Stacheldraht und Zäune: Wie es sich am Rande des Bamberger Flüchtlingslagers lebt
Autor: Michael Wehner
Bamberg, Freitag, 08. Sept. 2017
Die Bewohner der Natosiedlung sind Bamberger und sind es doch nicht. Die Zäune von Aufnahmeeinrichtung und Bundespolizei blockieren die Entwicklung.
Der Antrag von Stadträtin Daniela Reinfelder (BuB) wurde von der Regierung von Oberfranken aus Sicherheitsgründen abgelehnt. Reinfelder wollte erreichen, dass im Zaun zwischen Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) und der östlich davon gelegenen Natosiedlung ein Zugang geschaffen wird, damit die Kinder der Natosiedlung auf dem wenig genutzten Gelände der AEO spielen können. "Das finde ich sehr traurig", kommentiert Reinfelder das Nein der Behörden.
In der Natosiedlung beurteilt man die Sachlage diametral anders: Dort vermissen viele Eltern zwar einen Bolzplatz für die älteren der mittlerweile 180 hier lebenden Kinder. Dennoch hat der Vorstoß Reinfelders wütende Proteste ausgelöst. "Wie kommt eine Stadträtin aus einem ganz anderen Stadtteil dazu, ohne Rücksprache vor Ort derartige Initiativen zu ergreifen?", ärgert sich Thomas Zehtner. Dass eine eventuelle Öffnung dieser Einrichtung nach Osten überhaupt in Betracht gezogen wird, ist für ihn "beängstigend und in keiner Weise akzeptabel".
Seit drei Jahren wohnt der 37-Jährige mit Frau und mittlerweile sieben Monate altem Kind in einem Reihenendhaus in der locker bebauten Siedlung. Doch das Idyll trügt. "Wir sind total zugeblockt. Aufnahmeeinrichtung und Bundespolizei versperren uns den direkten Weg in die Stadt. Überall Stacheldraht und Zäune".
2014, als die Zehtners mit Dutzenden anderer Neusiedler in das von der US-Armee verlassene Wohngebiet im Bamberger Osten zogen, sah die Welt noch ganz anders aus. Ein Jahr vor dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Europa, konnte niemand ahnen, dass kurze Zeit später ein Flüchtlingslager an der Pödeldorfer Straße mit einer bis auf 3500 Personen wachsenden Aufnahmekapazität entstehen würde. Auch auf dem Gelände im Norden, das heute von der Bundespolizei beansprucht wird, ruhten große Erwartungen. Von einer Jahrhundertchance für den Bamberger Osten schwärmte damals die Politik.
Heute müssen Familien wie die Zehtners mit enttäuschten Hoffnungen und großen Umwegen leben. Wer etwa die Kinder zur Schule oder zum Kindergarten bringt, muss den Weg über die viel befahrene Pödeldorfer Straße nutzen. Auch beim Einkaufen, dem Besuch von Ärzten und Apothekern fühlen sich die Bewohner der Natosiedlung manchmal eher als Landkreisbewohner als als Bamberger.
Doch so lästig Thomas Zehtner den Blick auf Zäune und Stacheldraht findet, so weiß er doch: Die Absperrungen wie vorgeschlagen zu öffnen, wäre in der gegenwärtigen Situation untragbar. Die prekäre Lage vieler Menschen mit unsicherer Bleibeperspektive erlaubt dies aus seiner Sicht nicht. Schon oft habe er erlebt, wie nachts der Zaun in der Kastanienstraße überklettert wurde oder wie Taschen mit zweifelhaftem Inhalt darüber hinweggeworfen wurden. "Es ist vorgekommen, dass Flüchtlinge, die sich der Abschiebung entziehen wollten, durch unseren Garten rannten. Deshalb sind wir sehr froh, dass die Hauptbewegungsrichtung aus der Flüchtlingseinrichtung in Richtung Stadt geht."
Hört man die Stadtverwaltung, so sind die Probleme der Natosiedlung bekannt. "Zweimal im Jahr tauschen wir uns aus", sagt Sozialreferent Ralf Haupt. Freilich könne man an der Grundsituation mit einer hohen Fußgängerkonzentration rund um die AEO wenig ändern. "Mindestens bis 2025 wird es die Aufnahmeeinrichtung geben. Solange laufen die Verträge", sagt Haupt. Bis dahin hofft die Stadt, dass sich der Freistaat an den Bamberger Forderungen nach einer Obergrenze orientiert - ein frommer Wunsch: Der Freistaat hat die Kapazität der AEO eben erst auf 3400 erhöht.
Als Fortschritt bezeichnet Haupt den Bau eines Geh- und Radwegs, mit dem am Montag begonnen wird. Er wird nördlich der Pödeldorfer Straße Birkenallee und Kastanienstraße miteinander verknüpfen und verfolgt zwei Ziele: die Natosiedlung soll besser angebunden und die bisherigen Passantenströme umgelenkt werden. Künftig werden die Flüchtlinge die AEO über einen neuen Eingang an der Pödeldorfer Straße erreichen.
Was passiert 2025?
Die bange Frage, die man sich unterdessen in der Natosiedlung stellt: Wird 2025 tatsächlich das Ende der Aufnahmeeinrichtung bringen wie erhofft? Anwohner Thomas Zehtner zweifelt daran angesichts der großen Investitionen, die in der Flüchtlingseinrichtung in Bamberg getätigt wurden. Bamberg sei für den Freistaat einfach der billigste Weg gewesen.