Druckartikel: So kämpfen Frauen in Afghanistan für ihre Rechte

So kämpfen Frauen in Afghanistan für ihre Rechte


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Bamberg, Donnerstag, 22. Februar 2018

Eine engagierte Afghanin spricht in Bamberg über die Frauenbewegung in ihrem Heimatland. Diese hat einiges vorzuweisen.
Nadia Nashir


Als Kind erlebte Nadia Nashir ihr Heimatland Afghanistan in Zeiten des Friedens. Heute blickt sie mit Sorge auf die Situation in der krisengeschüttelten Region - und versucht, aktiv zu helfen. Vor 26 Jahren gründete sie den Afghanischen Frauenverein (AFV), der vor Ort schon vieles geleistet hat: Zugang zu sauberem Trinkwasser, medizinische Hilfe, Bildung. Nashir, Vorsitzende des AFV, wurde für ihre Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Am Weltfrauentag hält sie in Bamberg einen Vortrag über Afghanistan und die Arbeit ihres Vereins.

Sie haben Ihre Kindheit in Afghanistan verbracht. Woran erinnern Sie sich besonders gern?
Nadia Nashir: Ich bin in Kundus in Nordafghanistan aufgewachsen und habe dort friedliche, ruhige Zeiten erlebt. Die Zeit, in der ich zur Schule ging, war viel liberaler als heute. Und Frauen waren schon damals eine Stütze der Gesellschaft, oft im Hintergrund.

Warum leben Sie heute in Deutschland?
Ich kam Mitte der 70er Jahre zum Studium nach Deutschland. Danach habe ich eine Zeitlang als Frauenbeauftragte für ein Afghanistanprojekt und als freie Journalistin im Hörfunk gearbeitet. Mein Heimatland ließ mich aber nie los, ich habe die Entwicklungen dort immer verfolgt. Weil ich mich dort für bessere Lebensbedingungen einsetzen wollte, habe ich mit anderen Frauen 1992 den Afghanischen Frauenverein gegründet.

Und Sie haben immer wieder Schirmherren, die jeder kennt.
Ja, bis zu seinem Tod vor zwei Jahren war der Schriftsteller Roger Willemsen unser Schirmherr. In seinem Gedenken bauen wir jetzt eine Schule in Kundus. Und wir freuen uns, dass wir als neuen Botschafter für unseren Verein Herbert Grönemeyer gewinnen konnten.

Wie kann man sich die praktische Arbeit Ihres Vereins vorstellen?
Wir leisten mit über 100 lokalen Mitarbeitern Hilfe zur Selbsthilfe in Nord-, Ost- und Südafghanistan. Unsere deutschen Freunde sowie in Deutschland lebende Afghaninnen unterstützen den Verein von hier aus, um den Menschen ihres Landes zu helfen. Wir haben etwa 410 Mitglieder und Förderer.

Welche Projekte stellen Sie vor Ort auf die Beine?
Die Arbeitsfelder unserer Hilfsorganisation sind sehr vielschichtig und reichen von Bildung, Stipendien und Familienpatenschaften über Gesundheit bis hin zur Nothilfe. Wir haben zum Beispiel 100 000 Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht. Einen Brunnen zu bauen, kostet etwa 800 Euro, dafür bekommt man relativ leicht Geld zusammen. 700 000 Menschen konnten wir medizinische Hilfe zukommen lassen, 11 000 Kinder können durch unsere Unterstützung zur Schule gehen. Über 100 Projekte haben wir bereits abgeschlossen, momentan unterstützen wir 14 Projekte laufend. Damit haben wir insgesamt bereits etwa 1,2 Millionen Menschen geholfen. Wenn ich zurückblicke, bin ich stolz. Wir haben viel geleistet und erreicht.

Sind Sie manchmal vor Ort, um sich über die Entwicklung der Projekte zu informieren?
Ja. Letztes Jahr war ich zweimal für mehrere Monate in Afghanistan, um nach dem Rechten zu schauen. Ich lebe dann bei unseren Mitarbeitern vor Ort und kümmere mich um die Abrechnung oder den Einkauf von Hilfsgütern. Ich helfe einfach dort, wo ich gebraucht werde. Auch dieses Jahr werde ich wieder nach Afghanistan fahren.

Was hat sich seit Ihrer Kindheit in Afghanistan verändert? Welche Spuren hinterlässt der Krieg?
Bei 40 Jahren Krieg gibt es viele Traumata, kaum eine Familie, die nicht psychische oder physische Wunden hat. Roger Willemsen hat in seinem Buch "Die afghanische Reise" beschrieben, wie sehr der Krieg alles verändert hat. Das Leben ist viel strikter als früher.

Und die Sicherheitslage ist sicher ein Dauerproblem?
Natürlich ist sie das. Aber es ist nicht alles so schlecht, wie es in den Medien dargestellt wird. Es gibt auch eine Grauzone zwischen gut und schlecht. Was man nicht vergessen darf zu erwähnen, ist die Bevölkerung, die sich durchs Leben kämpft. Allen voran viele starke Frauen.

Was macht die Frauen in Afghanistan so stark?
Ihr Mut. Sie verlassen jeden Tag das Haus und gehen trotz Repressalien zur Arbeit oder die Mädchen zur Schule. Sie lernen lesen und schreiben. Sie lassen sich nicht unterdrücken. So manche Frau holt ihren Mann aus der Drogensucht und kümmert sich um das Einkommen. Frauen sind die Hoffnungsträger im Land.

Was ist mit der Dominanz der Männer? Den weißbärtigen Dorfältesten, die Frauen unterdrücken?
Es gibt sie natürlich, aber manchmal werden sie als Klischee missbraucht. Nicht jeder Mann, der einen Bart hat und traditionelle Kleidung trägt, ist ein Talib. Gerade von ihnen gibt es viele, die sich an unseren Verein wenden und um Unterstützung für ihre Töchter bitten. Sie schicken die Mädchen auch in unsere Computer- und Englischkurse, die wir zusammen mit den Maltesern organisieren.

War das in der Taliban-Zeit anders? Noch restriktiver?
Damals haben wir heimlich eine Mädchenschule geführt. Der Schulleiter hat uns unterstützt und sogar seine Tochter mitgebracht.

Apropos Schule: Wie geht es den jungen Menschen in Afghanistan?
Sie sind selbstbewusst und haben den Blick nach vorne gerichtet. Sie haben Hunger nach Bildung. Die jungen Menschen wollen keinen Krieg.

Was sagen Sie dazu, dass Afghanistan als sicheres Land eingestuft wird und deshalb Flüchtlinge dorthin abgeschoben werden?
Die Menschen haben ihr ganzes Hab und Gut ausgegeben, um nach Deutschland zu kommen. Sie haben kaum Perspektive in Afghanistan.Wenn sie abgeschoben werden, stehen sie vor dem Nichts. Deshalb bin ich gegen die Abschiebungen. Mit unserem Verein versuchen wir, Strukturen vor Ort auszubauen und die Menschen darin zu bestärken, zu Hause zu bleiben.

Das Gespräch führte
Irmtraud Fenn-Nebel