Psychologe: In jedem Menschen steckt ein Rassist
Autor: Natalie Schalk
Bamberg, Freitag, 28. August 2015
Der Bamberger Sozialpsychologe Oliver Lauenstein erklärt, woher die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, kommt. Deutsche haben Vorurteile gegenüber Asylbewerbern. Diese wiederum haben selbst Vorurteile gegenüber andern Flüchtlingsgruppen. Das einfachste Mittel dagegen: einander kennenlernen.
Sind Sie ein Rassist? Kaum einer würde das bejahen, und doch erklärt Oliver Lauenstein seinen Studenten an der Universität Bamberg, dass diese Frage im Grunde niemand verneinen kann. Der Doktor der Psychologie befasst sich unter anderem mit Vorurteilen, die in jeder Gesellschaft vorhanden sind. "Ich halte mich für einen aufgeklärten und toleranten Menschen. Aber ich habe mich schon dabei erwischt, dass ich in der S-Bahn kontrolliert habe, ob mein Portemonnaie noch da ist, weil ein Schwarzer neben mir gesessen hat. Das ist Rassismus." Es gibt ihn überall. Doch woher kommt er?
Identitätsfindung: Wir und Die
"Amerikanische Studien belegen, dass weiße Kinder ab einem Alter von etwa drei Jahren schwarzen Kindern eher negative Eigenschaften zuschreiben." Wer das für typisch amerikanisch hält, geht einem Vorurteil auf den Leim: Auch Studien aus anderen Ländern kommen zu
ähnlichen Ergebnissen. Oft wird die eigene Gruppe dadurch aufgewertet, dass die anderen negativ bewertet werden. Egal ob es um Schwarze und Weiße geht, um Alte und Junge oder Ost- und Westdeutsche - immer entsteht erst durch den Vergleich eine Gruppenidentität. "Oder anders gesagt: Wo es ein Wir gibt, muss es auch ein Die geben."
Dass der Mensch überhaupt das Bedürfnis hat, zu einer Gruppe zu gehören, erklären einige Wissenschaftler evolutionsbiologisch. Der Einzelne hat in einer Herde größere Überlebenschancen. Lauenstein sieht als Sozialpsychologe vor allem gesellschaftliche Mechanismen im Vordergrund. "Mädchen hier, Jungen da. Unsere Klasse und die Parallelklasse - von klein auf wird vorgelebt, in Gruppen zu denken und diese voneinander abzugrenzen."
Salafisten und Fußball
Vorurteile entstehen in Gruppen - wenn einzelne Menschen sich auf Augenhöhe begegnen, verschwinden Vorurteile. Das ist das beste Mittel gegen Rassismus. Lauenstein berichtet von einer Studie, die zeigt, dass schon die Vorstellung von einem einzelnen, freundlichen Menschen reicht, um Vorurteile abzubauen: Die Probanden sollten sich einen Muslim vorstellen. "Die meisten dachten an jemanden mit Bart und langem weißen Gewand - eigentlich einen Salafisten. Dann stellten sie sich zum Beispiel vor, mit dem über Fußball zu reden." Im Anschluss waren die Vorurteile messbar gesunken.
Das falsche Bild vom "braunen Mob"
Die Gruppe der Rechten wird Lauenstein zufolge oft falsch als "brauner Mob" dargestellt: "Die ziehen durch die Straßen, trinken Bier, sind laut und emotionsgeladen - das ist so was wie ein modernes Äquivalent zu Fackeln und Mistgabeln." Diese Vorstellung einer unkontrollierbaren, irrationalen Masse gibt es seit dem 18. Jahrhundert." Aber sie ist ein Trugbild, wie der Psychologe mit Verweis auf britische Studien erklärt: "Es gibt ein rationales Gruppenverständnis und gemeinsame Ziele - in Fällen wie Heidenau sogar etwas wie eine Agenda: Wir wollen das Flüchtlingsheim nicht, wir wollen keine Fremden." In den 90er Jahren, als sich die Zahl der Asylbewerber durch den Jugoslawienkrieg vervielfacht hatten, gab es ebenfalls fremdenfeindliche Übergriffe. Aber es gab auch Lichterketten, die signalisierten, dass die Mehrheit eine andere Meinung vertritt. "Heute dürfen die Rechten ihre Meinung ohne große Gegenwehr vor einer Flüchtlingsunterkunft sagen." Lauenstein sagt, dass der Anteil derer, die Ausländer als Bedrohung empfinden, in den vergangenen 20 Jahren gestiegen ist. "Wenn Asylbewerber in einem Ort leben, stellen die Bewohner nach einigen Monaten fest, dass das befürchtete Horrorszenario nicht eingetreten ist."