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So schützen sich Kinder vor Missbrauch


Autor: Anette Schreiber

LKR Bamberg, Donnerstag, 15. Oktober 2020

Theaterpädagoge Dirk Bayer lobt den Buben, der Dienstag in das Auto eines Fremden steigen sollte. Er hat genauso reagiert, wie Bayer es lehrt.
Für unser  Symbolfoto hat Theaterpädagoge Dirk Bayer wie in seinem  Präventionsstück "Hau Ab" die Rolle eines Mannes übernommen, der Kinder bedrängt, hier aus  dem Auto heraus.Ronald Rinklef


Der Achtjährige hat "goldrichtig" reagiert - so lobt Alexander Krapp, Sprecher der Polizeiinspektion Bamberg-Land, wie sich der Schüler aus der Situation gerettet hat. Wie berichtet, hatte ein Mann im Auto Dienstagnachmittag den radelnden Jungen zu sich gewunken und aufgefordert einzusteigen. Das tat der Achtjährige nicht, sondern fuhr über eine Seitenstraße davon. Er haute ab. Genau eine Reaktionsmöglichkeit, wie sie das Präventions-Mitmachstück "Hau Ab" des Bamberger Theaterpädagogen Dirk Bayer vermittelt.

Eigentlich steht Hirschaid erst im November auf seinem Tourplan und der Achtjährige war damit noch nicht in den Genuss dieser Spezialschulung fürs Leben gekommen. Der Junge hatte sich jedoch instinktiv richtig verhalten und aus der Affäre gezogen, lobt der Präventions-Experte anerkennend.

Seit 18 Jahren zieht er mit dem von ihm zusammen mit Fachleuten konzipierten Stück durch ganz Deutschland. Etwa 13 000 Mal wurde es gespielt, bei jeder Vorführung mit etwa 40 bis 50 Kindern. In den Jahren hat sich weiterer Bedarf gezeigt. So sind zu der Version für Grundschulen auch welche für Kindergärten, weiterführende Schulen und für Menschen mit Behinderung gekommen. Das Konzept umfasst neben der Mitmachaufführung die weiteren Module Workshop, Elternabend und Lehrerabend. In Zeiten von Corona bietet der Theaterpädagoge Videos auf seiner Homepage (www.dirk-bayer.de) unter anderem mit Tipps für Eltern an.

Dirk Bayer findet, es habe sich in Sachen Prävention schon viel getan und das Gros der Schulen und Kindergärten in der Region nutze das Angebot in der Zwischenzeit regelmäßig. Er freut sich ganz besonders über Rückmeldungen, dass die geschulten Kinder in der Praxis auf das zurückgegriffen haben, was sie gelernt haben. Dazu gehört, wie bei dem Hirschaider Schüler, "dass sie lernen, auf ihr Gefühl zu vertrauen, dass etwas nicht in Ordnung ist". Auch den weiteren Schritt, "nichts wie weg", habe der Achtjährige instinktiv vollzogen. Das Nächste, was gelehrt wird, ist Hilfe zu holen. Was in Hirschaid nicht erforderlich war. Und als Letztes bringt Bayer in seiner Arbeit den Teilnehmern bei, das Geschehen "dem Lieblingsmenschen zu erzählen".

Weil es im Zuge der Corona-Einschränkungen vermehrt zu Fällen von häuslicher Gewalt kommt, bietet Bayer übrigens als seinen Beitrag zu den aktuellen Geschehnissen "Hau ab" bis Ende des laufenden Schuljahres in bestimmten Bereichen zu vergünstigten Konditionen an.

Zurück zu den Vorkommnissen dieser Woche in Hirschaid und Ebelsbach. Letzteres hatte sich schnell aufgeklärt, aus der Nachbarschaft wollte jemand ein Mädchen heimbringen. Alexander Krapp unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die Polizei zeitnah informiert wird. Er warnt jedoch vor Hysterie und rät gerade zur Vorsicht bei Mitteilungen über soziale Medien. Denn: "Die allermeisten Fälle stellen sich im Nachhinein als unbedenklich heraus." Das "Ansprechen von Kindern" in der Öffentlichkeit sei nicht unproblematisch, gesteht er zu. Ein unbekanntes Kind nach dem Weg zu fragen, könne durchaus Verdacht wecken. Sinnigerweise sucht man sich einen Erwachsenen. Allgemein empfiehlt Krapp, lieber kein Kind anzusprechen, das ohne Erwachsenen unterwegs ist. Einer Hilfeleistung hingegen stehe nichts entgegen, wenn ein Kind vom Rad gefallen ist, beispielsweise. Aber man soll auf jeden Fall die Eltern, gegebenenfalls Polizei oder/und Krankenwagen verständigen und bleiben, bis diese eintreffen. Ganz wichtig: "Die Personalien hinterlassen." Krapp warnt - "auf keinen Fall ein Kind einfach so im Fahrzeug mitnehmen".

Der oben genannte Hirschaider Vorfall vom Dienstagnachmittag ist noch nicht geklärt, so Krapp auf Nachfrage. Den radelnden Schüler hatte ein Mann in der Bahnhofstraße durchs Autofenster angesprochen und aufgefordert, einzusteigen. Was der Schüler wie erwähnt nicht tat, sondern wegfuhr. So sucht die Polizei weiterhin nach Zeugen (Telefon 0951/9129 310.) Der Mann mittleren Alters hat schwarzgraues, zum kurzen Pferdeschwanz gebundenes Haar. Er war in einem silbernen Kleinwagen (eventuell ein VW Polo) unterwegs.

KOMMENTAR:

Die Augen offen halten!

Kindesmissbrauch gehört zu den abscheulichsten Verbrechen. Gut, dass die Gesellschaft inzwischen dafür wesentlich sensibilisierter ist als noch vor Jahrzehnten. Präventionsarbeit kann nicht genug befürwortet und unterstützt werden.

Denn, wer Gefahrensituationen klar erkennen gelernt hat, und wem in Rollenspielen Strategien an die Hand gegeben worden sind, wie man aus solchen Situationen kommt, der ist einfach besser gerüstet. Je breiter Prävention aufgestellt ist, umso besser.

Freilich hat die erhöhte Alarmbereitschaft auch ihre Schattenseiten: Dazu gehören logischerweise Überreaktionen - dass bisweilen unbescholtene Menschen vorschnell in Verdacht geraten und an den Pranger gestellt werden. Gerade in den sozialen Netzwerken. Aufgrund der schnellen Reaktions-und Verbreitungsmöglichkeiten sind auch die Gefahren dafür größer, dass sich Fehlinformationen rasch verbreiten, aber kaum oder erst spät korrigiert werden. Beispiel der Fall aus Ebelsbach, wo ein hilfsbereiter Nachbar verdächtigt und alsbald auch eine Verbindung zum Hirschaider Vorfall hergestellt wurde.

Es ist bedauerlich, dass wir heute schon so weit sind, dass man misstrauisch wird, wenn jemand ein Kind anspricht. Auf dem Land ist das vielleicht noch nicht so ausgeprägt, weil sich die Menschen untereinander kennen. Eine Garantie dafür, dass hier nichts passiert, kann es natürlich nicht sein. Dennoch: Wachsamkeit ist allemal besser als Gleichgültigkeit und selbstbewusste, geschulte Kinder weiß man dabei getroster unterwegs. Kompliment an den Hirschaider Jungen, der instinktiv das Richtige tat.