Quidditch im Selbstversuch: Wenn aus Fantasie Realität wird
Autor: Torsten Ernstberger
Bamberg, Mittwoch, 26. Juni 2019
Quidditch? Diese Sportart gibt es doch nur bei Harry Potter? Von wegen. Ein Selbstversuch im Vorfeld der Europameisterschaft in Bamberg.
Ich bin verwirrt. Und das nicht, weil ich eine etwa einen Meter lange Kunststoffstange als Besenersatz zwischen den Beinen halten muss. Nach den ersten Wurfübungen habe ich mich daran gewöhnt, dass ich nur eine Hand frei habe. Und diese greift gerade einen Volleyball.
Und nun? Was muss ich als Jäger tun? "Vorsicht, Treiber", schreit ein Teamkollege. Kurz drauf trifft mich ein Völkerball. Ich muss den Angriff abbrechen und zurück zu meinen Toren laufen, erst danach darf ich wieder aktiv ins Spiel eingreifen. Im realen Leben ist die Harry-Potter-Sportart Quidditch ganz schön verrückt.
"Es passiert so viel gleichzeitig", sagt Lucia Boll von den Bamberg Kelpies, bei denen ich mein erstes Quidditch-Training absolviere. "Es finden eigentlich drei Spiele auf einmal statt, deswegen macht es ja auch so Spaß." Teamkollege Andreas Knecht ergänzt: "Die Teamdynamik ist in dieser Form einzigartig. Vom klassischen Passspiel über das Laufspiel bis hin zum Vollkontaktsport ist alles dabei." Oder in Sportarten gesprochen: Quidditch ist eine Mischung aus Handball, Völkerball und Rugby.
Fünf Bälle im Spiel
Und genau das macht es so knifflig. Es ist nicht nur ein Ball im Spiel, sondern fünf. Der Quaffel (Volleyball), drei Klatscher (Völkerbälle) und der Schnatz (Tennisball). Zudem gibt es pro siebenköpfigem Team vier Positionen mit unterschiedlichen Aufgaben: Jäger, Hüter, Treiber, Sucher. Die Spieler tummeln sich auf einem Spielfeld, das so groß ist wie ein halber Fußballplatz. An den Grundlinien stehen je drei Tore - oder besser Ringe, in die der Quaffel geworfen werden muss.
Dickes Regelbuch
So weit so gut - wäre da nicht noch ein Regelwerk, das auf der Homepage der International Quidditch Association (IQA) 137 PDF-Seiten umfasst. "Aber eigentlich ist es ganz einfach", sagt Boll. "Wer die meisten Punkte sammelt, gewinnt." Zehn Punkte bringt ein durch die Ringe geworfener Quaffel, 30 ein gefangener Schnatz. Sobald der in einer Socke verpackte Tennisball vom Hosenbund des unparteiischen Schnatz-Läufers gerissen wurde, ist das Spiel beendet.
Der erste Glücksmoment
Mittlerweile sind etwa 15 Minuten seit meiner ersten planlosen Angriffsaktion vergangen. Ich fange einen Angriff der Gegner ab, vier schnelle Pässe und mein abschließender Wurf findet sein Ziel. Jubel bricht aus - bei mir zum großen Teil auch wegen der anschließenden Trinkpause. Das Tempo ist extrem hoch. Angriff und Verteidigung wechseln sich ständig ab. Auch im Gerangel um den Ball gilt es, sich durchzusetzen. Hinzu kommen die Zusatzspurts zum eigenen Tor nach Abwürfen mit dem Klatscher. Obwohl Spurts auf mich nicht zutreffen: Es ist eher ein Traben - die schlechte Kondition macht sich bemerkbar.
Harry Potter ist Fluch und Segen
"Laufen ist eben doch anstrengender als fliegen", zieht eine Teamkollegin den Vergleich zum Quidditch in den Harry-Potter-Romanen. Doch die Bücher und das von der Autorin Joanne K. Rowling geschaffene Fantasie-Universum sind für die realen Spieler Fluch und Segen. Einerseits kommen die meisten Spieler über Harry Potter zum Quidditch, anderseits macht die Fantasy-Welt den Weg zur ernst genommenen Sportart steiniger.