Spargel und Stumpf
Autor: Redaktion
Bamberg, Sonntag, 16. Dezember 2018
Die Bamberger St.-Otto-Kirche weist einige architektonische Besonderheiten auf. Unter anderem zwei unterschiedliche Türme.
"Schauen Sie mal nach oben", sagt Wolfgang Wußmann und legt selbst den Kopf in den Nacken, um zum Turm der Ottokirche hinaufzublicken. "Das hört gar nicht mehr auf. Weil er so lang und so dünn ist, nennt man ihn auch liebevoll Spargel. Aber dieser Spargel ist gar nicht das, was ich Ihnen zeigen möchte." Im Mittelpunkt von Wußmanns Interesse steht eben gerade nicht das hoch aufragende Bauwerk, sondern der zweite Turm, der diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient, weil er als Stumpf endet.
"Böse Zungen behaupten, den Bauherren sei um 1912 das Geld ausgegangen und man habe den Bau des Turms deshalb beenden müssen", sagt Wolfgang Wußmann und lacht. Das sei aber mitnichten der Grund. "Der Architekt hatte nie geplant, den Turm fertigzustellen. Es ist verbrieft, dass er ihn mit Absicht unvollendet und unvollkommen gelassen und gesagt hat: Was ist schon vollkommen, im Leben eines Christenmenschen?"
Der Architekt, sein Name war Otho Orlando Kurz, auch bekannt als O. O. Kurz, sei ein sehr eigenwilliger Mensch gewesen. Er habe versucht, in und mit der Kirche St. Otto einen neuen Sakralstil mit Elementen aus Romanik, Gotik und Renaissance zu schaffen. "Deshalb vereint sie auch viele Baustile in sich", sagt der Verfasser des Bamberg-Lexikons und zählt auf: "Glasmalereien von Sepp Frank, Plastiken von Valentin Kraus, das Kreuz von Johann Paul Egell."
Diese Vereinigung von alten Stilen sei dem Architekten "in diesem Sinne nicht ganz so gut gelungen", meint Wußmann. Aber: "Überall finden sich in der Kirche die Initialen SEV, Sie stehen für Schöpfung, Erlösung, Vollendung. Damit hat Otho Orlando Kurz der Kirche schon einen klaren Charakter gegeben. Und St. Otto ist immerhin die erste Kirche des 20. Jahrhunderts, die unter Denkmalschutz gestellt wurde ."
Der Vollständigkeit halber sei hier auf die Geschichte der Ottokirche eingegangen: Als die St.-Gangolfs-Kirche Anfang des 20. Jahrhunderts für die wachsende Gemeinde - immer mehr Menschen siedelten sich im Bamberger Osten an - zu klein geworden war, schenkte das Ehepaar Leonhard und Dorothea Wolf der Gemeinde 1906 den Bauplatz für die St.-Otto-Kirche. Für den Bau selbst war bereits Geld vorhanden: Der 1899 verstorbene Gangolfer Pfarrer Leonhard Hiltner hatte ein sehr bescheidenes Leben geführt und gespart, was er nur konnte. Er vererbte stolze 176 000 Mark an die Gemeinde, dieses Geld bildete den Grundstock für den Bau der St.-Otto-Kirche.
Nach langer Suche und vielen eingereichten Architektenentwürfen, die bei den Bauherren keine Zustimmung fanden, gab es 1911 einen Architekturwettbewerb, den Otho Orlando Kurz und sein Partner Eduard Herbert gewannen. Zuvor hatte Kurz mit dem Bau der katholischen Pfarrkirche Milbertshofen im Jahr 1908 Erfahrung gesammelt, auch in München war das Architektenduo sehr aktiv. Ab 1911 lehrte Otho Orlando Kurz als Professor an der Technischen Hochschule in München Zeichnen. Und 1912 wurde eben in Bamberg mit dem Bau begonnen.
Tragisches Ende
Die Hiltner'sche Kirchenstiftung - auch durch Zuwendungen von Gärtnern der Pfarrei unterstützt - verfügte mittlerweile über 290 000 Mark. Nach dem Ersten Weltkrieg erlangte der Architekt noch größere Bekanntheit, als er sich mit einem Stil einen Namen machte, der der Neuen Sachlichkeit nahestand. Und er war derjenige, der das bekannte Grabmal des Schriftstellers Paul Heyse auf dem Münchner Hauptfriedhof schuf.