Druckartikel: Toleranz heißt vor allem Respekt

Toleranz heißt vor allem Respekt


Autor: Corinna Tübel

Bamberg, Sonntag, 15. November 2015

Am 16. November ist der "Internationale Tag für Toleranz". "Ich muss nicht jedermann sympathisch finden, aber ich darf niemandem seine Würde absprechen", sagt Marietta Eder vom "Bündnis gegen Rechtsextremismus".
Marietta Eder  Foto: pr.


Pro Asyl, anti Asyl: Nach den Demonstrationen und Aufmärschen in Deutschland will heute der "Internationale Tag für Toleranz" zu vorurteilsfreiem Denken und Handeln aufrufen. In Bamberg ist der interkulturelle Austausch groß, gegen menschenverachtende Gesinnung wird angekämpft - dennoch herrscht noch mehr Handlungsbedarf. Wir haben mit Marietta Eder vom "Bündnis gegen Rechtsextremismus" gesprochen:

Was ist Toleranz?
Toleranz ist für mich nicht nur das Erdulden einer anderen Glaubensrichtung. Sie ist vielmehr Respekt und Wertschätzung der Vielfalt in unserer Welt und das Wissen, dass man von dieser auch etwas zurückbekommen kann.

Wo begegnet sie uns?
Sie begegnet uns täglich, wenn wir das Haus verlassen.

Im Zug beispielsweise bringe ich anderen Mitfahrern auch Respekt entgegen, wenn sie anders agieren als ich selbst: Sie hören Musik, sie rascheln mit der Zeitung, die schauen aus dem Fenster. Aber auch auf der Arbeit im Betrieb soll beispielsweise Toleranz zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten gelten. Ein Wunsch vieler ist zum Beispiel auch ein kleiner Gebetsraum für verschiedene Religionen - je nach Möglichkeiten des Betriebs.

Wo liegen die Grenzen von Toleranz?
Wenn sie menschenfeindlich wird! Wir haben Grundwerte, -rechte, -bedürfnisse und -gesetze, deshalb müssen wir gegen alles, was Menschen das Recht zu leben abspricht, ankämpfen. Das fängt bei zunächst klein erscheinenden Diskriminierungen der Frau - zum Beispiel in Form ständiger Sexwitze - an und geht bis zu rechten Aktionen, die den Tod anderer Menschen zum Ziel haben.

Wie tolerant soll man gegenüber Nicht-Toleranten sein?
Generell sollte man erst einmal ehrlich sich selbst gegenüber sein: Wir leben natürlich in Schubladen, wie man so schön sagt. Beim Fußball zum Beispiel hat man schnell einmal Vorurteile: Diese Erfolgsfans! Die hässlichen Gegner usw.! Man sollte hier viel öfter reflektieren und nicht den Inhalt seiner Äußerungen durch die Situation entschuldigen. Natürlich gibt es auch positive Diskriminierungen oder Schubladen-Denken: Man sagt doch auch oft, alle Brasilianer können gut tanzen!
Wenn einem allerdings menschenverachtender Hass entgegenschlägt, muss man handeln. Nicht nur unser Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus hält hier mit verschiedenen Aktionen entgegen, die von der Bevölkerung stark unterstützt werden. Aber auch unser Rechtsstaat muss seine Instrumente besser nutzen: Warum stehen nachweislich führende NPD-Anführer noch nicht unter Anklage oder Gericht?

Ist Toleranz erlernbar?
Ja, ist sie! Ich muss mir immer wieder vergegenwärtigen: Was soll unsere Gesellschaft sein? Wie soll sie funktionieren? Darüber muss ich mir bewusst werden und das auch diskutieren. Nehmen wir als Beispiel das Rauchverbot in Bayern: Es gibt nun eigene Raucherbereiche auf den Bahnsteigen. Viele Nichtraucher beschweren sich aber darüber, dass der Rauch aus dieser Zone zu ihnen herüberweht. Raucher prangern dagegen an, dass sie ohnehin viel zu weit und eng abgeschoben worden sind. Mehr Toleranz ist gefragt. Das ist ein Prozess und braucht Zeit, der aber vor allem durch das ständige Vergegenwärtigen lebt!

Wie tolerant ist die Bamberger Gesellschaft?

Bamberg ist Welterbestadt, hat eine Universität, sehr viel Tourismus und sicherlich auch viele verschiedene Arbeiternationalitäten in den großen Betrieben. Diese Vielfalt lebt durch den Austausch im Job, der Freizeit oder in der Kneipen. Aber es gibt leider auch seit rund eineinhalb Jahren wieder rechtsextreme Umtriebe in Bamberg. Kameradschaftszusammenkünfte und kleinere Wahlerfolge rechts tendierender Parteien existieren ebenso.

Wie konnte sich solches Denken und Handeln entwickeln?

Zum Glück sind etwa aktuelle deutschlandweite Wahlerfolge der AfD nicht in großem Maß auf Bamberg umgebrochen. Generell werden aber auch bei uns Dauerprobleme wie Altersarmut, Globalisierung oder Werkverträge von Asylgegner dazu genutzt, um diese Unzufriedenheit der Bevölkerung gerade auf Flüchtlinge als Schuldige abzuwälzen. Flüchtlinge kommen nur, um in unseren sozialen Hängematten herumzuliegen, habe ich erst vor kurzem gehört.
Viele Deutsche haben berechtigterweise Zukunftsangst, aber an solchen Problemen ist keine bestimmte Gruppe von Menschen schuld. Es ist eine rein politische Problematik.

Was ist heute anders als vor Jahrzehnten?

Neu ist, dass sich die bisherige Feindschaft innerhalb einzelner rechter Gruppierungen scheinbar teilweise auflöst zu Gunsten eines großen Ziels: Alle hetzen zusammen!

Wie kann man als Einzelner dagegen ankämpfen?
Alles, was in unserem Grundgesetz, der Bibel, den zehn Geboten und so Vielen mehr steht, muss gelebt werden! Ich muss nicht jedermann sympathisch finden, aber ich darf niemandem seine Würde absprechen. Dazu gehören vor allem Sicherheit, menschenwürdiges Wohnen und der Zugang zu Bildung.

Tritt notwendige Toleranz in anderen Bereichen auf Grund der derzeitigen Asylthematik in den Hintergrund?
Ich persönlich denke, das ist alles eine soziale Frage. Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder Sprache bezahlbaren Wohnraum zu bieten, darf nie hintenan stehen - aber keiner leidet hier, nur, weil viele Flüchtlinge da sind. Es wird eher zu einer politischen Frage, sobald nach den Kosten hierfür gefragt wird. Lösungen würden mir in diesem Hinblick viele einfallen: Warum wird in Deutschland Arbeit generell immer mehr versteuert als Kapitalvermögen, Erbschaften etc.?"

Worüber sollte man heute am "Internationalen Tag für Toleranz" besonders nachdenken?
Wo habe ich selbst die Scheuklappen auf? Wie begegne ich meinen Kollegen und Mitmenschen?
Wer sagt, er habe keine Vorurteile, der lügt. Aber je mehr ich über Respekt und Wertschätzung nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, wie ich selbst behandelt werden möchte.

Die Fragen stellte Corinna Tübel.


Ursprung Der "Internationale Tag für Toleranz" geht zurück auf den 16. November 1995, als 185 Mitgliedsstaaten der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) die Erklärung der Prinzipien zur Toleranz unterschrieben. Seitdem soll jedes Jahr am 16. November an jene Regeln erinnert werden, die ein menschenwürdiges Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und Religionen ermöglichen.

Bündnis Das "Bamberger Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rassismus" ist ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis von Bamberger Organisationen und Einzelpersonen, das sich aktiv für ein demokratisches, respektvolles, weltoffenes und solidarisches Bamberg und gegen alle Formen des Rassismus und der Ausgrenzung einsetzt.