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Säulen der Weisheit


Autor: Günter Flegel

Bamberg, Freitag, 29. Sept. 2017

Ab 1. Juli 2018 fahren Lkw auch auf den Bundesstraßen nicht mehr kostenlos.Mit blauen Zählgeräten wird die Maut überwacht.
Ein Laster steht an einer Kontrollsäule neben einer Bundesstraße vorbei.Toll Cllect


Das Straßenbild in Franken wird sich im Sommer 2018 verändern. So mancher Autofahrer dürfte sich beim Anblick der vier Meter hohen blauen Säulen am Straßenrand verwundert die Augen reiben. Eine neue Art von Blitzgerät? Ladestation für E-Autos?
Nichts von alledem. Die mit Kameras bestückten Röhren gehören dem Unternehmen Toll Collect, das im Auftrag der Bundesanstalt für Güterverkehr (BAG, eine Behörde des Verkehrsministeriums) die Maut einzieht und überwacht. Auf den Autobahnen passiert dies unübersehbar mit den Gerätebrücken an den Anschlussstellen. An den Bundesstraßen werden diese Aufgabe künftig die blauen Säulen übernehmen.


Stichproben-Kontrollen

Hier wie da sind Kameras und andere Geräte installiert, die das Kennzeichen eines durchfahrenden Lkw und weitere Daten erfassen und automatisch abgleichen, ob für dieses Fahrzeug die fällige Maut korrekt bezahlt wurde. Beanstandungen gibt es nach Auskunft von Toll Collect mit Sitz in Berlin nur bei etwa einem Prozent der automatischen Stichproben-Kontrollen.
Neben den 13 000 Autobahn-Kilometern in Deutschland, für die die Lkw-Maut 2005 eingeführt wurde, sind seit 2015 rund 1100 mehrspurige Bundesstraßen ebenfalls gebührenpflichtig. Ab 1. Juli 2018 fällt die Maut dann auf allen Autobahnen und Bundesstraßen in Deutschland an, insgesamt 40 000 Kilometer. In Bayern sind es laut Innenministerium 5700 Maut-Kilometer mehr; 733 in Oberfranken, 513 in Mittelfranken und 693 mautpflichtige Bundesstraßenkilometer in Unterfranken.


BAG fährt Streife

Auf den jetzt schon mautpflichtigen Bundesstraßen wird mobil kontrolliert: Das BAG fährt"Streife" und liest im Vorbeifahren die Daten der im Lkw installierten Geräte aus.
Technische Fragen waren nie das Haupt-Hindernis bei der Maut. Gestritten wurde (und wird) vor allem auf politischer Ebene, besonders heftig zuletzt bei der Pkw-Maut, die Juristen und Politiker bis in höchste europäische Kreise beschäftigt hat.
Auch die Lkw-Maut und insbesondere ihre Ausweitung auf die Bundesstraßen ist nicht unumstritten. In den Wirtschafts-Flügeln der Parteien warnt man vor zu großen Belastungen für die Unternehmen, die "Öko-Fraktionen" hingegen sehen in der Maut ein untaugliches Mittel, um den Schwerverkehr auf den Straßen einzudämmen.
Der Streit ist nicht zu Ende: Im Gesetzentwurf der großen Koalition zur Maut-Ausweitung wird die Möglichkeit offen gelassen, die Straßengebühr auch von Fernbussen und Kleintransportern ab 3,5 Tonnen zu kassieren (aktuell liegt die Untergrenze bei 7,5 Tonnen). Dieses Ansinnen hat schon den Schimpfnamen "Handwerkermaut" weg und wird nicht nur von einschlägigen Verbänden bekämpft.
Wie auch immer: Der Bund hat zuletzt mit der Lkw-Maut so viel Geld eingenommen wie noch nie: 4,63 Milliarden Euro rollten 2016 in die Kasse. Durch die Bundesstraßen-Maut erwartet Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt weitere zwei Milliarden Euro.


Astronomische Dimension

Noch eine Zahl: 32,5 Milliarden Maut-Kilometer haben die Lkw 2016 auf den deutschen Straßen zurückgelegt. Die Raumsonde "Voyager I", gestartet am 5. September 1977, ist das am weitesten von der Erde entfernte Gerät, das der Mensch gebaut hat. Die Sonde hat das Sonnensystem verlassen, dabei aber in 40 Jahren "nur" 21 Milliarden Kilometer geschafft!
Die Höhe der Maut errechnet sich aus den Schadstoffklassen des Fahrzeugs und aus der Zahl der Achsen: Der kleinste Satz beträgt 8,1 Cent pro Kilometer, der Höchstbetrag wird von der BAG mit 21,8 Cent pro Kilometer angegeben.


Standorte in Franken

Die blauen Maut-Säulen werden laut Innenministerium im kommenden Jahr in Franken voraussichtlich an diesen Bundesstraßen aufgestellt: B 13 bei Eibelstadt, B 14 Lauf/Pegnitz, B 173 Küps, Köditz und Selbitz, B 2 Hof und Heroldsberg, B 22 Kemnath, B 26 Stockstadt, Thüngen und Erlabrunn, B 285 Fladungen, Stockheim, Prichsenstadt, Bruckhof und Bad Kissingen, B 303 Himmelkron, Bad Alexandersbad und Sonnefeld,
B 4 Großheirath, Neustadt/Coburg, Nürnberg/Boxdorf und Fischbach, B 466 Gunzenhausen, B 19 Opferbaum, B 470 Heroldsbach, B 505 Pommersfelden, B 279 Rentweinsdorf, B 8 Iphofen und Burgthann.


Verschleiß durch Lkw

Es gibt eine Formel, mit der sich der Straßenverschleiß durch Lkw im Vergleich zum Pkw errechnen lässt. Maßgeblich ist die Achslast. Dabei steigen die Straßenschäden nicht etwa linear zum Gewicht (doppelt so schwer = doppelt so viel), sondern sie vervielfachen sich (Vierte-Potenz-Gesetz). Das bedeutet, das ein Lkw auf der Straße so viel Schaden anrichtet wie 15 000 Pkw.


Wird die Mautflucht gestoppt?

"Harfenspiel": So heißt die bekannte Weinlage im unterfränkischen Winzerdorf Bergtheim. Der Name klingt wie Hohn, wenn man über den Gehsteig an der Hauptstraße flaniert. Diese Straße ist die B19, sie verläuft parallel zur Autobahn A7 und macht das Leben für die Bergtheimer zur "Höll'" (so heißt die Weinlage im nahen Obereisenheim ...)
Bergtheim teilt das Schicksal mit Essleben, Opferbaum und Unterpleichfeld. Diese Orte liegen zwischen den Autobahn-Anschlussstellen Werneck (A70) und Würzburg/Estenfeld (A7), die die B19 verbindet. Die Fahrt über die Bundesstraße ist nicht nur kürzer als die über die in Hörweite verlaufende A7, sie hat auch noch den Charme, mautfrei zu sein, wie der Vorsitzende der Bürgerinitiative "Ortsumgehung", Klaus Stuntz, sagt. Aus Richtung Würzburg/Frankfurt fahren viele Speditionen in Richtung Norden/Osten. Sie erreichen über die B19 und die A70 bei Schweinfurt die A71.
Theoretisch müsste die Bergt-heimer und ihre Leidensgenossen in den anderen B19-Dörfern längst ihre Ruhe haben. "Seit Januar 2007 gibt es ein Fahrverbot für Lkw über zwölf Tonnen", sagt Stuntz. Nur: Es gibt Ausnahmen. Örtliche Speditionen dürfen die B19 weiter auch mit 40-Tonnern nutzen, der Lieferverkehr ist frei, und im Nah-Schwerverkehr bis 75 Kilometer Umkreis gilt das Fahrverbot ebenfalls nicht. Zwar kontrolliert die Polizei, ob Lkw-Fahrer tatsächlich eine Ausnahmegenehmigung haben, aber das Risiko, erwischt zu werden, ist für die von ihren Navis gesteuerten Trucker kleiner als die Zeit- und Mautersparnis.


Baustellen-Ausweichverkehr

Das Problem hat sich verschärft, seit die Brückenbaustellen auf der A7 zwischen Würzburg und Werneck die B19 noch schneller gemacht haben. Nach den jüngsten Verkehrszählungen wälzt sich durch Bergtheim täglich eine Blechlawine mit 12 000 Kraftfahrzeugen, darunter 800 schwere Lkw - Tendenz weiter steigend. "Nach den Prognosen dürften es 2020 mehr als 17 000 Fahrzeuge in 24 Stunden sein", sagt Stuntz. Es gibt Autobahnabschnitte im Freistaat, auf denen es ruhiger zugeht.
Stuntz' BI fordert, der Name legt es nahe, Ortsumgehungen für die drei Dörfer nach dem Vorbild von Werneck; um den Markt führt die B19 im weiten Bogen herum. Politik und Straßenbehörden vertrösten die vom Lärm Geplagten: Mit dem geplanten sechsstreifigen Ausbau der A7 werde das Problem verschwinden. "Damit rechnen wir aber frühestens in 20 bis 25 Jahren", sagt Stuntz. Vielleicht entschärft sich das Krach-Problem am "Harfenspiel" aber doch schon früher durch die Maut, die Mitte 2018 auch auf der B19 fällig und mit einer Kontrollsäule bei Opferbaum überwacht wird.




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