Schorlemmer: Scharfe Kritik an Pegida
Autor: Petra Mayer
Bamberg, Donnerstag, 15. Januar 2015
Versäumnisse von Politikern, aber auch den Medien prangert Friedrich Schorlemmer an, der am 16. Januar in Bamberg über seine neueste Publikation spricht. Mit scharfen Worten wendet sich der Bürgerrechtler aus dem Osten im Interview zudem gegen Pegida.
Er ist ein Querdenker, der sich mit beißender Kritik zu Wort meldet und Stellung bezieht. Das machte Friedrich Schorlemmer zu einem der bedeutendsten Bürgerrechtler der ehemaligen DDR. In Reden und Veröffentlichungen prangert der Theologe bis heute gesellschaftliche und politische Missstände an, wie in seinem jüngsten Werk, das der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels in Bamberg vorstellt. Wir sprachen mit Schorlemmer, der mehrmalig auch in der Jury für das Unwort des Jahres saß, über Pegida, Fremdenfeindlichkeit und die jüngsten Anschläge auf die Pressefreiheit.
Gerade wurde der Begriff "Lügenpresse", den Pegida recycelte, zum Unwort des Jahres 2014 erklärt. Glauben Sie, dass die Wahl ausgerechnet dieses Begriffes die richtigen Signale setzt?
Friedrich Schorlemmer: Auf jeden Fall. Ich hätte mir zur "Lügenpresse" aber noch den Halbsatz "Halt die Fresse!" gewünscht. Er zeigt, welche faschistoiden Züge das auf der Straße brüllende "Volk" annimmt. Wie können sich diese Menschen überhaupt das Recht anmaßen, sich als "das Volk" zu bezeichnen? Sie rufen nach dem Führer, der befiehlt, statt die Meinungsvielfalt und somit auch den demokratischen Meinungsstreit zu wertschätzen. Leider gibt es unter den Frustrierten diesen braunen Sud, der wieder aufgerührt wurde.
Gegen den Terror
In Paris demonstrierten vor kurzem Politiker Arm in Arm für die Pressefreiheit. Darunter Vertreter von Staaten, in denen Journalisten systematisch verfolgt werden.Wie denken Sie über den Schulterschluss?
Ich denke, dass uns die furchtbaren Verbrechen der letzten Zeit wieder an die Bedeutung demokratischer Werte und Ideale erinnern. Wirkungsvolle Bilder von all den Staats- und Regierungschefs, die sich unterhaken, entstanden in Paris. Eine bedeutende Geste, die im Gedächtnis bleibt: Wir stehen zusammen für die Offenheit unserer europäischen Demokratien und lassen uns von keinem Terror, keinem gewalttätigen Fundamentalismus erschüttern. Wobei auch all die anderen Menschen, die sich solidarisiert haben, ein Beleg für eine lebendig gebliebene Demokratie sind.
Kontrovers diskutiert wird nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" auch die Frage, was Satire darf. Wo liegen für Sie Grenzen, die man nicht überschreiten sollte?
Es gibt keine Grenzen für Spott, wohl aber für lustvolle Verspottung. Gerade wenn dabei auch die Würde Andersdenkender böswillig attackiert wird. Man sollte sich gut überlegen, wie und warum man Menschen mit starken religiösen Bindungen verletzt. Diese Debatte muss vorurteilsfrei und sehr einfühlsam geführt werden. In jedem Fall befürworte ich Karikaturen, die das antidemokratische und fundamentalistische Denken angreifen - möglichst scharfsinnig. Wobei die Macher trotz aller guten Absichten immer auch mitverantwortlich für die Folgen ihrer Provokationen sind. Über allem steht die Freiheit, verbunden aber mit dem inneren Respekt für andere, selbst wenn sie uns sehr fremd sind.
Vom Staats- zum Frustbürger
Als Bürgerrechtler kämpften Sie in der DDR für Meinungsfreiheit und politische Mitbestimmung. Wie sehen Sie angesichts dessen die Politikverdrossenheit im wiedervereinigten Deutschland?
Werden Staatsbürger zu Frustbürgern und kehren der Politik den Rücken, verzichten sie freiwillig auf ihr Recht auf Mitbestimmung. Leider gibt es bei uns eine sehr bedenkliche Entfremdung zwischen Entscheidungsträgern und Menschen, die mit diesen Entscheidungen leben müssen. Eine Enttäuschungskultur machte sich im Land breit. Was natürlich auch an illusionären Versprechen liegt, die Politiker gerade in Wahlkampfzeiten geben. Zumal sie sich dem Volk nur in dieser Phase Aug in Aug stellen.
Inwieweit konfrontieren Politiker und ebenso die auf Quoten getrimmten Medien Menschen überhaupt noch mit unangenehmen Wahrheiten? Und inwieweit ist die übersättigte Wohlstandsgesellschaft noch am kritischem Journalismus interessiert?
Leider nimmt das Entertainment in den Medien im Vergleich zu bedeutenden politischen, sozialen, ökologischen und weltanschaulichen Themen mehr und mehr Raum ein. Man betreibt Wünschelruten- und Aufmisch-Journalismus. Das aber hat wenig mit dem Ideal der Pressefreiheit zu tun, für das wir einst auf die Straße gingen und viele Menschen in aller Welt noch heute streiten. Warum macht man die anstehende UN-Klimakonferenz in Paris nicht mehr zum Thema, bei der es um die Zukunft unserer Kinder geht? Warum nicht die Art, wie wir Tiere halten, um das Fleisch gequälter Kreaturen billig zu konsumieren? Über die politische Abstinenz einer Jugend, die schicke Scheuklappen trägt, müsste man schreiben. Und darüber, was aus dem wohl wichtigsten Millenniumsziel, die Halbierung der Weltarmut bis 2015 zu erreichen, wurde. Aber das ist unpopulär - und somit kein Thema. Wobei die meisten Menschen tatsächlich kaum mehr an unangenehmen Wahrheiten interessiert zu sein scheinen.
Gegen die Schwächsten
Sie selbst stammen aus Ostdeutschland (der Lutherstadt Wittenberg). Warum ist gerade im Osten die Fremdenfeindlichkeit so groß?
Die Zahl der in der DDR lebenden Ausländer hielt sich sehr in Grenzen. Somit waren es die Menschen vor der Wiedervereinigung nicht wirklich gewohnt, mit Fremden umzugehen. Daraus erwachsen irrationale Ängste und Vorurteile. Etwas Deutschtümelndes lebt auf. Und nun ziehen verblödete Pegida-Anhänger, die die 1989 gegen die SED-Diktatur gerichtete Freiheitsparole "Wir sind das Volk" nachbrüllen, durch die Straßen und wenden sich dabei gegen die Schwächsten, die Hilfsbedürftigen in unser Gesellschaft. Sie bedienen sich der Ressentiments vieler und schüren sie weiter.
Das andere Extrem sind radikale Moslems. Wie weit darf Glaubensfreiheit gehen?
Wer auf Dauer in Deutschland leben möchte, muss die Grundregeln unseres Zusammenseins akzeptieren. Konsequent muss unser Staat z. B. gegen Ehrenmorde vorgehen, dagegen, Frauen zu entrechten, zu terrorisieren und unter die Burka zu zwingen. Etwas ganz anderes ist es, wenn sie sich selbst auf diese Weise zu ihrer Religion bekennen wollen. Ich bin auch dafür, dass jeder Mensch, der in Deutschland leben möchte, Deutsch lernt - ohne seine eigene Kultur damit aufgeben zu müssen. Die Muslime gehören zu uns, wenn der Islam auch dringend eine nachholende Aufklärung braucht. Zumal der Koran - wie die Bibel - nicht von Gott, sondern Menschen geschrieben ist - zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen, mit bestimmten Glaubenserfahrungen.
Auch die Flüchtlingssituation schürt die Furcht vor Überfremdung. Wo sehen Sie diesbezügliche Versäumnissse der Politik?
Politiker versäumten es bislang, mit den Menschen über ihre Ängste und ihren Frust - ein Konglomerat der Unzufriedenheit - zu reden und das Ganze argumentativ zu versachlichen. Sie versäumten es, Wählern deutlich zu machen, welche Verpflichtungen wir in Europa angesichts der Kriege und Krisen in aller Welt haben. Sicher wird man all die Leute, die festgefahrene Vorurteile haben, auch über Argumente kaum gewinnen. Nur muss es den Versuch geben.
Pegida im Dunkeln
Wie denken Sie als Theologe über den Umgang der Kirchen mit all diesen Problemen. Kommen sie ihrer christlichen Verpflichtung nach?
Begeistert war ich von der Aktion des Kölner Dompropstes, der Pegida sozusagen das Licht ausmachte, als er den symbolträchtigen Dom während Demonstrationen unbeleuchtet ließ. Viel haben auch die Kirchengemeinden in der Asylfrage getan. Aber ich denke, es muss noch mehr passieren. Es gibt etliche Menschen, die in der Kirche ehrenamtlich mitarbeiten und sich verstärkt auch der Flüchtlinge annehmen könnten. Es gibt so viele Gemeinderäume, die man bei Bedarf gut zur Verfügung stellen könnte.
Was unternehmen Sie heute neben Ihrem Vortrag noch in Bamberg?
Ich besuche den Dom, wenn nicht allzu viele Touristen da sind - mit meinem Psalmbüchlein in Luthers Übersetzung.
Lesung in Bamberg
Auf Einladung des Evangelischen Bildungswerkes Bamberg stellt Friedrich Schorlemmer am 16. Januar "Die Gier und das Glück. Wir zerstören, wonach wir uns sehnen" vor. Seine Lesung beginnt um 19.30 Uhr im Hörsaal 01.05 An der Universität 7. Friedrich Schorlemmer ist evangelischer Theologe und Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs.
Leseproben finden Sie unter folgenden Links:
http://www2.herder.de/medien/leseprobe/978-3-451-33515-0/blaetterkatalog/
http://www2.herder.de/medien/leseprobe/978-3-451-33091-9/blaetterkatalog
http://www2.herder.de/medien/leseprobe/978-3-451-06549-1/blaetterkatalog