Druckartikel: Steigerwald: Es geht um die Zukunft von 6000 Starkbäumen

Steigerwald: Es geht um die Zukunft von 6000 Starkbäumen


Autor: Michael Wehner

Ebrach, Freitag, 06. Mai 2016

Die Kartierung alter Bäume zeigt, dass hier schon in 15 Jahren ein einmaliger "Methusalem-Wald" wachsen könnte. Freilich nur, wenn die Sägen schweigen.
Eine Esche mit einem Stammumfang von einem Meter bei Ebrach. In normalen Nutzforsten ist diese Stärkeklasse von Bäumen besonders begehrt - und lebt deshalb nicht lange.   Fotos: Ronald Rinklef


Manchmal sieht Günther Oltsch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Seit zwei Jahren ist er im Nordsteigerwald unterwegs und misst im Auftrag von Bund Naturschutz (BN) und WWF die Dicke der Bäume im ehemaligen Schutzgebiet "Hoher Buchener Wald". Eine akribische und harte Arbeit. Über 6000 Bäume mit einem Stammdurchmesser von 60 Zentimetern und mehr befinden sich mittlerweile auf seiner Liste.

Das GPS-gestützte Inventar eines der umstrittensten deutschen Wälder dokumentiert individuengenau, welcher natürliche Schatz verloren zu gehen droht, wenn auf der 770 Hektar großen Fläche des von der Staatsregierung aufgehobenen geschützten Landschaftsbestandteils wieder die Forstwirtschaft einkehren würde.
Das könnte schneller passieren als manchem lieb ist. Denn der Einschlag von Holz ist nur so lange ausgesetzt, so lange sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit dem Ringen im Steigerwald befassen.

Erste Erkenntnisse, ob die Anfechtung einer Schutzgebietsaufhebung durch BN und Landesbund für Vogelschutz (LBV) Chancen hat, sind kommende Woche zu erwarten. In einer Anhörung will der Verwaltungsgerichtshof klären, ob die Verbände überhaupt klageberechtigt sind und ob es einen Ortstermin im Steigerwald geben wird.

Wie auch immer die Entscheidung in der Normenkontrollklage ausgeht, sie wird in doppelter Weise Auswirkungen haben. Für den Umgang mit Schutzgebieten in Deutschland allgemein und viel konkreter für das grüne Erbe der Zisterzienser um Ebrach.

Bisher hat Oltsch 500 Hektar Wald erfasst. Unter 6000 Starkbäumen befanden sich 4981 dicke Buchen, 576 Eichen und 472 Nadelbäume - eine "hervorragende Ausgangssituation", wie er sagt: "Ohne Waldnutzung würden hier in 100 Jahren die prächtigsten Buchenwälder Deutschlands stehen."
Doch auch für die jetzt lebende Generation könnte der Hohe Buchene Wald zu einer Attraktion in Franken werden, glaubt der BN-Mann. Denn mit einem durchschnittlichen Jahreszuwachs von 1,5 Zentimetern wachsen Tausende von jetzt 60 Zentimeter dicken Bäumen in zehn bis 15 Jahren zu so genannten Methusalemen heran. Als solche besonders schützenswerte Exemplare gelten Bäume ab einem Brusthöhendurchmesser von 80 Zentimetern.


Gefällt wird "am dicken Ende"

Wegen ihres hohen forstlichen Wertes gibt es in Deutschland aber nur relativ wenige Bäume, die diese Dimension lange erleben, wenn sie sie überhaupt erreichen. Genau das ist das Bewusstsein, das am Freitag den bayerischen BN-Chef Hubert Weiger wieder einmal in die Wälder bei Ebrach geführt hat. Gefahr ist aus seiner Sicht in Verzug, denn bei den üblichen Einschlagsverfahren werde in der Regel "am dicken Ende" begonnen. Sollten also die Gerichte den Einspruch der Verbände und die Popularklage des Vereins Nordsteigerwald abschmettern, würde das bedeuten, dass nur sehr wenige Bäume mit 60 Zentimeter Stammdurchmesser die Aussicht haben, die Schutzklasse von 80 Zentimetern erreichen, weil sie vorher der Säge zum Opfer fallen. Der Traum vom Weltnaturerbe im Steigerwald wäre schnell ausgeträumt.

Glaubt man Martin Mößlein, dem in Handthal lebenden Vorstandsmitglied des Nationalparkvereins Nordsteigerwald, dann ist das nicht nur die idealistische Weltsicht einiger Naturschützer. Auch viele Steigerwaldbewohner hätten in den letzten Jahren schmerzhaft miterleben müssen, wie die Turbo-Forstwirtschaft den Wald zu seinen Ungunsten verändert habe. Mößlein berichtet von einer Vielzahl abgeholzter Starkbuchen oberhalb von Handthal. Er ist sich sicher: "Die Region würde von einem Schutzgebiet weit mehr profitieren als von der Holznutzung. Denn deren Erlöse fließen in die Konzernzentrale nach Regensburg ab."


Staatsforstbetrieb widerspricht

Doch das ist nur die eine Sichtweise. Der Staatsforstbetrieb Ebrach bestreitet mit Verweis auf die eigene Forstinventur nicht nur die Schutzwürdigkeit des Hohen Buchenen Waldes, dessen Alter vergleichsweise jugendlich sei. Auch den uralten Konflikt zwischen Nutzen und Schützen glauben die Staatsförster durch ihr so genanntes Trittsteinkonzept besser in den Griff zu bekommen als mit Vollschutzgebieten. Auch hier weiß man sich in guter Gesellschaft: Die Methode des integrativen Naturschutzes finde weit über die Grenzen Bayerns hinaus Beachtung. Erst diese Woche teilte der Forstbetrieb mit, dass sich in Ebrach eine hochrangige Experten-Delegation aus Tschechien informierte.

Wie sehr das Ringen um den Steigerwald auch ein von Fachleuten geprägter Grundsatzstreit ist, zeigt ein weiteres Beispiel: Vor einem Jahr hatte der Staatsforst die Auswirkungen des Dürresommers an Buchen oberhalb von Handthal demonstriert, die schon im August alle Blätter abgeworfen hatten. Heute freut sich der Waldwissenschaftler und Nationalparkbefürworter Georg Sperber, dass die totgesagten Laubbäume wie Phönix aus der Asche wieder ausgeschlagen haben. Seine These: Wenige Bäume sind so robust und an die fränkischen Klima- und Bodenbedingungen angepasst wie die Buchen. Freilich schade der Einsatz tonnenschwerer Maschinen auf industriell angelegten Rückegassen dem Wasserspeicher sehr. Manche Schäden seien hausgemacht.