagt der Drosendorfer schmunzelnd. Und vielleicht träumt sie auch schon von Fischen, genau wie ihr Papa. Wenn Andrè sie nachts ins Bett bringt, geht er noch, ehe er sich auch schlafen legt, für ein paar Stunden in den Keller. Und bastelt an Ködern. Die Vorbereitungen für die neue Saison laufen.