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Theater Wildwuchs - extrem und unbequem


Autor: Petra Mayer

Bamberg, Montag, 21. Oktober 2013

"angriffe" nennt sich das neue Stück der Theatergruppe Wildwuchs, die damit in Bamberg ab 2. November in die Offensive geht: Gesellschaftskritische Fragen werfen die Protagonisten auf - bis hin zur Kriegsberichterstattung als Abendunterhaltung.
Therese Frosch, Sebastian Stahl und Daniel Reichelt spielen unter der Regie von Frederic Heisig. Foto: Thomas Amm


Aufnahmen hungernder Flüchtlinge. Szenen brutaler Gewalt aus Krisengebieten wie Syrien oder dem Irak. Bilder von Terroranschlägen, Naturkatastrophen, von einem Super-Gau wie in Fukushima: Näher denn je sind Zuschauer am Weltgeschehen und genießen zur Live-Berichterstattung ihr Abendessen. Nichts als Informationsdrang oder doch Schaulust, ja Voyeurismus? Wo beginnt die Sensationsgier, die jeder entrüstet von sich weist?

"angriffe" nennt sich ein Stück der Bamberger Theatergruppe Wildwuchs, das unbequeme Fragen stellt statt das Publikum mit leichter Kost zu unterhalten. Die Normalität des Absurden rückt in den Fokus. "Wobei es uns nicht darum geht, Botschaften zu übermitteln oder gar Antworten zu geben.

Jeder sollte am Ende eigene Schlüsse ziehen", so Frederic Heisig als Wildwuchs-Regisseur und Dramaturg.

Fragen nach dem großen Ganzen

Wie kommt Wildwuchs dazu, über den Tellerrand zu blicken und sich mit Fragen nach dem großen Ganzen zu befassen? "Angefangen haben wir 2009 als studentisches Theater", berichtet Heisig, der nach seinem Abschluss als Germanist am Leipziger Centraltheater und Theater Bonn Dramaturgieerfahrungen sammelte. "Wir wagten uns gleich an anspruchsvollere Texte, hatten diese Neigung zum existenziellen und absurden Theater", erinnert sich der 30-Jährige.



Der Inszenierung von Samuel Becketts "Warten auf Godot" folgte Sartres "Geschlossene Gesellschaft" und Albert Camus' Drama "Die Gerechten". Keine leichte Kost. "Aber wir bekamen eine Wahnsinnsresonanz." In mehr als eine Richtung entwickelte sich die Gruppe weiter, erarbeitete neue Formen und Formate: Performances zeigte die alternative Bühne, lud zu Prosa-, Lyrik- und Liedgut-Abenden, die im Morphclub, Jazzkeller, Palais Schrottenberg und anderen Locations stattfanden.

Palais Schrottenberg als feste Spielstätte?

Ja, und in der einstigen Residenz der Freiherren von Schrottenberg möchte Wildwuchs nun Wurzeln schlagen: "Wir würden gerne ein kontinuierliches Programm mit den Verantwortlichen erarbeiten und unser Theater zu einer Institution machen", meint Heisig. Bis zu sechs Produktionen könne man in einer Spielzeit in der Spielstätte zeigen. Auch würde Wildwuchs gerne andere Theatergruppen, Literaten und Bands präsentieren. Aber das ist bislang noch Zukunftsmusik, während die Premiere von "angriffe" am 2. November näherrückt.

Wieder widmen sich die Akteure einem experimentellen Stück: Protagonisten aus unterschiedlichsten Studienbereichen - von Germanistik über Philosophie, Kunst und Pädagogik bis hin zur Musik. "Was uns zusammenhält, ist die Freude am Theaterspiel", meint Heisig. Und offenbar auch der Hang, sich mit schwierigen gesellschaftlichen Themen zu befassen. "Tatsächlich wurden die Medienberichte über Afghanistan, Syrien und den Irak zur Initialzündung für ,angriffe'." Welten stünden sich gegenüber, die bundesdeutsche Realität im Gegensatz zu Not und Elend in fernen Ländern. Nur sei vieles längst so selbstverständlich, dass sich darüber die wenigsten noch Gedanken machen. "Wir sprechen Dinge an, um sie Zuschauern bewusst zu machen."



Auch "Angriffe" auf die Gesellschaft thematisiert Wildwuchs. So tragen Menschen, die mit der weltweiten Kluft zwischen Arm und Reich nicht leben können, den Terror ja mitunter ins eigene Land. Und mit "Angriffen" auf die Kunst befasst sich das Stück, das die Frage nach der Definition und somit Freiheit aller Kunstschaffenden aufwirft.

Noch wilder

",angriffe' wird noch etwas wilder werden, noch experimenteller, als man es von uns bisher kannte", sagt Frederic Heisig. "Wir möchten unsere Grenzen kennenlernen und die des Publikums, darum geht's auf der Bühne schließlich." Beispielsweise folgen die Protagonisten in dem Stück keiner vorgegebenen Handlung, sondern spielen mit dem Plot - aus ungewohnter Perspektive. Beispielsweise werden Rollen als permanente Suche nach der Rolle angelegt. Darüber hinaus gibt's Verlinkungen zu früheren Stücken, die bei vielen sicher ebenfalls Fragen aufwerfen.

Aber darum geht's Wildwuchs schließlich: mit der Macht der Gewohnheit zu spielen, sie zu brechen und Menschen auf diese Weise vielleicht wieder philosophieren zu lassen.