Druckartikel: Spurensuche gegen das Vergessen

Spurensuche gegen das Vergessen


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Lisberg, Montag, 24. Sept. 2018

Mit ihrer Lehrerin Christa Horn erarbeiten Schüler des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums ein Gedenkbuch für die Opfer der jüdischen Gemeinde Trabelsdorf.
Die Schülerinnen Sarah (rechts) und Alina mit KHG-Direktor Michael Strehler (rechts), Lehrerin Christa Horn und Bürgermeister Michael Bergrab sortieren Fotos für das Gedenkbuch.  Fotos: Marion Krüger-Hundrup


Es herrscht gespannte Ruhe im Medienraum des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums (KHG) in Bamberg. Die 17-, 18-jährigen Schüler und Schülerinnen brüten über ihren Tablets, machen sich handschriftlich Notizen, flüstern mit dem Tischnachbarn über ungelöste Fragen. Die Aufgabe, die ihre Geschichtslehrerin Christa Horn gestellt hat, ist wahrlich nicht im Handumdrehen zu erledigen. Im Gegenteil: Monatelang arbeiten die Gymnasiasten schon an einem "Gedenkbuch für die Opfer der jüdischen Gemeinde Trabelsdorf".

In diesem kleinen Ort etwa 15 Kilometer westlich von Bamberg gelegen, existierte seit 1736 eine jüdische Gemeinde. In der Reichspogromnacht 1938 wurde ihre Synagoge zwar nicht zerstört, doch die Inneneinrichtung demoliert und auf die Straße geworfen. Die SA-Männer, die eigens aus Bamberg in das kleine Dorf gekommen waren, misshandelten jüdische Männer, verhafteten alle männlichen Juden über 18 Jahren. Wer konnte, versuchte auszuwandern. Aber für viele war es schon zu spät. Am 22. März 1942 wurden fast alle Trabelsdorfer Juden nach Izbica deportiert. Dort verliert sich ihre Spur.

Courage statt Rassismus

Christa Horn, die der Willy-Aron-Gesellschaft angehört, setzt alles daran, die acht jüdischen Familien dem Vergessen zu entreißen. Die promovierte Geschichtslehrerin steckt ihre Schüler mit ihrem Forscherdrang an. Sie vermittelt den im Lehrplan vorgeschriebenen Unterrichtsstoff "Nationalsozialismus" so ergreifend, dass die jungen Leute die Auszeichnung des KHG als "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" verinnerlicht haben: "Wir ziehen Lehren aus der Geschichte, damit nie wieder so etwas geschieht!", sagt etwa Benjamin (17). Die Beschäftigung mit dem Leben und Leiden jüdischer Menschen im nahen Trabelsdorf berühre ihn. Alina (17) nennt das gestellte Thema "wichtig, damit man die Menschen nicht vergisst".

Die akribische Spurensuche nach Namen, Daten, Fakten, Fotos beginnt für die Schülergruppe erst einmal im Internet. Doch darin stößt sie an Grenzen: "Es gibt da wenig Infos, die muss man sich hart erarbeiten aus älteren Quellen und Handschriften", bilanziert Philipp (17) die ungezählten Besuche im Staatsarchiv oder im Archiv der Gemeinde Lisberg-Trabelsdorf.

Dank des weitreichenden Netzwerkes an Informanten, das Lehrerin Horn knüpfen konnte,

fließen viele weitere Details in die Biografien der mehrköpfigen jüdischen Familien wie Liffgens, Loewi, Katz, Silbermann ein. Sogar der eine oder andere Zeitzeuge in Trabelsdorf steuert Erinnerungen an die einstigen Spiel- oder Schulkameraden bei. Der Zeitrahmen 1933 bis 1942 sowie "Religiöses Brauchtum", "Jüdische Feste im Jahresverlauf", "Private Feste", "Wirtschaftliche Situation" bilden im Gedenkbuch eigene Kapitel.

Bürgermeister Michael Bergrab (ÜPL) unterstützt das Projekt "Gedenkbuch" durch seine guten Kontakte in Trabelsdorf. Die Gemeinde wird auch den Druck des etwa 100 Seiten starken Bandes finanziell tragen: "Die Geschichte unserer jüdischen Bürger gehört zur Dorfchronik", versichert Bergrab. Zudem solle für jede der acht Familien ein Stolperstein als Zeichen der Erinnerung gelegt werden.

Verlegung heute um 16 Uhr

Der erste Stolperstein mit der quadratischen Messingplatte samt eingraviertem Namen und Lebensdaten wurde bereits 2016 verlegt: für die gebürtige Trabelsdorferin Luise Löwenfels, die zum katholischen Glauben konvertierte, später in einen Orden eintrat und 1942 mit ihren jüdischen Glaubensschwestern in Auschwitz ermordet wurde. 2017 folgten fünf Stolpersteine für die Familie Liffgens. Und am Dienstag, 25. September, kommen um 16 Uhr vier weitere Stolpersteine für die Familie Reichmannsdorfer hinzu vor ihrem letzten Wohnort Bamberger Straße 14.

Für die Schüler des KHG ist es eine Ehrensache, dabei zu sein. Zumal auch ein Nachfahre der Familie aus den USA angereist ist. Christa Horn machte Herrn Richman ausfindig, dessen Vater Heinrich Reichmannsdorfer 1938 nach Amerika emigrieren konnte. Auch seiner Tante gelang die Flucht. Die Großeltern Gustav und Amalie Reichmannsdorfer wurden 1942 nach Izbica deportiert und dort oder in einem der nahe gelegenen Vernichtungslager ermordet.

Vor der Stolpersteinverlegung wird Herr Richman im KGH sein und den Schülern über das Leben seines Vaters erzählen. Der Gast aus den USA mit Trabelsdorfer Wurzeln bekommt auch eine Stadtführung durch Bamberg. Eine Station wird der Stolperstein für den Bruder seines Großvaters, Isidor Reichmannsdorfer, vor dem Haus Austraße 23 sein.

Bezug zum realen Leben

"Wir nehmen die Außenwelt in die Schule hinein, das ist wichtig für die Gesellschaft", untermauert Michael Strehler, Direktor des KHG, zu all diesen Aktionen. Sie seien "pädagogisch wertvoll mit Bezug zum realen Leben", fügt er hinzu. Und Lehrerin Christa Horn ergänzt: "Das ist Werteerziehung! Gut integrierte Familien in Trabelsdorf wurden ausgegrenzt und vernichtet." Da lasse sich so manche Parallele zum Heute ziehen.