Sommerserie: Sudrach ist ein Eldorado der Frösche
Autor: Irmtraud Fenn-Nebel
Michelau im Steigerwald, Donnerstag, 29. August 2019
Erst fühlten wir uns in der ehemaligen Feriensiedlung Sudrach im Steigerwald wie Außerirdische. Dann lernten wir die Bewohner kennen.
Huch! Wo sind wir denn da gelandet? Sudrach, Ortsteil von Michelau im Steigerwald, sieht aus wie eine Feriensiedlung. Viele Häuschen in einer speziellen Bauart, ein bisschen gedrungen, ein bisschen mit Holz verkleidet, ein bisschen Grün drumrum und pro Parzelle schön eingekastelt. Ruhig ist es, fast schon gespenstisch. Assoziationen zu Filmen wabern ins Hirn, wo Szenen ähnlich harmlos eingeläutet werden und dann: Bamm!, donnert das Ufo ins Idyll und Außerirdische strömen aus. So ähnlich fühlen wir uns jetzt. Fotografin Barbara Herbst und ich blinzeln erst skeptisch in die 70er-Jahre-Szenerie, dann nicken wir uns zu. Wir packen Notizbuch, Stift und Kamera und betreten das fremde Terrain. Immer schön dem Pfeil nach!
Wie bei Rosamunde Pilcher
Apropos Pfeil. Den habe ich mir unter den Arm geklemmt, damit wir am Ort seines Einschlags ein Foto machen können. Außerdem habe ich eine Zeitungsseite mit einem Artikel über einen vorhergehenden Besuch im Rahmen unserer Sommerserie dabei, irgendwie muss ich mich ja glaubhaft ausweisen können. Derart ausgerüstet laufen wir also zum Haus, das der Pfeil getroffen hatte. Und welche Freude: Da steht jemand im Garten. Rosamunde Pilcher hätte die ältere Dame in ihrer grünen Latzhose, das freundliche Gesicht umrahmt von einem weißen Kopftuch, nicht schöner inszenieren können.
Helga Schmidtlein ist 84 Jahre alt und es ist keine Übertreibung zu sagen: Man sieht es ihr nicht an. Sie freut sich, weil wir ihr Biotop loben und erzählt. 1979, da wohnte sie mit ihrem Mann in Würzburg, haben sie das Grundstück in Sudrach gekauft. Damals war es eine reine Feriensiedlung. Der Quadratmeter kostete 3 Mark. "Ja, das war billig", sagt Helga Schmidtlein. "Aber es kamen schon noch Kosten dazu, zum Beispiel für die Kanalisation."
Wo sich die Hummeln tummeln
Damit auch ihre Eltern genug Platz hatten, wenn sie zu Besuch kamen, haben Schmidtleins das Haus ausgebaut. Auf 68 Quadratmetern ist alles da, was man für die Auszeit im Grünen so braucht. Abgesehen von einer Zentralheizung, weshalb es im Winter schon ein bisschen kalt ist. Und mit dem Strom ist es auch so eine Sache: "Wenn ich koche, dürfen keine anderen Geräte in Betrieb sein. Sonst haut"s die Sicherung raus. Da musste schon mal das E-Werk kommen."
Vor allem den Garten liebt Helga Schmidtlein, auch wenn 1200 Quadratmeter viel Arbeit bedeuten. "Da müssen wir immer dranbleiben, sonst wird aus dem Biotop ein Urwald. Die Gegend hier ist trocken, da kommen wir mit dem Gießen kaum nach." Sie ist stolz auf ihre Bäume, Blumen und Sträucher und freut sich: "Die Hummeln und Hornissen kommen alle zu mir." Ernten kann sie trotzdem nichts. "Die Vögel sind schneller als ich", sagt Helga Schmidtlein und lächelt.
Dann wird sie ein bisschen traurig, als sie vom Wechsel in den angrenzenden Grundstücken erzählt. "Rundherum waren Freunde und gute Nachbarn. Leider sind viele gestorben oder weggezogen." Auch die Infrastruktur könnte besser sein. "Ohne Auto wären wir aufgeschmissen. Früher hatten wir alle Geschäfte im Ort, jetzt müssen wir zum Einkaufen nach Dingolshausen oder Gerolzhofen." Weil es keinen Bus gibt, würden alte Leute manchmal per Anhalter fahren. Vielleicht haben sie Glück und können bei Schmidtleins einsteigen. Sie sind gern unterwegs, gehen mal ins Theater oder zum Wandern. Sonntags machen sie immer Ausflüge. "Ich schaue einfach, wie ich mein Leben gut gestalten kann", sagt die alte Dame. Ach ja, seufzen wir. Hoffentlich haben wir es im Alter auch so gut!
Nein, wir sind keine Zeugen Jehovas!
Beseelt von der schönen Begegnung setzen wir unsere Erkundungstour fort. Wir sehen ein Auto einbiegen und folgen ihm. Es hält vor einem Haus, eine Frau steigt aus und klingelt. Eine andere Frau öffnet. Klar, die sprechen wir an. "Hallo", sage ich, die außerirdische Aussehende mit Pfeil. "Wir sind nicht die Zeugen Jehovas und wollen auch nix verkaufen. Wir kommen von der Zeitung ...". Der Rest meiner Rede geht im Geschnatter und Gelächter unter, denn Gabriele Kundmüller (die Hausbesitzerin) und Maria Schmitt (die Autofahrerin) plaudern gleich munter drauflos. Welcher Zufall: Sie sind Schwestern.