Günther Reitzner: Streitbarer Schiedsrichter mit Pfiff
Autor: Torsten Ernstberger
Bamberg, Sonntag, 28. Juni 2020
50 Jahre Schiedsrichter in fünf Anekdoten: Schiedsrichter Günther Reitzner war mehr als 3000 Mal im Amateurbereich im Einsatz und einiges zu berichten.
"Pfiffikus und Reizfigur", "Reitzners folgenschwere Pfeifentöne", "Pfeifenmann war mutig" - drei von vielen Schlagzeilen aus der Karriere von Günther Reitzner. Der Obmann der Schiedsrichtergruppe Bamberg war mehr als 3000 Mal im Amateurbereich im Einsatz und Assistent in der Bundesliga und im Europapokal. Nun feiert der 72-jährige, in Hallstadt geborene Tuchenbacher sein 50-jähriges Schiedsrichterjubiläum - und blickt in fünf Anekdoten auf die fünf Jahrzehnte zurück.
Anekdote 1: Der 1. FC Nürnberg weckt die Leidenschaft
"Mein Interesse am Schiedsrichterwesen war schon immer da, auch als ich noch als Torwart in Stegaurach gespielt habe. Aber meine Leidenschaft fürs Pfeifen wurde erst durch einen Zufall und den 1. FC Nürnberg geweckt. Ich habe Anfang der 1970er in Nürnberg bei der Baustoff-Union gearbeitet. Mein Chef war Walter Luther, der auch Präsident des Clubs war. Eines Tages hat mich Luther in sein Büro zitiert und mir ein überraschendes Angebot gemacht. ,Sie pfeifen doch', hat er gesagt. ,Wir bräuchten heute Abend noch einen Schiedsrichter für ein Trainingsspiel zwischen dem FCN und einer Bundeswehrauswahl.'
Ich habe sofort zugesagt, aber nicht verraten, dass ich noch ziemlich unerfahren war. Ich hatte gerade erst den Schiedsrichterlehrgang gemacht und zuvor nur etwa 20 Jugendspiele gepfiffen. Und plötzlich stand ich mit hochkarätigen Spielern wie Dieter Nüssing, Fritz Popp, Manfred Drexler und Rudolf Kröner auf dem Platz. Linienrichter hatte ich nicht. Im Spiel ging es zur Sache, und es war schwer zu pfeifen, aber es lief für mich richtig gut - und vor allem hat es viel Spaß gemacht. Da war mir klar: Wenn ich so ein Spiel pfeifen kann, dann bin ich auch für höhere Aufgaben als Schiedsrichter bereit.
Meine Karriere verlief aber nicht wie im Aufzug. Einige Mal musste ich mich gedulden, bevor ich eine Klasse aufgestiegen bin. Rückblickend bin ich der Meinung, dass sich meine Leistungen letztlich durchgesetzt haben. Ein Vorteil war sicherlich auch, dass ich mir seit dem Club-Spiel keine Gedanken mehr gemacht habe, wer mit mir auf dem Platz steht. Ich habe kein Muffensausen vor gestandenen Spielern, für mich spielt immer Verein A gegen Verein B. Nur dann ist es auch möglich, faire und wenn nötig auch unpopuläre Entscheidungen, wie in knappen Partien einen Elfmeter in der Nachspielzeit, zu pfeifen. "
Anekdote 2: Der dreiste Trick vom Mann in Schwarz
"Mittlerweile war ich in Nürnberg Geschäftsführer der Großhandelsfirma Kempfer, deren Hauptsitz in Krefeld war. Der Chef kam zweimal im Jahr von Niederrhein nach Franken - und das meist sehr kurzfristig. So rief er mich am Freitagabend an, dass ich ihn am Samstagmorgen in Nürnberg vom Flughafen abholen und mir den Tag für Besprechungen frei halten soll. Da war ich in der Zwickmühle. Ich war nämlich auch für das A-Jugendspiel Bayern München gegen 1. FC Nürnberg in Amberg eingeteilt. So ein zuschauerträchtiges Endspiel um die bayerische Meisterschaft bekommt man als Schiedsrichter nicht oft. Bei Bayern spielten damals unter anderem die späteren Nationalspieler Markus Babbel und Dietmar Hamann.
Guter Rat war teuer. Obwohl ich weiß, dass Notlügen tabu sind, habe ich trotzdem eine angewandt. Ich habe mir einen schwarzen Anzug angezogen, bin früh zum Flughafen gefahren und war meinem Chef gegenüber sehr wortkarg. So hat er mir abgenommen, dass ich nachmittags auf eine Beerdigung muss. Also durfte ich mich gegen Mittag von der Besprechung abseilen und habe mich auf einem Parkplatz mit meinen Schiedsrichterkollegen getroffen. Die haben verdutzt geschaut und sehr gelacht, als ich mich am Parkplatz umgezogen habe. Und dann ging es auch schon zum Spiel.
Das Risiko, das ich damals eingegangen bin, wurde mir erst später bewusst. Hätte mein Chef von dem Schiedsrichtereinsatz Wind bekommen - mein Name stand in einigen Zeitungen -, wäre ich gekündigt worden. Ich hatte ziemliches Glück und war einfach zu geil auf dieses Spiel. Wohl auch weil ich kurz zuvor von einer Bayernligapartie zwischen Augsburg und 1860 München abgezogen und für ein DFB-Pokalspiel der Damen eingeteilt worden war - 300 statt 30 000 Zuschauer. "