Theater im Gärtnerviertel zeigt Stück über Cybermobbing
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Freitag, 08. April 2016
"Like Me" ist in der Alten Seilerei auf dem ehemaligen Schaeffler-Gelände zu sehen. Erwachsene Besucher sollten sich in der digitalen Welt auskennen.
Erwachsene Besucher des für Jugendliche konzipierten Theaterstücks "Like Me" seien gewarnt. Beziehungsweise Leute, die man "Digital Immigrants" nennt. Wie bitte? Das ist das Gegenteil von "Digital Natives", also Menschen, die mit PC, Internet, Smartphone usw. aufgewachsen sind. Während sich die "Immigrants" die neuen Techniken mühsam aneignen mussten.
Was das mit "Like Me", dem aktuellen Jugendstück des Theaters im Gärtnerviertel, zu tun hat? Sehr viel. Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht, wird feststellen, dass z. B. ein junges Mädchen ohne Smartphone in der Hand gar nicht mehr denkbar ist. Und Eltern werden sich mit der suchtartigen Verfallenheit ihrer Sprösslinge an all den digitalen Plunder gehörig herumärgern. Der nicht nur mehr oder minder harmloser Zeitvertreib ist, sondern tödliche Folgen zeitigen kann.
Das ist das Thema von "Like Me" - natürlich eine deutliche Anspielung auf die notorischen Facebook-"Likes" und ein gar nicht dummes Wortspiel in diesem von Thomas Paulmann und dem Schauspieler-Ensemble in mehrmonatiger Arbeit entwickelten gut einstündigen Drama, das ausdrücklich auch für die Aufführung in Schulen konzipiert worden ist. Vorerst jedoch dient die Alte Seilerei auf dem ehemaligen Schaeffler-Gelände als Bühne des von Nina Lorenz inszenierten Stücks; die Musik, wummernder Techno, stammt von Jakob Fischer.
Es ist eine karge Bühne, klugerweise, denn in Schulzimmern sind Kulissen und Requisiten nur Ballast. Vier beleuchtete Würfel, Smartphones, Selfie-Stick, Tablet: Das genügt. Das ist auch gut so, Theater pur, was manches große Haus verlernt hat. Wir sehen also ein junges Darsteller-Trio als Luisa (Elena Weber), Melanie (Olga Seehafer) und Jan (Martin Habermeyer), das dem Tod einer Mitschülerin nachspürt, sich teils vor einem imaginären Tribunal rechtfertigt, teils Szenen aus dem (Jugend-)Leben nachspielt.
Krass und mega
Das ist nicht immer gleich und leicht nachzuvollziehen und eine Schwäche von "Like Me". Eine andere ist die manchmal allzu penetrant verwendete - vermeintliche - Jugendsprache: Da ist vieles krass, mega, scary, da wird das F-Wort großzügig eingesetzt, da wird das niemals zu sehende Opfer als "Mainstream-Trulla" und "Lügen-Bitch" geschmäht. Dennoch gelang dem TiG ein bedrückendes analytisches Drama, das einen Fall von Cybermobbing aufrollt, wie er im wirklichen Leben durchaus vorkommt. Es ist ja nicht so, dass die Probleme Heranwachsender neu wären. Schon in Goethes "Werther" vom Ende des 18. Jahrhunderts tauchen ähnliche Sätze auf wie im möglicherweise "zusammengeklauten" "Manifest" des toten Mädchens - der Ekel vor der Perfektion der Erwachsenenwelt oder "Auf gar keinen Fall wollen wir so werden wie ihr", den jede Generation neu formuliert und die dann doch meist so wird wie die Eltern. Nur: Was man früher dem Poesiealbum oder Tagebuch anvertraute, wird heute via "soziale Medien" in Nullkommanichts viral verbreitet.
Wie das Manifest des unbekannten Mädchens, das sie auf ihrem eigenen Youtube-Channel "postet" und damit allmählich erst digitales und dann reales Mobbing provoziert. Melanie, Isa und Jan, sonst mit altersüblichen Liebeleien und Eifersüchteleien beschäftigt, enttarnen die Verfasserin und initiieren einen hässlichen Shitstorm, der die niedrigsten Instinkte einer digitalen Meute entfesselt. Das wird konterkariert durch den Auftritt des Vaters (Stephan Bach), eines Feuerwehrmanns, der seine eigene Tochter in einem demolierten Wagen vorfinden muss. Unfall oder Selbstmord? Das bleibt offen.
Die jungen Leute spielen beherzt, wobei man Elena Weber ihre professionelle Vergangenheit im Ensemble des E.T.A.-Hoffmann-Theaters anmerkt. Bach als verzweifelt-resignierter Vater hält sich zurück, muss sich zurückhalten. Für Erwachsene mag das alles etwas pathetisch wirken. Für Jugendliche vermutlich eine Widerspieglung ihrer Lebenswelt.
Weitere Vorstellungen 15./16. April Karten Betten-Friedrich, Obere Königstr. 43, 0951/27578, bvd, 0951/9808220 Schulbuchungen ab April bis Dezember bei Olga Seehafer, Tel. 0176/61299171, E-Mail olga.seehafer@tig-bamberg.de. Das Stück kann auch an Schulen gespielt werden!