Symbol der jüdischen Geschichte
Autor: Sebastian Schanz
Reckendorf, Montag, 14. Januar 2019
Versteckt Reckendorf seine reiche jüdische Vergangenheit? Diese Kritik wurde bei der Bürgerversammlung laut. Nun soll der Ahornweg an der Synagoge wieder in Judengasse umbenannt werden.
Wie eine feine Staubschicht liegt der Schnee auf den alten Gräbern auf dem jüdischen Friedhof im Wald über Reckendorf. Moos hat sich an die Steine geheftet, aber die hebräischen und deutschen Inschriften sind noch lesbar. "Ein Mann der Tora und guter Werke", steht dort über Gabriel Chajjim Taubenheimer geschrieben, der 1881 hier beerdigt wurde. Zu Lebzeiten des Reckendorfer Toraschreibers war jeder zehnte Einwohner des Dorfes Jude, 1815 sogar fast jeder Dritte.
Das Zusammenleben war laut Historikern allerdings nicht von Integration geprägt, sondern von Absonderung. Religion und Arbeit prägten das Leben der Juden, die sich durch Kleidung, Haartracht und Essensregeln abgrenzten - aber auch ausgegrenzt wurden, durch Schutzgelder, Sondersteuern und Sanktionen. Rechte hatten die Juden wenige, dafür umso mehr Pflichten.
Dazu kamen Vorurteile. Vergiftet wurde das Nebeneinander in Reckendorf 1746 durch üble Ritualmord-Verdächtigungen - keine Seltenheit, vergleichbare Fälle gab es in den meisten Orten, in denen Juden lebten. Seinen traurigen Höhepunkt erlebte der Antisemitismus dann auch in Reckendorf in der "Reichskristallnacht": Wie die Chronistin Adelheid Waschka schildert, kündigte am Morgen des 10. November 1938 früh gegen halb 8 Uhr ein Trupp von einem SS-Wagen dem Reckendorfer Bürgermeister Baptist Zöttlein an, man werde die Synagoge in Brand stecken. "Sie trieben alle Juden zusammen, plünderten und schändeten ihre Häuser", berichtet Waschka. Die Einrichtung der Synagoge wurde zerschlagen. Mütter aus der Nachbarschaft des heutigen Ahornwegs konnten den Mob gerade noch abhalten, das Gotteshaus anzuzünden, weil sie ein Übergreifen des Feuers auf ihre Häuser fürchteten.
Symbolträchtiger Name
80 Jahre später, am Dienstag, wird sich der Reckendorfer Gemeinderat mit eben jenem Ahornweg beschäftigen - und mit eben jener jüdischen Vergangenheit des Ortes. Denn es geht um die Frage, ob die kleine Straße zur Synagoge wieder in Judengasse umbenannt werden soll.
Eine Formalie, freilich, aber eine symbolträchtige. Denn in der letzten Bürgerversammlung ist die kritische Frage aufgetaucht, ob Reckendorf seine jüdische Geschichte nicht zu sehr verstecken würde.
"Wir verstecken unsere jüdische Vergangenheit nicht", sagt dazu Bürgermeister Manfred Deinlein (SPD). "Reckendorf hat den Juden viel zu verdanken", erklärt er und verweist etwa auf die Nathan-und-Rosa-Walter'sche-Kinderheimstiftung, die bis 1974 das Kinderhaus betrieb und der Gemeinde wertvolle Immobilien vermachte. Das alte jüdische Gotteshaus ist zu einem weltlichen Treffpunkt in der Gemeinde geworden, der jüdische Friedhof wird auf der Internetseite als Sehenswürdigkeit beworben. Für Autofahrer gibt es Wegweiser.
Den Schlüssel zum jüdischen Friedhof können sich Interessierte im Rathaus abholen. Denn die jüdische Vergangenheit ist nicht nur sehenswert, sondern auch schützenswert. Das rückte im Sommer 2012 ins Bewusstsein, als Unbekannte Grabsteine umwarfen und teils massiv beschädigten. Er kenne Gemeinden, die weitaus defensiver mit ihrer jüdischen Vergangenheit umgehen, aus Angst vor solchen Attacken, erklärt Bürgermeister Deinlein.