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Der Himmel über Berlin weinte


Autor: Udo Schilling

Bamberg, Samstag, 12. Sept. 2015

Die deutsche Nationalmannschaft ist nach knappen Niederlagen schon in der Vorrunde der Europameisterschaft in Berlin ausgeschieden - eine Bilanz.
Bundestrainer Chris Fleming (links) stärkte seinen jungen Aufbauspielern, wie hier dem herausragenden Dennis Schröder, trotz vieler Fehler stets den Rücken.  Foto: Lukas Schulze/dpa


Als die deutsche Mannschaft am Donnerstagabend ihr viertes von fünf Vorrundenspielen bei der Basketball-Europameisterschaft in Berlin verloren hatte, weinte auch der Himmel über der Arena am Ostbahnhof. Wie ein Blitz schlug der Foulpfiff 3,8 Sekunden vor Schluss ein - die Fans tobten. Dennis Schröder bekam die Chance, die Partie auszugleichen und die Verlängerung zu erzwingen. Stille machte sich in der mit 13 050 Zuschauer ausverkauften Arena breit, nachdem er den dritten vergeben hatte. 76:77 gegen Spanien - aus und vorbei, aber raus mit Applaus.


Zwischen Genie und Wahnsinn

"Ich nehme die Schuld auf mich; ich muss den Freiwurf machen", sagte Schröder wenig später. Es hätte sein Auftritt werden können, doch wie schon tags zuvor gegen Italien versagten dem 21-jährigen Spielmacher an der Linie die Nerven. Doch Schröder, das Riesentalent, das zwischen Genie und Wahnsinn schwankt, hat noch eine lange Länderspielkarriere vor sich. Für einen anderen ging sie wohl am Donnerstagabend in Berlin zu Ende. Nach 153 Matches für Deutschland mit 3045 Punkten, nach WM-Bronze 2002, EM-Silber 2005 und Olympia-Teilnahme 2008 hat sich Dirk Nowitzki von seinen Fans verabschiedet. Oder doch nicht?


Nowitzki: Man kann sich noch mal zusammensetzen

Wenn der Deutsche Basketball Bund (DBB) den Zuschlag für die Ausrichtung eines von drei Olympia-Qualifikationsturnieren erhalten sollte, könnte Nowitzki noch einmal ins Nationalteam zurückkehren und doch noch den Sprung nach Rio schaffen. "Direkt nach dem Spiel dachte ich eigentlich, das war's", sagte Nowitzki, "doch wenn wir als Ausrichter dabei sind, kann man sich im nächsten Sommer sicher noch einmal zusammensetzen."
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DBB-Präsident: Wollen Olympia-Quali ausrichten

Wir werden alles tun, um eine Runde nach Deutschland zu holen", versprach DBB-Präsident Ingo Weiss. "Wir sind bereit, vor allem nach den guten Erfahrungen aus dieser EM hier in Berlin mit einer fünfmal ausverkauften Halle. Das wird aber nicht einfach, weil es viele Kandidaten gibt." Damit meinte er nicht nur die reichen asiatischen Länder, sondern vor allem Russland, das ebenso wie Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden ist. "Es gab noch nie eine EM oder Olympische Spiele ohne die russischen Basketballer", wusste Weiss, der im Central-Board des Weltverbandes Fiba als Schatzmeister sitzt und die Finanzstärke der Russen kennt. Die Kosten eines solchen Turniers belaufen sich auf rund 1,7 Millionen Euro.


Konkurrenz groß

"Ende November wird die Entscheidung über die drei Standorte der Qualifikationsturniere fallen, sagte Weiss, der aber auch von einem finanziellen Wagnis spricht, da man natürlich nicht damit rechnen könne, dass bei eventuellen Gästeteams aus Afrika oder Asien so viele Fans kommen wie jetzt aus Island, Italien, Serbien oder der Türkei. Knapp 120 000 Fans strömten zu den 15 Begegnungen in die Berliner Arena. "Damit sind wir hochzufrieden und es steht beim DBB am Ende eine schwarze Null", sagte Event-Direktor Wolfgang Brenscheidt.


Quantensprung in den Zuschauerzahlen

Zusammen mit den anderen drei Standorten, Riga, Zagreb sowie Montpellier, hat die Fiba schon jetzt die Zuschauerzahlen der letzten beiden EMs weit übertroffen. "Wir denken, dass wir am Ende die 500 000 erreichen und hoffen auf 600 000 Fans", sagte Kamil Novak, Executive Director der Fiba-Europe. Zum Vergleich: 2011 sahen in Litauen 157 000 und 2013 in Slowenien 182 000 Fans die Spiele in den Hallen. "Ein Quantensprung", schwärmte Novak.
Die EM ist für den DBB allerdings passé. Präsident Weiss hofft auf das Olympia-Qualiturnier und dann auf eine Rückkehr von Zugpferd Nowitzki.


Nowitzki selbstkritisch

Der blieb in seiner Bilanz, wie es seine Art ist, selbstkritisch: "Ich habe mit Sicherheit kein tolles Turnier gespielt. Es war noch einmal eine Riesenerfahrung. Leider konnte ich nicht so überzeugen, wie ich mir das gewünscht hätte." Zum Abschluss kam der Würzburger auf zehn Punkte, erkämpfte sieben Rebounds, hatte aber fünf der 14 deutschen Ballverluste, die wohl den Sieg über Spanien (nur 6) gekostet haben. "Man darf halt nicht drei Spiele knapp verlieren. Das war dumm", sagte Nowitzki hinterher. "Ich habe in meinen 17 Jahren Profi-Basketball natürlich schon einiges erlebt. Aber natürlich gehört das Vorrunden-Aus bei einer Heim-EM zu einem der bittersten Momente meiner Karriere."


"Kritik war nicht gegen Daniel Theis gerichtet"

Das Thema Daniel Theis, der zuletzt bei den Bambergern in Testspielen auflief, was Nowitzki kritisierte ("schon ein bisschen eine Frechheit"), relativierte der Würzburger wieder. "Das war nicht gegen ihn gerichtet, ich kenne Daniel und seine Situation ja gar nicht. Ich habe nur gesehen, dass wir auf den großen Positionen nicht athletisch genug waren und wir ihn sicher gut hätten gebrauchen können."


Fleming: Nowitzki hat überragend Bedeutung

Bundestrainer Fleming wusste indes, was er Nowitzki schuldete: "Dirk hat eine überragende Bedeutung für die Mannschaft, die nur schwer messbar ist. Sein Einsatz, seine professionelle Einstellung ist wichtig für die jungen Spieler. Dass er in seinem Alter seine Knochen noch hinhält, ist beeindruckend. Er war der meist gejagte Spieler auf dem Feld."
Doch der Amerikaner blickte schon in die Zukunft des Nationalteams, die er besonders in dem jüngsten Aufbauspieler-Duo des Turniers - Maodo Lo (22) und Dennis Schröder (21) - in rosigen Farben sieht. "Beide werden aus den hier gemachten Erfahrungen lernen und gestärkt zurückkommen", prophezeit Fleming.
Nach dem Aus machte sich bei Fleming in den Katakomben der Arena eine Leere breit. Mit leiser Stimme sprach er: "Ich werde jetzt nach Hause fahren. Meine zwei Jungs habe ich in den letzten Wochen nur an drei Tagen gesehen." Und der 45-Jährige fügte noch schnell an: "Und eine Frau habe ich auch noch."