Streit unter Experten: Sind vier Jahre Grundschulzeit ausreichend?
Autor: Stephan Großmann
Bamberg, Donnerstag, 14. Februar 2019
Eine Million Schüler in Bayern bekommen heute Zwischenzeugnisse. In Grundschulen gibt es inzwischen meist Lernentwicklungsgespräche. Dort stellt sich eine andere Frage immer wieder: Sind vier Jahre ausreichend?
Etwas aufgeregt ist Lara Smith schon. Dabei zeigt sich ihre Klassenlehrerin Carolin Deinhardt zufrieden mit der Neunjährigen aus Oberhaid. Vor kurzem haben die beiden ein Lernentwicklungsgespräch geführt. Etwa 30 Minuten lang hat sie sich mit Lara und allen anderen Schülern der 3a an der Oberhaider Grundschule über deren Stärken und Schwächen unterhalten und Ziele für die kommende Schulzeit formuliert. Die Ergebnisse bekommen die Drittklässler nun ausgehändigt. Statt eines Zwischenzeugnisses.
"Ich kann mit den Kindern ausführlich über ihre Leistungen sprechen", sagt Deinhardt. Vorab füllen Lehrer und Kinder unabhängig voneinander einen Fragebogen aus. Der ist letztlich Gegenstand des Gespräches, bei dem die Eltern lediglich als Zuschauer dabei sind. "Die Kinder lernen viel besser, sich selbst einzuschätzen. Anders als es bei einem Zeugnis der Fall ist", so Deinhardt.
Eine Million Zwischenzeugnisse
Etwa eine Million Kinder und Jugendliche an allgemeinbildenden Schulen in Bayern erhalten am heutigen Freitag Zwischenzeugnisse. Eine "wertvolle Rückmeldung über den individuellen Leistungsstand", wie Kultusminister Michael Piazolo mitteilt. Kinder der vierten Klassen bekommen keins, sie müssen sich bis zu den Übertrittszeugnissen am 2. Mai gedulden. Bayerische Grundschulen in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 können außerdem das Zwischenzeugnis seit dem Schuljahr 2014/2015 durch ein dokumentiertes Lernentwicklungsgespräch ersetzen. Diese Möglichkeit kommt gut an: 85 Prozent der Einrichtungen haben sich mittlerweile für diese Alternative entschieden, wie das Kultusministerium bestätigt.
Wie in Oberhaid. 23 solche Gespräche hat Carolin Deinhardt heuer geführt. Einen großen Mehraufwand erkennt sie darin nicht. "Zeugnisse zu schreiben, dauert etwa genauso lange" meint sie. Auch für Gabriele Klenk sind die Lernentwicklungsgespräche der richtige Weg. Positiv findet die Vorsitzende des Bayerischen Grundschulverbandes vor allem, dass die Kinder sich eigene Ziele formulieren. Klenk setzt an ihrer Schule, der Grundschule Stein, ebenfalls auf diese Methode. "Die Gespräche sind viel effektiver als Zeugnisse", sagt sie.
Manche Studien bescheinigen Deutschland Defizite in der Bildungspolitik. Die fallen je nach Region unterschiedlich aus. Der Freistaat aber liegt in puncto Schulqualität laut Bildungsmonitor 2018 auf dem zweiten Platz im Bundesvergleich. Bayern sei auf einem guten Weg, bestätigt Gabriele Klenk. Beispiel: Immer mehr Schulen mischen Jahrgangsstufen durch: Erst- und Zweitklässler lernen zusammen, Dritt- und Viertklässler auch. "Die Kinder können viel voneinander lernen, sagt sie."
Kritik übt der Grundschulverband hingegen an der frühen Selektion im bayerischen Schulsystem. "Vier Jahre Grundschule sind zu kurz", sagt Klenk. Länger, also sechs Jahre, lassen nur Berlin und Brandenburg die Kinder zusammen. Das Thema ist nicht nur unter Pädagogen umstritten (sieht unten).
Welches System das bessere ist, kann auch die aktuelle Studienlage nicht eindeutig beantworten. Die Quintessenz der Experten lautet oft: Entscheidender als die Dauer der Grundschulzeit ist die Qualität des Unterrichts und das Problem der noch immer fehlende Bildungsgerechtigkeit.