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Brose Bamberg: "Die Qualität ist vorhanden, einen nächsten Schritt gehen zu können"


Autor: Klaus Groh

Bamberg, Donnerstag, 17. August 2017

Brose-Geschäftsführer Rolf Beyer ist sich sicher, dass der enorme Aderlass mit spektakulären Neuverpflichtungen aufgefangen werden konnte.
Ricky Hickmann (Bild, hier im Dress von Armani Mailand) und Daniel Hackett sind für Geschäftsführer Rolf Beyer "Traumverpflichtungen".


Mit Nicolo Melli (Fenerbahce Istanbul), Janis Strelnieks (Olympiakos Piräus), Darius Miller (New Orleans Pelicans/NBA), Daniel Theis (Boston Celtics/NBA) und Fabien Causeur (Real Madrid) verlor der deutsche Basketball-Meister und Pokalsieger Brose Bamberg seine fünf effektivsten Akteure. Im Gegenzug verpflichtete der deutsche Ausnahme-Klub, der seit 2005 neun Meisterschaften gefeiert hat, mit Bryce Taylor (Bayern München), Daniel Hackett (Olympiakos Piräus), Augustine Rubit (ratiopharm Ulm), Quincy Miller (Maccabi Tel Aviv), Luka Mitrovic (Roter Stern Belgrad) und Ricky Hickman (Armani Mailand) sechs neue Stars. Sie sollen vor allem dafür sorgen, dass die Trinchieri-Truppe auch in der Euroleague in der Lage ist, Europas Topklubs zu ärgern. Hier ein Interview mit Geschäftsführer Rolf Beyer, der nach dem Abschied von Sportdirektor Daniele Baiesi Richtung Bayern München in den letzten Wochen auch maßgeblich in die Vertragsverhandlungen eingebunden war.

Im Gegensatz zum Vorjahr musste die Mannschaft kräftig umgekrempelt werden. Konnte der Weggang von fünf absoluten Leistungsträgern kompensiert werden?
Rolf Beyer: Das wird man erst sehen, wenn die Jungs auf dem Feld stehen. Wir haben nach dem großen Umbruch in der Saison 2014/15 gesehen, dass es immer Startschwierigkeiten geben kann. Wir haben einen Trainer, der einen hohen Anspruch an die Basketball-Intelligenz seiner Spieler hat. Deshalb wird es sicher ein paar Wochen dauern, bis alle den Rhythmus gefunden haben. Auf der anderen Seite haben wir jetzt Spieler an Bord, die sehr, sehr viel Erfahrung mitbringen, die wissen, auf was sie sich einlassen. Deshalb bin ich guter Dinge, dass die Integration schnell funktionieren wird. Nikos Zisis, der ja so etwas wie das Sprachrohr der Mannschaft ist, freut sich, was wir im Hintergrund getan haben. Letztes Jahr haben wir darüber gesprochen, dass diese Mannschaft die beste war, die jemals im deutschen Basketball gespielt hat. Das ist immer schwer zu vergleichen. Es wird ein anderes Team sein, wir werden etwas Geduld brauchen, es aufzubauen, aber die Qualität ist vorhanden, einen nächsten Schritt gehen zu können.

Wie lange wird es aus Ihrer Sicht dauern, bis ein schlagkräftiges Team geformt ist, zumal fünf Nationalspieler nach der EM erst sehr spät zum Team stoßen?

Lo, Staiger, Heckmann, Nikolic und Hackett stehen erst einmal nicht zur Verfügung, das macht die Vorbereitung nicht leichter. Wir wissen aber mit diesem Thema umzugehen und werden, wie in den letzten Jahren auch, in der Vorbereitung die Jungs aus dem Baunacher Farmteam mit ins Training einbeziehen, so dass eine Gruppe von 16 Spielern die ersten Wochen zusammenarbeitet. Das hat bisher gut funktioniert, da die Jungen extrem viel aus dieser Situation mitgenommen haben. Die zwei Monate ab 21. August bis zum ersten Euroleague-Spiel am 12. Oktober gegen Maccabi Tel Aviv werden wir brauchen, um richtig in einen Fluss zu kommen. Wir haben aber nicht die komplette Mannschaft getauscht. Es sind viele Spieler da, die genau wissen, wie die Mechanismen laufen. Nikos Zisis wird mit seiner Führungsqualität sicher auch das eine oder andere zusammenfügen.

Was trauen Sie der neuformierten Mannschaft zu, in der deutlich mehr Routiniers als in der letzten Saison stehen?
Ich glaube, es gibt einen guten Mix in diesem Team. Es sind Routiniers da, die international extrem viel Erfahrung mitbringen. Es gibt aber auch einige junge Spieler aus unserer eigenen Organisation, die den nächsten Schritt machen müssen - wie zum Beispiel Aleksej Nikolic. Maodo Lo hat am Ende der letzten Saison gezeigt, dass er sein Potenzial abrufen kann. Bei ihm erwarte ich mir den nächsten Schritt. Louis Olinde ist mit einer Doppellizenz ausgestattet und wird sicher öfter eingesetzt werden. Das ist eine ganz interessante Mischung. Der erfahrene Kern ist vorhanden und wird die Mannschaft auch tragen, davon bin ich überzeugt.

Würden Sie die sechs Neuzugänge kurz charakterisieren?
Unsere Philosophie hat sich nicht geändert. Andrea Trinchieri bevorzugt ein guardlastiges System. Er wird wieder stark aufs Pick-and-Roll schauen, danach haben wir die Spieler rekrutiert. Fangen wir mal bei den Guards an:
Ricky Hickman ist ein Spieler, bei dem viele in Europa mit der Zunge schnalzen. Vor zwei Jahren haben wir schon einmal mit dieser Idee kokettiert, damals waren wir noch nicht in der Lage, das zu realisieren. Das zeigt auch die Entwicklung unseres Programms. Er kann mit seiner Erfahrung der Mannschaft sehr helfen, übernimmt aber auch in kritischen Situationen Verantwortung und zieht zum Korb. Das ist genau das, was wir brauchen.
Daniel Hackett bringt eine extrem gute Mischung aus Athletik, Größe, Spielverständnis, aber auch einen Schuss Verrücktheit mit. Ich habe ihn als extrem harten Arbeiter, der uns auch defensiv sehr viel geben kann, kennengelernt. Genauso wie Hickman ist er für mich eine Traumverpflichtung. Und er ist auch fit. Unser Athletiktrainer Sandro Bencardino hat ihn in den letzten Wochen eng begleitet. Ich bin überzeugt, dass er nach der durchwachsenen letzten Saison den nächsten Schritt machen kann.
Augustine Rubit ist jetzt vielleicht nicht die spektakuläre Verpflichtung, die der eine oder andere Fan erwartet hat, aber ich sehe ihn mit 28 noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Er ist sehr athletisch, kann einen Wurf mit einbringen, gibt der Mannschaft viel Energie - er ist sicher ein Spielertyp, der genau zu Andrea Trinchieri passt.
Luka Mitrovic ist eine Persönlichkeit. Ich war überrascht, wie reif er schon ist. Wenn ein Spieler mit 21 Jahren in einer Organisation wie Roter Stern Belgrad zum Kapitän ernannt wird, das drei Jahre in extrem schwierigen Zeiten durchzieht und eine Mannschaft trotz ausstehender Gehälter zusammenhält, dann ist das großartig. Natürlich ist er mit 24 Jahren noch nicht fertig, aber ein absoluter Teamplayer. Er muss jetzt den nächsten Schritt machen und sich individuell etwas mehr exponieren. Er tritt in große Fußstapfen. Aber auch bei Nicolo Melli hat unsere Organisation mit dem Coach vorne dran bewiesen, dass sie solche Spieler entwickeln kann.
Quincy Miller habe ich vor zwei Jahren bei Belgrad das erste Mal gesehen. Das war ein Jahr, in dem er explodiert ist. Er hat damals in einem System gespielt, in dem er Guards hatte, die ihn gefüttert haben. Er ist mit 2,08 m ein am Ball extrem versierter Spieler, der große individuelle Klasse mitbringt. Das ist ein sehr spektakuläres Paket. Letzte Saison hat er sich ziemlich schwer verletzt. Aber das ist komplett auskuriert. Wir haben uns sein Knie sehr intensiv angeschaut, ihn medizinisch auf Herz und Nieren geprüft, bevor wir über den Vertrag gesprochen haben. Miller ist ein großer Spieler, der ideal in das System Trinchieri passt.

Bryce Taylor ist in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Baustein für das Team. Erstens mit seiner Erfahrung, zweitens mit dem Potenzial, einen deutschen Pass zu bekommen, wird er für die Zukunft noch wichtiger für uns sein. Drittens ist er ein sehr feiner Mensch, ein Leader, der eine Truppe auch mit pushen kann. Mit Nikos Zisis soll er eine führende Rolle übernehmen, genauso, wie Elias Harris das tut. Taylor verfügt über individuelle Qualität, ist aber auch einer, der sich dem Team unterordnet, das hat er in den letzten Jahren in München bewiesen. Er hat seine Hausaufgaben in Sachen Einbürgerung gemacht, jetzt laufen die Mühlen der Bürokratie. Wir werden das eng begleiten, dann werden wir sehen, wann es wirklich so weit ist. Er hat mich in einem längeren Gespräch als Typ überzeugt. Mir geht es auch gar nicht darum, dass wir den Bayern einen Spieler abgeluchst haben. Er wollte für sich eine neue Herausforderung, die wir ihm die nächsten drei Jahre geben können.

Die Fragen stellte Klaus Groh