Druckartikel: Star-Bratschistin Tabea Zimmermann in Franken

Star-Bratschistin Tabea Zimmermann in Franken


Autor: Monika Beer

Bamberg, Donnerstag, 11. Oktober 2012

Tabea Zimmermann, "Artist-in-Residence" der Saison 2012/13 bei den Bamberger Symphonikern und als Bratschistin ein Weltstar, ist aktuell an drei Abenden in der Konzerthalle zu erleben - und in der Stadthalle Bayreuth.
Tabea Zimmermann, neue Residenzkünstlerin der Bamberger Symphoniker. Foto: Barbara Herbst


"Meine Bratsche und ich", sagt sie, mit einer Portion Ironie unterlegt, als sie fürs Foto posiert. Aber es ist keine Pose, sondern einfach authentisch. Tabea Zimmermann, als Bratschistin ein Weltstar, hat ihr Musikerleben als Dreijährige mit eben diesem Instrument begonnen. Jetzt ist sie Residenzkünstlerin der Bamberger Symphoniker und tritt zunächst gleich dreimal hintereinander in der Konzerthalle auf: am 11. und 13. Oktober in Abonnementkonzerten und am 12. Oktober beim Musikverein Bamberg, in einem Duoabend mit der Pianistin Silke Avenhaus. Zum Abschluss ihrer ersten Residenzphase folgt am 14. Oktober das Konzert in der Bayreuther Stadthalle.

Können Sie sich ein Leben ohne Bratsche vorstellen?
Tabea Zimmermann: Nicht wirklich. Ich hab halt so früh angefangen, dass es Tabea ohne Bratsche nicht gibt! Natürlich denke ich - gerade bin ich 46 geworden - öfter auch darüber nach, was ich mache, wenn ich älter werde. Die Musik auf der Bühne wird irgendwann weniger werden, aber das heißt ja noch lange nicht, dass die Musik im Leben weniger werden muss. Ich spiele zuhause zum Beispiel Klavier und singe, ich unterrichte für mein Leben gern - und das werde ich vermutlich so lange tun, bis ich tot umfalle.

Und die Bratsche, mit der Sie gerade fotografiert wurden?

Dieses Instrument habe ich schon fast dreißig Jahre - eine französische Bratsche, von Étienne Vatelot 1980 gebaut. Ich habe sie 1983 bei einem Wettbewerb als Preis überreicht bekommen. Das ist schon eine besondere Geschichte, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Instrument, das man zufällig gewinnt, auch zu einem passt, ist verschwindend gering.
Bei der Bratsche gibt es große Unterschiede, je nach Form, Größe und Volumen, je nach Klangvorstellung auch, ob sie eher sopran- oder basslastig ist. Sie ist ein Zwitterinstrument, weil sie lange nicht so festgelegt ist wie die Geige. Dass diese Bratsche mein Trauminstrument werden könnte, war erstmal gar nicht klar. Aber nach einer dreiwöchigen Phase des Zweifels und der Ignoranz - ich war jung und frech und hatte keine Ahnung, was ich da in Händen hatte - war es dann doch ganz schnell eine Liebesgeschichte geworden.

Ist sie eher alt- oder sopranlastig?
Ich finde sie eben so interessant, weil sie unheimlich ausgeglichen ist. Ob ihre Stärken eher unten oder oben liegen, kann ich gar nicht sagen. Je nach dem, was ich spiele, bekomme ich in einem extremen Bereich alles vom Instrument, was ich mir im Kopf vorstelle. Die alten Bratschen finde ich oft zu festgelegt auf das Hohe oder das Tiefe, das ist für mich eher eine Begrenzung. Und so schön sie alleine klingen, sobald ein anderes Instrument oder - Gott behüte! - ein ganzes Orchester dabei ist, sind sie kaum noch wahrnehmbar und verschmelzen zu sehr mit dem Klang, der um sie herum ist.
Vor allem auch durch die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik fand ich es schwierig, mit einem Instrument, das 250 oder 300 Jahre auf dem Buckel hat, die Klänge der heutigen Zeit zu verwirklichen. Umgekehrt ist es leichter, mit einem modernen Instrument dem alten Klang nachzuhorchen. Es ist ja nicht so, dass eine moderne Bratsche ein mit Elektronik oder Technik gebautes Instrument wäre, sondern sie entsteht nach wie vor komplett in Handwerkstradition. Auch moderne Geigenbauer halten sich an die althergebrachten Methoden. Bei meinem Instrument gibt es so eine positive Penetranz, die ich sehr gut steuern kann. Ich kann auch das Süße erreichen, wenn ich das will. Es kommt meiner Vorstellung von Klang, je nach Partitur, sehr entgegen.

Haben Sie ein symbiotisches Verhältnis zu Ihrer Bratsche?

Na ja, wir wollen jetzt mal nicht übertreiben. Also meine Bratsche hat keinen Namen und ist kein Lebenspartner. Es ist einfach nur ein Instrument, das ich gerne auch anderen in die Hand gebe. Ich hab auch nicht diesen Wahn, dass ich das Instrument schützen muss. Ich gehe damit relativ locker um.

Warum singen Sie auch?

Für mich ist der Gesang einfach die Urmusik. Von einer Phrase, die ich spielen möchte, muss ich erst eine gesangliche Vorstellung entwickeln, bevor ich sie auf dem Instrument zu Gehör bringen kann. Das Instrument steht mir übrigens manchmal auch im Weg. Wenn man sich nur übers Instrument der Musik nähert, geht einem eine ganze Menge ab. Das ist mir auch wichtig im Unterricht, meinen Studenten weiterzugeben, dass wir uns rhythmisch, harmonisch, melodisch, also von vielen Seiten und nicht nur übers Instrument der Musik nähern. Die Musik ist letztlich doch viel größer! Die Vorstellung von der Musik sollte größer sein als das, was wir auf dem Instrument erreichen können. Nur so können wir uns weiter entwickeln. Diese Imagination, der innere Klang, das ist das Allerwichtigste.

Kam bei Ihnen der innere Klang vom Singen oder durch das Zuhören Ihrer musizierenden Geschwister?
Ich glaube, dass meine ersten Lehrer an der Städtischen Musikschule in Lahr mich genau auf dieses Phänomen des inneren Hörens hingeführt haben, auf das Voraushören, darauf, den Klang sozusagen im Voraus zu gestalten. Und dazu gehörte eben ein dem Instrument übergeordneter musikalischer Bildungsbegriff. Die Lehrer orientierten sich an den Hausregeln von Robert Schumann. Und der hat eben gesagt: Beschäftige dich nur mit den großen Meistern, lass die großen Meister deine Lehrer sein! Wir haben also schon als kleine Schüler nicht nur Originalliteratur fürs Instrument gespielt, sondern auch Adaptionen von möglichst guten Kompositionen.
Ich kann mich erinnern, dass ich mit dreizehn bei "Jugend musiziert" eine Brahms-Sonate gespielt habe, und das hat, wie ich erst später richtig mitbekommen habe, ziemliche Diskussionen aufgeworfen. Muss das Kind das wirklich schon spielen? Der Standpunkt meiner Lehrer war: Wir wollen die Kinder ernst nehmen - und wir geben jedem das Futter, das er verträgt, und nehmen auch in Kauf, dass man später vielleicht noch einen anderen Blick auf ein Werk hat. Aber wir versuchen es nicht kindgerecht im Sinne von kleinen Portionen, sondern: Wer's verträgt, darf gerne auch eine Brahms-Sonate spielen.

Warum sind Sie der Bratsche treu geblieben?
Meine eigenen Vorstellungen und Standards, was ich mit der Musik ausdrücken möchte, sind so hoch, dass ich das nur mit einem Instrument tun möchte, das ich wirklich beherrsche. Nun kann ich halt am besten Bratsche spielen. Vielleicht möchten Sie lieber hören, dass die Bratsche mein Idealinstrument ist. Aber das würde ich so nicht sagen. Ich bin längst aus dem Repertoire ausgebrochen, denn es hat leider gewisse Lücken. Ich bin fleißig dabei, andere Stück für die Bratsche zu adaptieren, ob das nun Geigen-Sonaten von Robert Schumann oder César Franck sind, das Cello-Konzert von Edward Elgar oder Franz Schuberts "Winterreise". Dieser Wunsch, Musik als Absolutes zu sehen, der Qualität einer Musik nachzuspüren und sie aufs Instrument übertragen zu können, das ist kein sportlicher Ehrgeiz. Sondern es geht darum, sich mit der bestmöglichen Musik zu beschäftigen.

Sie haben selber drei Kinder im Alter von 14, 11 und 9 Jahren und sind inzwischen seit 25 Jahren als Professorin im Lehrfach. Machen Sie, wenn es um Musik geht, einen Unterschied zwischen den eigenen Kindern und den Studenten?
Das ist ein heikles Thema, eine ganz schwierige Frage. Der Unterschied ist, natürlich schon altersbedingt, riesig. Ich habe immer nur mit Studenten zu tun, ich unterrichte keine Kinder - auch aus dem simplen Grund, weil ich zu viel unterwegs bin und zu unregelmäßig da wäre. Ein Kind bräuchte einen wöchentlichen Unterricht, den kann ich nicht bieten. Mit meinen Studenten arbeite ich sehr streng und mit höchstem Anspruch, aber sie kommen ja auch bewusst zu mir und wissen, dass sie das machen wollen. Das ist was ganz anderes als mit den eigenen Kindern, die ich natürlich in erster Linie liebe und so nehme, wie sie sind.
Meine Kinder sind sehr musikalisch, aber sie sind nicht fleißig von sich aus - und ich kann ihnen nicht die gleiche Strenge bieten wie meine Eltern das getan haben. Was bei mir früher mit viel Druck, Strenge und Verzicht funktionierte, kann ich so von meinen Kindern nicht einfordern. Ich sehe es bei manchen Freunden meiner Kinder mit großem Vorbehalt, wenn die Eltern sehr streng sind, aber es ist mir bewusst, dass das ein echtes Dilemma ist.
Ein Musikinstrument zu erlernen geht nicht ohne eine gewisse Disziplin - und das ist im Zeitalter von Computers, Internet und der ganzen Elektronik schwierig geworden. Ich kämpfe zuhause täglich dagegen, aber es sind eben auch andere Zeiten, andere Vorausbedingungen. Meine Kinder haben verschiedene Instrumente schon durch - Klavier, Klarinette, Schlagzeug, Saxophon, Geige. Sie kennen die Grundbegriffe der Musik, sie mögen Musik auch. Aber dass sie Dranbleiben und Üben, das schaffe ich selber so nicht. Sie kommen übrigens am Wochenende nach Bamberg. Denn so eine ganze Woche weg zu sein, das ist ziemlich viel für mich. Das mache ich eigentlich nicht gern.

Aber Artist-in-Residence zu sein hat doch auch Vorteile?
Natürlich. Es war gar keine Frage, dass ich das mit großem Vergnügen annehme und mich hier jetzt schön einrichte. Denn zum einen knüpft es an frühere gemeinsame Arbeiten mit dem Orchester an, zum anderen bringe ich einige Lieblingsstücke mit, Werke, die mir am Herzen liegen. Es geht gleich mit Paul Hindemith los. Ich versuche überall, weil er missverstanden wird, eine Bresche für ihn zu schlagen. Sein berühmteres Bratschenkonzert "Der Schwanendreher" habe ich hier schon gespielt, deshalb wollte ich jetzt seine Konzertmusik mitbringen.
Man muss halt ein bisschen graben bei Hindemith: Es ist von der Schreibweise manchmal aufs Erste eher dicht. Wenn man versucht, sich mit einem transparenten Klang der Musik zu nähern, wenn man versucht zu hören, wie die Themen alle miteinander verstrickt und übereinander liegen, wenn man als Mitspieler - und als Orchestermusiker - auch zeitlich die Chance hat, diese Musik kennen zu lernen und wieder zu erkennen, das dauert. Das spielt sich nicht mal eben so!

Es ist die Erstaufführung der Bamberger Symphoniker. Aber Erst- und Uraufführungen sind Sie ja gewöhnt, schließlich sind schon diverse Bratschenkonzerte für Sie geschrieben worden...
Ja, aber ich bin trotzdem kein Spezialist für neue Musik. Auch rein mengenmäßig hält es sich in Grenzen. Im Moment ist es sogar ein bisschen ruhiger. Das hat auch damit zu tun, dass ich seit einigen Jahren mein eigenes Streichquartett habe, bei dem noch immer die Auseinandersetzung mit den einschlägigen klassischen Werken Vorrang hat. Aber zum Beispiel im Dezember spiele ich hier das Stück "Monh" von Georges Lentz, das ich sehr schätze. Wo ich es auch aufgeführt habe, ich bin überall auf sehr offene, erstaunte Hörer getroffen.
Er hat eine Art, Musik zu notieren, die sehr ungewöhnlich ist. Am Anfang, als ich die Partitur das erste Mal bekam, dachte ich: Oh weh, das geht schief! Bratsche Solo, dreifaches Pianissimo, was denkt der sich eigentlich? Das kann ja nicht gehen! Ich verstand einfach nicht, wie dieses langsame, leise, einsätzige Werk über eine halbe Stunde lang funktionieren sollte. Erst in der Zusammenarbeit mit dem Orchester bei der Uraufführung 2005 zur Eröffnung der neuen Philharmonie Luxembourg habe ich gemerkt, dass Lentz sehr wohl weiß, was er tut, und dass er eben allen sehr leise und zerbrechliche Klänge gibt, was eine unheimlich Konzentration erfordert.
Für mich ist es eine Neuentdeckung, dass ein Komponist von Dirigent und Mitspielern so ein großes Vertrauen verlangt. Es geht hier nicht um kleinteiliges Rechnen, sondern um einen gemeinsamen langsamen Puls, den alle synchron fühlen müssen. Das ist eine Art des gemeinsamen Notierens von eigentlich empfundener Zeit, denn es ist nicht immer hörbar, wie es geschrieben ist. Aber dadurch, dass alle sich auf ein Empfinden einigen müssen, ist es etwas Besonderes. Ich kann nur allen empfehlen, hören Sie sich das im Dezember an!

Und im April werden Sie auch als Dirigentin zu erleben sein!
Nicht als Dirigentin, nein, ich leite von der Bratsche aus - und das ist für mich ein riesen Unterschied. Ich setze mich ins Orchester, ich bin eine im Ensemble, eher wie ein Konzertmeister. Und dadurch, dass ich die Proben leite und versuche, meine Ideen vom gemeinsamen Atem mit einzubringen, ist das etwas anderes als ein Dirigat. Der Dirigent als hierarchische Institution ist für mich ein echtes Problem. Ich würde gerne diese Hierarchie aufbrechen und abschaffen. Es funktioniert doch nur in wenigen Fällen, dass man das Gefühl hat, dass da jemand über dem Orchester steht, der mehr weiß, mehr kann und mehr mitbringt.

Da Sie nie bloßes Orchestermitglied waren, sehen Sie das allerdings von vornherein aus einer unabhängigeren Position, oder?
Ich weiß nicht. Wenn man mit einer größeren Gruppe von Musikern, einem kleinen Orchester oder einer großen Kammermusikgruppe arbeitet, geht es doch in erster Linie um das gemeinsame Musizieren, um das gemeinsame Entwickeln eines inneren Hörens. Deshalb sind auch die Proben für mich so wichtig. Ich würde mich niemals trauen, wie ein Operndirigent in den Graben zu springen und mal eben eine Vorstellung zu übernehmen. Darum geht es mir überhaupt nicht, sondern: Je mehr Probenzeit, umso besser! Damit wir diskutieren und ausprobieren können, was passiert, wenn die Musik in die eine Richtung geht oder in die andere. Aber immer mit der Vorgabe, dass wir versuchen, aus der Partitur heraus zu begründen, wo man hin will. Und dann das gemeinsame Reagieren auf den, der gerade die Melodie hat. Vielleicht lernt man das als Bratscher selbstverständlicher als als Geiger, weil man eben sehr oft nicht die erste Stimme spielt, dass man in der Musik die eigene Stimme immer in Relation zu einer anderen Stimme sieht. Das möchte ich gerne auch mit einem größeren Ensemble versuchen, mit Musikern, die wissen, wie ich ticke, wie ich musiziere. Ich glaube nicht, dass die Bamberger Symphoniker denken, dass ich hier dirigiere! Denn das entspricht nicht meiner Natur.

Decken sich Ihre eigenen Charaktereigenschaften mit denen der Bratsche?
Ja, ich nehme das auf, was vom Instrument kommt, von seiner Rolle her - ob das jetzt in der Kammermusik ist oder als Solist. Jeder geht doch im Leben dem nach, was sich ihm so bietet, trifft immer wieder Entscheidungen und versucht, das Beste draus zu machen. Ich habe mir selber keinen Weg vorgezeichnet, sondern habe die Dinge, die sich mir angeboten haben, aufgenommen oder nicht, habe versucht, daraus zu lernen, habe versucht, von den Musikern zu lernen, mit denen ich musizieren konnte, und von den Werken, die sich mir in den Weg gestellt haben.

Haben Sie heute konkrete Ziele, was Sie in zehn Jahren machen wollten?

Nein. Ich bin im Moment ganz zufrieden mit dieser Mischung aus Unterricht, Solo-Spiel und Kammermusik - das sind verschiedene Standbeine, die sich entwickelt haben, wo jede Erfahrung aus dem einen Bereich den anderen Bereichen auch gut tut. Ich vermeide jegliche Form der Routine. Insofern habe ich so viel Freude am Musizieren - das wird nur mehr, nicht weniger. Ich kenne keine Ermüdungserscheinungen. Wie hat eine Freundin von mir erst kürzlich gesagt: "Wenn der Diesel erst mal läuft..."
Es ist auch dieses Maß, wie viel Musik, wie viel Reisen verträgt man - auch den Kindern gegenüber. Da muss jeder selber drauf kommen, was zu ihm passt. Seit ich denken kann, versuche ich, an dieser Balance zu feilen. Und es funktioniert jetzt ganz gut, denn ich bin vor einem Jahr endlich nach Berlin gezogen, wo ich schon seit zehn Jahren unterrichte. Es ist das erste Mal in meiner 25-jährigen Lehr-Erfahrung, dass ich auch in der Stadt lebe, in der ich unterrichte.

Hatten Sie Vorbilder?
Vor allem mein erster Lehrer war sehr geschickt darin, uns Vorbilder in einer idealen Weise zu geben. Er hat uns an alte Aufnahmen von großen Künstlern herangeführt, aber es ging nie nur um eine Person, um ein Idol, dem man nacheifert, sondern es war immer Platz für das Eigene.

Dann haben Sie nicht nur großes Talent und Durchhaltevermögen, sondern auch das Glück gehabt, sich selber verwirklichen zu können.
Absolut, ich sehe das genauso.

Ist das nicht ungewöhnlich im heutigen Musikbusiness?
Viele meiner Musikerkollegen hätten viel mehr Chancen, sich selber zu verwirklichen. Aber es gibt eine ungesunde Abhängigkeit von Agenturen, Ratgebern, es gibt auch dieses Denken, dass man eine Gelegenheit nutzen muss, denn wer weiß, ob sie sich noch mal stellt. Wenn man dem Erfolg nur nachrennt, bis er sich einstellt, wird man leicht zum Sklaven dessen, was man immer gerne machen möchte, und verliert dabei oft die Autonomie über das eigene Leben. Ich krieg dann oft zu hören: Ja du, du kannst dir das leisten, nein zu sagen, du hast das und das erreicht. Aber das können doch nur die Leute beurteilen, die mich schon vor 25 Jahren gekannt haben...
Ich habe mit siebzehn oder achtzehn die gleichen Entscheidungen getroffen wie heute, war einfach ein bisschen stur und dickköpfig, hab vielleicht auch den einen oder anderen Fehler gemacht. Aber ich habe mich nicht nach anderen Kriterien verhalten als nach denen, die ich selber für richtig fand. Den Mut dazu möchte ich vielen jungen Menschen mit ins Leben geben. Da bin ich auch mit meinen Studenten sehr stur, sie daran zu erinnern, auf die Suche zu gehen nach dem, was sie selber wollen.
Nehmen wir eine Situation wie das Probespiel: Ein junger Mensch ist auf der Suche nach der Orchesterstelle, die den Broterwerb ermöglicht. Es ist oft nicht so, dass der junge Mensch weiß, was ihn da erwartet. Er kennt weder das Orchester, bei dem er sich vorstellt, noch dessen geschmacklichen Vorstellungen und so weiter. Ja, was soll ich dem jungen Menschen raten? Ich kann doch nicht sagen, du musst bei den Berliner Philharmonikern fürs Probespiel so spielen und in Bamberg vielleicht so und beim dritten Orchester anders, sondern ich muss sagen: Spiel so, wie du es selber am besten als Künstler kannst. Wenn du nur versuchst, dich wie ein Fisch im Wasser anzupassen, ist dein eigener Ausdruck vielleicht nicht mehr kräftig und stark genug.

Demnach ist Authentizität sehr wichtig. Inwiefern hat es Sie beeinflusst, dass Sie als Kind die Jüngste von vier Geschwistern waren?
Ich hab sogar fünf Geschwister, aber ich war lange als Vierte die Jüngste. Ich weiß nicht, ob sich das zuhause entwickelt hat. Ich glaub, das kam etwas später. Ich hatte natürlich auch viel Glück - dadurch, dass ich von klein auf Bratsche gespielt habe, dadurch, dass ich gute Lehrer hatte, überall als Jüngste reinkam und immer mit offenen Armen empfangen wurde. Der Satz, der mich am meisten geprägt hat in meiner Jugend, war komischerweise: Bleib, wie du bist! Was Schöneres kann man einem Menschen nicht mit ins Leben geben.
Und all die anderen Sätze habe ich vielleicht nicht gut genug angehört Das gehört auch dazu: Man hat ja immer eine Wahl an diesen Gabelungen des Lebens, ob man rechts abbiegt oder links. Wenn du an eine Gabelung kommst, dann nimm sie - und du musst wissen, dass deine Wahl für das eine ist auch eine Wahl gegen das andere ist. Das sollte man schon den Kindern beibringen, dass jede Entscheidung mehrere Konsequenzen hat. Dieses Glück, den richtigen Weg für sich zu finden, besteht manchmal auch darin, Dinge nicht anzunehmen, die sich einem stellen.

Was haben Sie nicht angenommen?
Ich habe zum Beispiel nicht die Menge der Engagements angenommen, die sich mir geboten hat. Und zwar ganz früh, einfach so: nö, keine Lust! Meine Agentur, die mich sehr unterstützt, muss mich heute noch Veranstaltern gegenüber verteidigen, die in meinem Kalender sehen, dass ich für einen Termin frei wäre, aber nicht spiele. Ja, warum denn nicht? Ich sag dann, ich habe Hochschule, drei Kinder, bin sowieso viel unterwegs. Ich brauche Zeit, um mich vorzubereiten, ich brauche Zeit, die letzten Reisen zu verarbeiten und so weiter. Ich sehe in der Möglichkeit, rund ums Jahr Konzerte zu spielen, überhaupt keinen Gewinn für mein Leben. Ich brauche ein gewisses Maß. Ich spiele plus minus fünfzig Konzerte im Jahr, das ist seit Jahren eine stabile Zahl, egal ob das jetzt Quartett-Konzerte sind oder fünf in einer Woche liegen wie jetzt. Dadurch reduziert sich das im Durchschnitt ganz schön, wenn man solche längeren Konzertphasen mit dabei hat. Und dann bleiben auch mal drei Wochen konzertfrei - und das ist für mich wichtig.
Es geht ja nicht nur ums Neinsagen, das würde ich gerne anders formulieren: Es geht bei einem Ja darum, die eigenen Kriterien festzulegen. Sage ich ja, weil besonders viel Geld angeboten wird? Oder sage ich ja, weil ich ein Stück spielen kann, das mich interessiert, oder weil ein Dirigent dabei ist, den ich spannend finde, oder ein Orchester, auf das ich Lust habe? Die verschiedenen Faktoren müssen alle mehrheitlich zum Ja führen. Wenn das nicht klar ist, dann eben lieber nicht. Aber die erste Entscheidung liegt im Schulferienkalender meiner Kinder. Das war auch hier so, als wir die Termine in Bamberg festgelegt und geschaut haben, wo überhaupt Konzerte möglich wären.

Hat beim Ja für Bamberg das Repertoire eine Rolle gespielt?
Auf jeden Fall. Das Ja für Bamberg war ganz einfach, alles sprach dafür, das hier zu machen. Ich habe tolle Erinnerungen an die Konzerte mit dem Orchester, und eine Residency ist für mich als Bratscher sowieso fantastisch, weil ich dreimal im Jahr kommen darf und nicht nur mit einem kleinen Ausschnitt dessen, was ich gerne machen möchte. Dann bringe ich gerne einen Hindemith, was Neues und ein Programm ohne Dirigenten.

Haben Sie weitere Residenzen in dieser Saison?
In dieser Saison nicht. Das möchte ich auch gerne so beibehalten, dass es nicht mehr als eine solche Verpflichtung pro Jahr ist, weil man sich dann auch besser darauf einlassen kann. Im nächsten und im übernächsten Jahr bin ich für zwei Saisons Artist-in-Residence beim Ensemble Resonanz, ein Kammerorchester in Hamburg.

Und CDs spielen Sie auch noch ein...
Und in letzter Zeit ist es endlich mehr so, wie ich es gerne hätte. Was ich früher bei EMI und anderen Firmen gemacht habe, war einfach nicht die Form der Zusammenarbeit, wie sich sie mir erträumt habe. Und jetzt habe jetzt ein ganz kleines neues Label gefunden, Myrios, wo ich mich richtig gut aufgehoben fühle und gerade die zweite Duo-CD herausgebracht habe. Als nächstes erscheint bei Myrios ein großes Hindemith-Projekt mit drei CDs, zu seinem 50. Todestag 2013. Wir haben gerade die drei Konzerte und die Trauermusik aufgenommen und die Solo-Sonaten. Jetzt fehlen noch die Sonaten mit Klavier. Das kommt im Frühjahr als Paketchen heraus.

Gibt es darunter ein Lieblingsstück?
Nein. Mein Lieblingsstück ist immer das, was heute gerade auf dem Pult steht.

Weil gerade Buchmesse ist, zum Schluss auch noch die Frage: Was lesen Sie gerne?
Sehr viel und sehr viel Verschiedenes. Im Moment lese ich von Paul Hindemith "Der Komponist in seiner Zeit". Ich finde es total spannend zu sehen, was der Mann auch sprachlich alles zu Wege gebracht hat und wie er sein Konzept von Musik erklärt. An Literatur habe ich gerade Tanja Blixen gelesen und W.G. Sebald für mich entdeckt. Ich hab manchmal Phasen, da fresse ich Bücher. Es kommt bei mir immer auch auf die innere Verfassung an, wie viel gerade geht.


Termine und Karten


Bamberger Symphoniker: Mit dem Orchester unter Dirigent Eivind Gullberg Jensen und mit Paul Hindemiths Konzertmusik für Solo-Bratsche gastierte Tabea Zimmermann am 10. Oktober in Schweinfurt, tritt damit am 11. und 13. Oktober in der Bamberger Konzerthalle auf und beschließt ihre erste Phase als Residenzkünstlerin am 14. Oktober in der Stadthalle Bayreuth. Auf dem Programm dieses Symphoniker-Konzerts stehen außerdem die Ouvertüre zur Beethoven-Oper "Fidelio" und Sergej Rachmaninoffs Symphonie Nr. 2.

Musikverein Bamberg:
Mit der Pianistin Silke Avenhaus gibt Tabea Zimmermann am 12. Oktober einen Duoabend in der Konzerthalle mit Werken von Paul Hindemith, Robert Schumann, Johann Sebastian Bach und Rebecca Clarke.

Tickets für die Bamberger Konzerte gibt es beim bvd-Kartenservice, Lange Straße 22, Telefon 0951/9808220, sowie an der Abendkasse.