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Szenenapplaus für "Das kleine Gespenst"


Autor: Dieter Grams

Bamberg, Donnerstag, 21. November 2013

Auf der Werkstattbühne von Chapeau Claque treibt jetzt "Das kleine Gespenst" sein Unwesen. Heide Lehnert hat den Kinderbuchklassiker von Otfried Preußler inszeniert.
"Das kleine Gespenst" im Werkstatttheater in der Grafensteinstraße: Diana Banzhaf (mit Kapuzenpullover) in der Titelrolle, dazu gesellen sich Victoria Heinz und Mathias Linder. Foto: p


Es war einmal eine Großmutter namens Dora. Dora wohnte im nordböhmischen Reichenberg am Fuß des Iser- und Riesengebirges, und erzählte ihrem kleinen Enkel oft stundenlang Geschichten über Zauberer, Raubschützen, Hexen, Wassermänner und Gespenster. Ihr Enkel hörte zu. Nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen, und viele Geschichten brannten sich förmlich in sein Gehirn. Der kleine Bub war Otfried Preußler. Später, schon als erfolgreicher Kinderbuch-Autor, sagte er: "Das Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe."

In einer dieser Geschichten taucht eine geheimnisvolle Weiße Frau auf, die zur Zeit des 30-jährigen Krieges den gefürchteten schwedischen Feldmarschall Lennart Torstensson aus dem Schloss ihrer Väter gejagt hatte.

Diese Szene, wie der mit einem Unterhemd bekleidete und vor Angst schlotternde Kriegsherr die Weiße Frau um Gnade anfleht, hat den kleinen Otfried stark beeindruckt. Als er anfing zu schreiben wurde daraus ein Buch, aus dem Feldmarschall der General Thorsten Torstenson, und aus der Weißen Frau ein Gespenst. Ein kleines weißes. Weiß allerdings nur in der Nacht. Tagsüber färbt es sich schwarz.

Heidi Lehnert macht in ihrer Inszenierung von Preußlers Kinderbuchklassiker für Chapeau Claque aus dem General die größenwahnsinnige Bürgermeisterin Müller-Gernegroß, die in ihrer blinden Zerstörungswut den schwedischen Soldaten des 30-jährigen Krieges in nichts nachsteht.

Das kleine Gespenst ist natürlich auch in dieser, von Lehnert ins 21. Jahrhundert transportierten Adaption geblieben. Die Regisseurin, wie das Team in seiner Gesamtheit, sah sich dabei mit einer Problematik konfrontiert, die Otfried Preußler so formulierte: "Kinder sind strenge, unbestechliche Kritiker, und das beste und klügste Publikum, das man sich als Geschichtenerzähler nur wünschen kann."

Geschichtenerzähler, das sind, und ist auch das Theater-Volk von Chapeau Claque. Glockenhelles Kinderlachen und wiederholter, spontaner Szenenapplaus verrieten schon während der Premierenvorstellung, dass sie es wieder einmal geschafft haben, ihr Publikum zu erreichen. Nicht nur die kleinen Besucher, auch die großen.
Brillant war Mathias Linder als überaus verliebter Ritter, zwar schon an die 400 Jahre alt, und die Scharniere wollen manchmal auch nicht mehr so richtig, aber mit ein bisschen Öl werden die Gelenke dann doch wieder flott gemacht; oder als zänkische Marktfrau, Unternehmer, schwäbelnder Uhrmachermeister, und nicht zuletzt als "Bückling", der geplagte Sekretär der zwar sehr sportlichen, aber gnadenlosen Bürgermeisterin (Victoria Heinz). Was immer auch passiert, Bückling kriegt dafür die Kloppe. Und es passiert eine Menge, auf der von Olga Seehofer und Martin Klerner in genial-minimaler Pop-Art gestalteten Bühne - schwarz und weiß, wie Tage und Nächte.

Das kleine Gespenst, Diana Banzhaf, erwacht pünktlich zur Geisterstunde, und mit ihm seine beiden Mitbewohner auf Burg Eulenstein - der Ritter und das ebenfalls bereits hochbetagte, aber gleichwohl anmutige Portrait einer Gräfin aus der Ahnengalerie - Victoria Heinz. Schnell wird klar - zwischen den beiden tut sich was. Tatsächlich hat sich in den letzten 368 Jahren eine zarte Romanze entwickelt.

Beide sind dabei eine Brücke zu bauen, eine lebendige Wegstrecke von einem angestaubten Herz zum anderen. Der schüchterne Flirt wird von dem Gespenst harsch unterbrochen. Die kleine Spukgestalt ist einfach gänzlich unzufrieden mit der Gesamtsituation, und wünscht sich sehnlichst die Welt auch mal bei Tageslicht zu sehen. Der Traum wird wahr. Aus dem weißen Nachtgespenst wird ein schwarzes Taggespenst - der schwarze Unbekannte, der das ganze Städtchen auf den Kopf stellt.

Da bewerfen sich plötzlich die Marktfrauen mit Obst und Gemüse, obwohl es doch gute Bio-Qualität ist, der Uhrmacher verwechselt Schmiermittel mit Weingeist und eine wunderbar schrullige Lehrerin, auch Victoria Heinz, flüchtet verstört in die Mittagsbetreuung. Und die von Nikola Voit schick gewandete Bürgermeisterin schmiedet während ihrer Aerobic-Übungen finstere Pläne. Sch... auf die Umwelt, den Denkmalschutz und die "Untertanen" - der Fluss wird zubetoniert, aus der Burg eine Fabrik und die Kindergärten platt gemacht. Bückling kriegt das so richtig gar nicht mit. Er hat genug damit zu tun, ständig die schreiend gelben Schuhe seiner überdrehten Herrin zusammen zu suchen. Aber das kleine Gespenst erfährt davon ...

An Situationskomik mangelt es nicht, und auch die Musik (Guido Apel) kommt nicht zu kurz. Am Mischpult sorgt Niko Katsios für die Lichteffekte und den guten Ton. In der zweiten Premieren-Aufführung stehen Rebecca Raguse, Marina Esslinger und Daniel Reichelt auf der Bühne. Die Produktionsleitung für das Weihnachtsstück liegt in den Händen von Simone Dettelbacher. Die letzte Vorstellung in diesem Jahr ist am Heiligabend um 11 Uhr, aber auch im Januar, am 5., 12., 19. und 26. spukt das kleine Gespenst noch im Werkstatttheater in der Grafensteinstraße herum.

Am Ende stellen sich eigentlich nur noch zwei spannende Fragen - werden sie sich denn kriegen, der Ritter und seine Gräfin, und kann der kleine Zaubergeist die "Zarin aller Reußen" aufhalten?