Videobeweis im Fußball: Kellerchaos oder mehr Gerechtigkeit?
Autor: Jannik Reutlinger
Bayreuth, Mittwoch, 19. Februar 2020
Mehr Gerechtigkeit, aber auch Ärger und Unverständnis - der Videobeweis ist das große Streitthema im Profifußball. Der oberste Regelhüter kennt die Ursachen für die Probleme und verspricht Besserung.
"Scheiß DFB, scheiß DFB" - kaum ein Bundesligaspiel kommt ohne diese Rufe aus. Die Fans im Stadion sind sauer. Minutenlang müssen sie auf die Entscheidung des Video-Assistant-Referees (VAR) warten. Werden Treffer zurückgenommen, ist der Schuldige schnell ausgemacht: der Kölner Keller. Die Bundesliga ist in ihrer dritten VAR-Saison - und die Diskussion über die neue Technik ebbt nicht ab.
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Dabei hatte alles mit der Idee der Fairness angefangen. Fußball sollte gerechter werden.
An der Planung und Einführung des VAR direkt beteiligt war der Bayreuther Lukas Brud. Der 39-Jährige ist Geschäftsführer des International Football Association Boards (IFAB), der höchsten Regelinstanz im Fußball - und Befürworter des Videobeweises. "Für mich gab es einen Schlüsselmoment, als ich bei Manchester City zu Gast war. Dort sind während eines Spiels gleichzeitig 30 bis 35 000 Leute im Internet." Sie verfolgen nicht nur das Live-Spiel, sondern sehen sich strittige Szenen auf ihrem Smartphone fast in Echtzeit an.
"Jeder im Stadion weiß Bescheid, nur der Schiedsrichter nicht", sagt Brud. Er erinnert sich an den nicht gegebenen Treffer des Engländers Frank Lampard bei der WM 2010 gegen Deutschland. Brud saß damals im Stadion und bekam eine Nachricht von seinem Schwager: Der Ball war klar hinter der Linie. Das wussten bald viele im Stadion. Doch der Schiedsrichter hatte keine technischen Hilfsmittel, um seinen Fehler zu korrigieren. Seine Tatsachenentscheidung verwehrte England einen regulären Treffer.
Profi-Ligen drängen auf den VAR
Nach diesen Erfahrungen wollten Brud und seine Mitarbeiter in aller Ruhe prüfen, ob technische Hilfsmittel im Fußball Sinn machen. Fünf bis sechs Jahre waren für die mögliche Einführung des VAR angedacht. Doch die großen Ligen und Verbände bekamen Wind von der Sache, wollten dabei sein, unterstützen. "Wir hatten daher nicht das Gefühl, dass wir irgendetwas einführen, sondern dass es die Ligen wollen. Durch die Unterstützung haben wir den VAR schnell umgesetzt." Innerhalb von einer Woche bekam Brud einen Crashkurs, wie andere Sportarten den Videobeweis nutzen.
Anschließend arbeitete der ehemalige Premier-League-Schiedsrichter David Elleray ein 15-seitiges Umsetzungsprotokoll aus. "Wir haben das Protokoll mit vielen Regelexperten diskutiert und kein Schlupfloch gefunden - die Umsetzung war dennoch schwierig", erinnert sich Brud. Es folgte die Experimentierphase, auch in der Bundesliga. "Für uns hieß das: Es kann funktionieren, wenn man es richtig umsetzt. Das war und ist bis heute die größte Hürde. 50 Prozent des Erfolgs sind die richtige Kommunikation. Wenn dein Fußballmarkt nicht weiß, wie das Ding funktioniert, dann hat die Liga verloren."