Selbstversuch ohne Essen: mit einem kleinen Riegel gegen die Pfunde?
Autor: Christian Pack
Bamberg, Freitag, 12. August 2016
Pro Tag zehn Vollkost-Riegel à 25 Gramm - und Wasser. Laut dem Entwickler ausreichend, um sich umfassend zu ernähren und gezielt abzunehmen. Geht das?
Auf Youtube ist "Vegisan"-Entwickler Wolfgang Grabher recht umtriebig unterwegs. Mit kleinen Videos führt er regelmäßig ein persönliches Tagebuch und erklärt, worum es bei seinem Produkt genau geht: "Schnell, gesund und ohne Hunger abnehmen."
Sechs Jahre lang hat Grabher getüftelt. Ursprünglich, weil er bei einer Antarktis-Expedition nicht so viel Essen mitnehmen wollte. Ein veganer Vollkost-Riegel, mit dem man gezielt abnimmt, keine Muskelmasse verliert und auch noch einen Entgiftungsprozess einleitet? Klingt zu schön, um wahr zu sein. Zeit für einen Selbstversuch.
15.000 Lebensmittel analysiert
Bevor ich loslege, treffe ich mich mit Torsten Muth. Der Diplomsportlehrer bietet "Vegisan" in Bamberg an und hat sich dafür von Grabher zum Coach ausbilden lassen. Muth erklärt mir, dass der Erfinder eine Software entwickelt hat, mit der er knapp 15.000 Lebensmittel analysiert und so in ihre Bestandteile zerlegt hat. Entstanden ist das "perfekte Lebensmittel". Mineralien, Vitamine, Nährstoffe - in jedem Riegel ausreichend enthalten. Grabher habe sogar eine Zuckerstruktur eingebaut, mit der stets genügend Energie für das Gehirn bereitgestellt wird. "Solange das so ist, sendet der Körper kein Hungergefühl."
40 Riegel für vier Tage
Vor dem Start checkt der Coach noch meine körperliche Verfassung. Gewicht, Körperfett, Muskelmasse: alles im grünen Bereich. "Kein ideales Versuchskaninchen", lächelt Muth. Die meisten würden mit "Vegisan" nämlich abnehmen wollen. Trotzdem überreicht mir der Coach eine sogenannte "Redox Box" mit 40 Riegeln für vier Tage. Es kann losgehen.Ein wenig aufgeregt bin ich schon, als ich an Tag eins den ersten Riegel aus der Verpackung zupfe. Ursprünglich wollte ich meinen Selbstversuch ja entspannt angehen. Die Erfahrungsberichte im Internet haben mich aber etwas nervös werden lassen. Von Kopfschmerzen, Übelkeit und sogar Abbruch ist die Rede. Darauf hat mich Torsten Muth auch vorbereitet. "Das Entgiften ist gerade für Sportler anfangs etwas hart." Egal, da muss ich jetzt durch.
Vier Tage mit "Vegisan": Mein Selbstversuch im Video
Der Riegel, ein fein granuliertes Rohkostprodukt, sieht aus wie ein brauner, rundlicher Keks. Durchmesser: circa fünf Zentimeter; Gewicht: 25 Gramm. Alle 90 Minuten soll ich einen essen. Zehn Stück sind es täglich. Über den gesamten Tag verteilt nehme ich also nur 250 Gramm Nahrung zu mir. Getrunken werden darf nur Leitungs- oder stilles Wasser. Nicht mehr, und nicht weniger. Da man sich nicht mit den typischen Zuckerprodukten befriedigt, so Muth, bleibe der Blutzuckerspiegel so niedrig, dass kein Insulin ausgeschüttet wird. Der Körper fange an, die Energie aus den Fetten zu nutzen. Muskeln würden nicht abgebaut, da der Riegel genügend Eiweiß enthält und so kein Energie- und Nährstoffmangel entstehe, wie so oft bei normalen Diäten. Die Resultate? Laut Grabher "revolutionär".
Dass das Produkt nicht sehr delikat sein soll, wurde mir mit auf den Weg gegeben. In der Tat: Die Riegel sehen aus wie Lebkuchen, schmecken aber nach einer Mischung aus Erde, Salz, Gemüse und etwas Kakaomasse. Die mehlig-gummiartige Masse bekommt man nur schwer zerkaut. Lecker ist anders. "Am Geschmack wird immer wieder getüftelt", berichtet Muth, der die Diät selbst schon drei Mal ausprobiert hat. "Im Vergleich zu meinem ersten Versuch schmecken sie schon viel besser." Das mag ich kaum glauben ...
Irgendwann habe ich eine Technik entwickelt, wie ich die Riegel schneller runterkriege: viel Wasser und rhythmisches Kauen. Am ersten Tag bin ich anfangs überraschend gut drauf. Keine Kopfschmerzen und was mich überrascht: kein Hungergefühl. Das ändert sich am Abend, als meine Frau ihr Abendessen genießt. Der Duft ist nur schwer zu ertragen. Ich quäle mich durch und schlafe relativ entspannt ein.
An den richtigen Stellen abnehmen
Heißhunger, erklärt mir Muth, habe viel mit unseren Essgewohnheiten zu tun. "Wir werden vom Gehirn gesteuert, essen zu viel Zucker. Wir rennen der Nahrung hinterher." Mit "Vegisan" würde man sich gezielt ernähren und an den richtigen Stellen abnehmen. Dafür sei es aber wichtig, dass man das Produkt mindestens vier Tage ausprobiert - und natürlich seine Essgewohnheiten überdenkt: "Wenn man sich anschließend wieder ungesund ernährt, ist der Effekt natürlich weg."Der Morgen des zweiten Tages beginnt mit einer Überraschung: Die Waage zeigt ein Minus von 2,3 Kilogramm an. "Kein Wunder", analysieren meine Arbeitskollegen. "Du nimmst pro Tag ja auch weniger als 1000 Kilokalorien zu dir." Ansonsten läuft es durchwachsen. Ich habe leichte Kopfschmerzen, fühle mich schlapp. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Schwere körperliche Arbeit? Für mich unvorstellbar. Außerdem bin ich leicht gereizt. Besonders am Abend, als mir der Geruch von Salat mit Pute in die Nase steigt. Diese Essensgelüste! Ich knabbere tapfer an meinen Riegeln und schlafe irgendwann ein.
Tag drei beginnt erneut mit einer Überraschung: Seit dem Start habe ich schon vier Kilo abgenommen. Mein Gemütszustand lässt aber weiter zu wünschen übrig und auch mein Umfeld meldet sich zu Wort: Ich würde blass aussehen, wird mir berichtet. Ich quäle mich durch den Tag. Am Abend das bekannte Szenario: Mein Frau genießt Pasta, ich blicke neidisch auf ihren Teller. ,Nur noch 24 Stunden', schießt es mir durch den Kopf.
Am Morgen des letzten Tages hat sich mein Gewicht bei Minus zwei Kilo eingependelt. Und irgendwie scheinen sich die Vorhersagen anderer Tester zu bestätigen: Ich fühle mich besser, treibe etwas Sport und könnte das Experiment wohl auch weiterführen - wenn da nicht der Geschmack der Riegel wäre.
Auch für Muth war der Geschmack gewöhnungsbedürftig. Er ist trotzdem von dem Produkt überzeugt. Und zwar nicht nur als Abnehm-Hilfe. "Ein Nahrungsmittel, das man auch zwischendurch essen kann." Warum es noch nicht entwickelt wurde? "Vielleicht hat sich noch niemand so intensiv damit beschäftigt." Und die Kosten? Immerhin muss man für vier Tage 68 Euro berappen. "Wer sich gesund ernährt, gibt nicht viel weniger aus", meint Muth, der sich sicher ist, dass wir in Zukunft "an dieser Form der Ernährung nicht vorbeikommen".
Mein persönliches Fazit: durchwachsen. "Vegisan" hilft definitiv beim schnellen Abnehmen. Nach drei Tagen scheint sich der Körper auch an den Prozess gewöhnt zu haben. Eine professionelle Beratung im Vorfeld und im Nachgang ist aber wichtig. Und: Die Kosten dürften einige Interessierte sicherlich abschrecken.
Ich persönlich kann mir keinen zweiten Versuch vorstellen - auch wenn sich meine Körperwerte nach dem Test verbessert haben. Für mich ist der Faktor genussvolles Essen viel zu wichtig. Und darauf möchte ich nicht verzichten.
Fachmeinung: Wer abnehmen will, muss seine Essgewohnheiten dauerhaft ändern
Aus der Ferne will sich die Bonner Diplom-Öko-trophologin und Personal-Trainerin Daphne Siouzios mit einem Pauschalurteil über "Vegisan" lieber zurückhalten. "Dazu müsste ich es selbst ausprobieren." Die Ernährungswissenschaftlerin glaubt aber, dass diese Ernährungsform, auch wenn sie nur kurzfristig angewendet wird, für viele Menschen nicht der richtige Weg ist - besonders für Übergewichtige. "Man kann sicherlich schnell abnehmen. Aber übergewichtige Personen müssten eher ihren Lebensstil überdenken, als sich in eine Diät mit extremer Kalorienrestriktion zu stürzen." Häufig sei generell die Dauer einer Diät das Problem: "Radikal geht immer über einen bestimmten Zeitraum. In diesem wird man auch Gewicht verlieren." Irgendwann komme aber der Punkt, an dem viele Menschen keine Energie und Kraft mehr haben, um weiterzumachen. "Übergewicht ist nur mit einer Änderung des Ernährungsverhaltens in den Griff zu bekommen. Und zwar dauerhaft." Die Ernährungsform, die zu Beginn einer Diät als neu und ungewöhnlich wahrgenommen wird, sollte zur alltäglichen Normalität werden.
Gefahr des Jo-Jo-Effektes
Das sieht Daniela Kircher ähnlich. Die Ernährungsberaterin und Diplom-Ökotrophologin aus Fulda sagt: "Wer schnell sehr viel Gewicht reduziert, bei dem besteht dann auch immer die Gefahr eines Jo-Jo-Effektes. Langfristig nimmt man nur ab, wenn man einen positiven Bezug zum Essen herstellt." Bestimmte Personengruppen würden das eben nur mit einer Betreuung hinsichtlich ihres Essverhaltens erreichen. Denn viele wüssten einfach nicht, was ihr Körper genau braucht und könnten Hunger von "Kohldampf" nicht unterscheiden. "Eine radikale Diät alleine ist da eher kontraproduktiv." Beide Expertinnen finden zudem, dass bei Produkten wie "Vegisan" der Faktor Genuss abhandenkommt. "Ich persönlich meine, dass eine gesunde Ernährung und das soziale Miteinander beim Essen einfach dazugehören. Das hat etwas mit Lebensqualität zu tun und gesundes Essen im Zuge einer Diät ist absolut sozial verträglich", sagt Siouzios.
Viele ernähren sich zu kohlenhydratlastig
Ziel, so beide Expertinnen, sollte es sein, die eigenen Essgewohnheiten zu analysieren und dann nachhaltig zu ändern. Denn viele würden sich - verglichen mit dem, was sie tatsächlich verbrauchen - zu kohlenhydratlastig ernähren. Die beste Kombination zum Abnehmen von Fettmasse sowie zur Erhöhung der aktiven (in Ruhe Energie verbrennenden) Muskelmasse, erklärt Siouzios, sei generell die Kombination von eiweissreicher, kohlenhydratreduzierter Ernährung und sportlicher Aktivität. Denn Abnehmen folge einer einfachen Rechnung: Man könne entweder den Input (Ernährung) verringern oder den Output (Bewegung)erhöhen - oder beides. "Letzteres ist die effizienteste Variante, um Gewicht zu verlieren."