Strauss als Soundtrack von Popliteratur
Autor: Rudolf Görtler
Bamberg, Sonntag, 21. Sept. 2014
Erstmals vereinten die Bamberger Symphoniker einen Poetry Slam mit einem Großwerk der klassischen Musik. Das scheinbar Unvereinbare harmonierte hervorragend.
Lyrik war einst deckungsgleich mit "Lied". Schlugen antike Dichter die Leier, spielten Walther von der Vogelweide und Konsorten die Laute zum Minnesang. Allmählich schieden sich die Künste. Schubert-Lieder zwar feiern das Gedicht, doch Symphonien? Jazz und Lyrik galt in den Sechzigern als ein hoch progressives Experiment, versandete jedoch allmählich nach Versuchen mit Benn, Heine und Rühmkorf. Etwas ganz anderes wagten die Bamberger Symphoniker am Freitag in einer Weltpremiere: Slam-Texte und klassische Musik.
Populär bei jungen Leuten
Nun wird der durchschnittliche Klassik-Hörer mit dem Begriff Poetry Slam so allzu viel nicht anzufangen wissen. In Kürze: Es handelt sich dabei um eine Art Dichterwettstreit, bei dem junge Autoren selbst geschriebene Texte aller Art vortragen, fünf bis zehn Minuten lang, und das Publikum einen Sieger kürt.
Strauss' Programmmusik eignet sich ideal als Ausgangspunkt und Hintergrund für existenzielle Grübeleien, wie sie gerade Adoleszente umtreiben. Motivierte doch den blutjungen Strauss eine Bergwanderung zur Alpensinfonie, die er aufteilte in 22 Episoden von "Nacht" bis wiederum "Nacht". Dazwischen liegen Sonnenaufgang, Auf blumigen Wiesen, Gewitter und Sturm und viele andere. Aus diesem Steinbruch durften sich die drei Slammer bedienen. Es waren Könner ihres Fachs, denn ein durchschnittlicher Slam vereint professionelle Kunst mit Poesiealben-Reimerei. Clara Nielsen, Max Kennel und Christian Ritter haben schon als "Bube Dame Ritter" in der Szene ihre Meriten verdient, und alle drei sind mit Bamberg als Studien- oder Wohnort verbandelt.
Launig und respektlos
Alles war also lockerer als sonst in der recht gut mit vorwiegend Jungvolk gefüllten Halle, als die Symphoniker unter Jonathan Nott zunächst den Beginn der Sinfonie spielten und dann Moderator Götz Frittrang, der seine Sache sehr gut machte, launig und respektlos kurz ins Werk einführte und dann jeweils die Kombattanten vorstellte. Clara Nielsen hatte sich das Thema "Durch Dickicht und Gestrüpp auf Irrwegen" gewählt, das Orchester tippte die entsprechende Passage an, und die Slammerin mit verbuchten 80 Siegen legte los. Sie interpretierte die Pflanzenwelt um zur Liebesmetaphorik. Da kontrastierte der "Irrgarten aus Rosen" mit dem "egozentrischen, bescheuerten kleinen Arschgesicht". Ja, auch rauere Töne fallen beim Slam, insgesamt ging sie jedoch souverän mit Reim und Assonanz um und meisterte ihr Thema, die Dialektik von Ein- und Zweisamkeit auf dem Lebensweg, plausibel.
Wortgewalt der jungen Generation
Die dichterischen Mittel perfekt beherrschte der Zweite im Dichterkampf, Max Kennel. Auch er ein erfahrener Slammer und Liedermacher. Die "Stille vor dem Sturm" hatte er sich ausgesucht, und der spätere verdiente Sieger, erst 23 Jahre alt, zauberte daraus postexpressionistische Bilder, die einen um die Wortgewalt der jungen Generation nicht fürchten lassen. Da klang der Weltuntergang eines Jakob van Hoddis an ("Die Stadt gleicht einem Gummiband, an dem jemand zieht") oder der Weltekel des frühen Popliteraten Rolf Dieter Brinkmann.
Fehlte noch der Dritte im Bunde, Christian Ritter. Ein wahrer Slam-Profi, der genau auf die Erwartungen des Publikums hin schreibt. Sein "Nacht" genannter Text war lustig, gleich zugänglich, beschrieb einen Rundgang durchs schlafende Bamberg mit leisen Anklängen an die "Nachtwachen des Bonaventura", die ja lange dem auf dem Stephansberg begrabenen Karl Friedrich Wetzel zugeschrieben worden sind. Das war witzig, doch nicht ganz so virtuos wie Kennels "Stille vor dem Sturm". Was auch das Publikum so sah.
Langer Applaus
Nach einer langen Applaus-Runde erhielt Ritter als Zweiter ein T-Shirt mit der Aufschrift "Revieraufsicht", Nielsen als Dritte ein Murmeltier, und Sieger Kennel ein Buch "Wie man in der Bergwelt überleben kann". Alle drei noch eine CD mit einer Mahler-Symphonie, auch Nott wurde kurz gefoppt, gut war's, die jungen Zuhörer waren begeistert, und dann spielten die Symphoniker die grandiose Alpensinfonie im Ganzen. Insgesamt ein voll und ganz gelungenes Experiment.