Druckartikel: Social Freezing - oder: wenn die biologische Uhr einfach weitertickt

Social Freezing - oder: wenn die biologische Uhr einfach weitertickt


Autor: Sarah Seewald

Erlangen, Donnerstag, 10. November 2016

Frauen können sich in Erlangen ihre Eizellen einfrieren lassen, um beim Schwangerwerden unabhängig vom Alter zu sein.
Foto: Sarah Seewald


Sein Ziel ist es nicht, dass die Mütter in Deutschland älter und immer älter werden. Rolf Behrens ist Reproduktionsmediziner. In der Eizellbank in Erlangen haben gesunde Frauen die Möglichkeit, sich Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen, um damit später schwanger zu werden. Später, also zu einem Zeitpunkt, an dem ihre biologische Uhr schon laut, dröhnend laut tickt und Frauen statistisch gesehen nicht mehr so schnell und nicht mehr so häufig schwanger werden.

Außerdem steigt mit zunehmendem Alter das Risiko, dass Kinder mit Fehlbildungen auf die Welt kommen - dies will und kann man mit "jungen" Eizellen, die späte Schwangerschaften ermöglichen, teils vermeiden.
Doch werde die Möglichkeit des sogenannten Social Freezing noch nicht so präventiv von den Frauen genutzt, wie es eigentlich ablaufen sollte. Die Frauen, die sich bei Behrens und seinen Kollegen in Erlangen über die Möglichkeit informieren, sind teilweise schon zu alt - beziehungsweise eben ihre Eizellen. Eine Frau kommt mit einer Vielzahl mit Eizellen auf die Welt, Jahr für Jahr werden diese verbraucht, älter, sterben ab.

Eine Frau in Bayern ist aber durchschnittlich erst in ihrem 31. Lebensjahr (30,1 Jahre) so weit, Mutter zu werden. Nur in Hamburg oder in Berlin waren die werdenden Mütter im Schnitt noch älter - 30,9 Jahre im Jahr 2015.
"Fast stereotypisch" kann der Mediziner die Frauen beschreiben, die sich mit dem Kinderwunsch im Alter auseinandersetzen: "Die Frauen sind fast immer Akademikerinnen, um die 35, 40 Jahre alt, beruflich sehr engagiert." In Erlangen seien es oft Frauen, die bei Siemens, Adidas, den großen Firmen arbeiten - Karriere machen. Nicht selten hätten die Frauen eine Trennung hinter sich oder kämpften mit Partnerproblemen - mit Rahmenbedingungen, die ihrem Gefühl nach nicht zu einer Schwangerschaft, einem Kind in ihrem Leben passen.


Etwa 100 Gespräche

Etwa zwei Frauen pro Woche sitzen bei ihm in der Praxis. 100 Frauen werden somit jährlich beraten, wiederum die Hälfte davon entscheidet sich wirklich für die Behandlung. Gemeldet, um von ihren persönlichen Gedanken, ihren Hoffnungen und gleichzeitig Zweifeln zu sprechen, hat sich seit dem Gespräch mit Rolf Behrens leider keine Frau direkt bei uns, um ein Interview zu führen.

Welche Frau letztlich die Eizellen auftauen und sich einpflanzen lasse, sei noch einmal eine andere Frage, so wie die, welche davon nachher auch wirklich schwanger wird. Es gibt schlichtweg keine Erfahrungswerte, dazu ist das Phänomen noch zu neu, die Verbreitung in der Gesellschaft zu schwach. Bisher wurde die medizinische Möglichkeit jungen Frauen angeboten, die an Krebs erkrankt sind und sich einer Chemotherapie unterziehen müssen.
Im Jahr 2012 vermeldete die Deutsche Presseagentur, dass es Wissenschafltern des Reproduktionszentrums Erlangen gelungen war, gefrorenes Eierstockgewebe einer Frau nach einer Chemotherapie einzusetzen und sie ein Kind zur Welt bringen konnte. Doch anders als bei Krebspatientinnen, steht hinter Social Freezing kein medizinischer Grund.

"Es ist keine Heilbehandlung und wird auch nie eine werden", sagt Behrens auf die Frage, ob die Krankenkassen diesen Eingriff bezahlen sollten. Vor einiger Zeit haben Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen in den USA angeboten, die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. Während in Deutschland noch viel Kritik bei dem Thema laut wird, steigt laut Umfragen dennoch die Offenheit der Jüngeren, die Zeiger der biologischen Uhr mit modernen Möglichkeiten selbst zurückdrehen zu können.


Aufklärungsarbeit leisten

Behrens hat sich schon überlegt, bei Firmen Informationsveranstaltungen für Frauen zum Thema Social Freezing anzubieten. Nicht der zahlenden Patientinnen wegen, sondern darum, den Frauen Illusionen zu nehmen, ihnen zu erklären, dass es auch für das Einfrieren zu spät sein kann. Sie rechtzeitig auf die Möglichkeit hinzuweisen. Häufig würden nämlich die Frauen mit falschen Erwartungen, nicht erfüllbaren Hoffnungen, an den Mediziner herantreten.

So radikal wie die Einführung der Pille werden laut Behrens Einschätzung die Auswirkungen auf die Fortpflanzung in Deutschland nicht sein - auch weil Social Freezing eine Geldfrage bleiben werde. Zwischen 2600 und etwa 9000 Euro kann es eine Frau kosten, ausreichend gesunde Eizellen konservieren zu lassen, um Jahre später möglicherweise schwanger zu werden. Abgesehen von der medizinischen Machbarkeit: "Bei jedem Kinderwunsch behalten wir das Kindswohl im Auge", sagt Behrens.

Gesetzlich gebe es zwar kein Limit, wann sich eine Frau ihre Eizellen einpflanzen lassen darf, doch geht es Behrens' auch darum, dass die Risiken einer späten Schwangerschaft für die Frau mit dem Alter zunehmen. Bei 45, vielleicht 48 Jahren, je nach Patientin, setzt Behrens seine intuitive und persönliche Altersgrenze. Social Freezing könne die Rahmenbedingungen für eine Frau, schwanger zu werden, verbessern, eine Garantie auf ein Kind zum Wunschzeitpunkt ist es aber nicht.