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Sechs Monate Bamberg: Ende eines Missverständnisses


Autor: Christoph Hägele

Bamberg, Mittwoch, 19. August 2015

Nach Monaten des Wartens und verordneten Nichtstuns in Bamberg kapituliert Arsim: Er zieht seinen Asylantrag zurück. Dass sich viele Landsleute von seinen Erfahrungen abschrecken lassen, glaubt der Kosovare allerdings nicht.
Foto: Bundesministerium des Innern


Die Deutschen, das waren für Arsim wohlhabende und großzügige Menschen, die einen wie ihn mit offenen Armen empfangen müssten: "Deutschland ist ein altes Land, das junge Menschen braucht, die arbeiten wollen." Wohlhabend und großzügig nennt Arsim die Deutschen noch immer; aber dass sie auf ihn gewartet hätten, das glaubt der 39-Jährige schon lange nicht mehr.

Sechs Monate lagen zwischen Hoffnung und Ernüchterung; ein halbes Jahr, in denen Arsim durch Bamberg spazierte, hin und wieder für seine Landsleute und die Caritas übersetzte, ansonsten aber im Bamberger Asylbewerberheim lebte wie hinter Milchglas. Nichts bewegte sich, die Zeit stand still.

So lange hat Arsim die Zeit totschlagen, bis er es nicht mehr aushielt. Da zog er seinen Asylantrag zurück und überzeugte seine Frau, es ihm gleichzutun. Arsim, seine Frau und die zwei Söhne werden Deutschland so schnell wie möglich verlassen und in den Kosovo zurückkehren. Spätestens im September, wenn das neue Schuljahr beginnt, wollen sie wieder in der Heimat sein.


Noch immer kein Termin

Arsim und seine Frau gehen aus freien Stücken, ohne dass ihr Asylantrag zuvor abgelehnt worden wäre. Selbst nach sechs Monaten in Deutschland haben sie noch nicht einmal den Termin für ihre Anhörung.

Wie viele Kosovaren derzeit ihren Asylantrag freiwillig zurückziehen, erfasst das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht. Madlen Höhn allerdings hat den Eindruck, dass ihre Zahl deutlich zunimmt. "Die Flüchtlinge merken doch, dass sie kaum eine Chance auf Asyl haben", sagt die Flüchtlingsberaterin von der Bamberger Caritas.

Sicher wollen sich einige mit einer freiwilligen Rückkehr auch die Chance offen halten, es im kommenden Jahr noch einmal in Deutschland zu versuchen. Mit einer Einreisesperre wird lediglich bedacht, wer zwangsabgeschoben wird. Arsim dagegen hat sich damit abgefunden, den Rest seines Lebens im Kosovo zu verbringen: "Wenn ich es in Deutschland nicht schaffe, schaffe ich es nirgendwo in Europa. Deutschland ist doch das reichste Land."


Warten auf die Pässe

Er will jetzt sein Leben wieder in die eigene Hand nehmen. Vielleicht ist dieser Wille nach sechs Monaten der Fremdbestimmung und des Wartens das Einzige, was Arsim geblieben ist.

Hier in Deutschland kann er ja noch nicht einmal das Datum seiner Ausreise bestimmen. Seit acht Wochen wartet die Familie auf ihre Pässe, die sie bei ihrer Einreise beim BAMF abgeben musste. Dass sie ihn erst nicht haben wollten, jetzt aber als Folge bürokratischer Überforderung auch nicht gehen lassen, ist noch so eine Sache, die Arsim zuvor nie mit den Deutschen verbunden hätte.

Deutschland und Arsim, das ist die Geschichte eines großen Missverständnisses. Er kam, weil er hier arbeiten und seiner Familie ein besseres Leben bieten wollte. Aber Deutschland ließ ihn nicht, weil Asyl nur bekommt, wer vor Krieg und Verfolgung geflohen ist. Natürlich, Arsim hat gewusst, auf was er sich einlässt. Er war sich darüber im Klaren, dass die Hoffnung auf ein besseres Leben kein Asylgrund ist. "Ich dachte, es wird dennoch irgendwie klappen.Wenn ich einen Job hätte, könnte ich bleiben."

Er hat sich getäuscht, das ist ihm jetzt klar. Vielleicht verschiebt sich aber auch zwangsläufig das Verhältnis zwischen Realitätssinn und Wunschdenken, wenn man in einem Land lebt, in dem jeder Dritte ohne Beruf ist und nichts dafür spricht, dass sich dies bald ändern könnte.

Gearbeitet hat Arsim als Maler und Verputzer; mit abgeschlossener Ausbildung zwar, aber ohne feste Anstellung. "Ich hatte nur Gelegenheitsjobs." Auch nach seiner Rückkehr warten auf ihn im Kosovo kein Job und keine Perspektive: "Ich weiß noch nicht, was ich da machen soll." Womit er stattdessen fest rechnen kann, sind ungläubige, vielleicht abschätzige Blicke: "Mein Vater und die anderen können es nicht glauben, dass ich hier keinen Job gefunden habe."

Im Kollektivbewusstsein vieler Kosovaren ist Deutschland ein Ort, der ihnen bietet, was ihnen die Heimat verwehrt: einen guten Job, ein bisschen Wohlstand und Konsummöglichkeiten. Daran geändert haben auch die Abschreckungsvideos nichts, mit denen das Bundesinnenministerium seit einiger Zeit vor einer Ausreise nach Deutschland warnt. Allein in diesem Jahr haben 80.000 Kosovaren ihre Heimat verlassen; über 30.000 von ihnen haben es nach Deutschland geschafft.


"Die Menschen werden kommen"

Ihr in leuchtenden Farben gemaltes Deutschland-Bild ist selbst gegen die Berichte der Rückkehrer immun. Der Bamberger Migrationsforscher Daniel Göler glaubt aber ohnehin, dass viele Rückkehrer ihr Scheitern rhetorisch verschleiern und verniedlichen.

Arsim aber will jedem Landsmann davon abraten, nach Deutschland zu kommen. Dass er Gehör findet, glaubt er indes nicht: "Die Menschen werden kommen, so lange die wirtschaftliche Situation nicht besser geworden ist." In Nürnberg berät Sabine Mrkwitz in der Zentralen Rückkehrberatung Asylbewerber, die sich zu einer Ausreise entschlossen haben. Ihr gegenüber sitzen Menschen, deren Lebensentwurf in Trümmern liegt: "Junge Männer nehmen es oft sportlich. Aber für Familien, die viel aufgegeben haben für die Ausreise, ist die Rückkehr oft eine Katastrophe."

3000 Euro hatte Arsim anfangs des Jahres zusammengekratzt, damit ein Schleuser ihn und seine Familie nach Deutschland bringt. Den Schleuser kennt man im Kosovo unter dem Namen "Hulk". Er ist der Einzige, für den sich die Sache gelohnt hat.