Pogromnacht: Gegen die Flamme des Hasses
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Mittwoch, 09. November 2016
78 Jahre nach der Reichspogromnacht erinnerten gestern Abend am Synagogenplatz Redner an die damaligen Opfer und mahnten in heutiger Zeit Zivilcourage an.
Jedes Jahr am 9. November das gleiche Ritual: "Ist das in heutiger Zeit überhaupt noch notwendig?" stellte eine der drei Maria-Ward-Schülerinnen eine brennende Frage in die Runde, die sich gestern Abend am Synagogenplatz versammelt hatte. "Ja!" rief ein anderes Mädchen. Denn "in unserem Land lodert eine Flamme der Unvernunft, eine Flamme des Hasses!"
Aphorismen vorgetragen
Alina Sticker (17), Francesca Heilmann (14) und Luisa Zuber (14) berührten die Zuhörer zudem mit Aphorismen von Kurt Tucholsky, die sie auf ihre Weise kurz auslegten. Junge Leute, denen Oberbürgermeister Andreas in dieser Gedenkstunde anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einen "Vorbildcharakter" zusprach.
Ebenso allen Bamberger Lehrerinnen und Lehrern, die "unsere Jugend immer wieder, auch jenseits des Geschichtsunterrichts, dafür sensibilisieren, dass Deutschland eine besondere Verantwortung trägt und es auf die persönliche Haltung jedes Einzelnen ankommt", so der OB.
Erinnerung ist wichtig
Zumal die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus eine "bleibende Verpflichtung bleibt". Denn nur wer sich erinnere, könne verantwortungsbewusst mit der Geschichte umgehen und diese Erinnerungskultur als einen "politischen Auftrag für uns alle" leben, fuhr Starke fort. Niemals wieder solle sich das wiederholen, was im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte geschehen sei."Niemals wieder sollen Menschen wegen ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Nationalität oder ihrer Sexualität ausgegrenzt werden!" mahnte Starke. Es sei Aufgabe dafür zu sorgen, dass aus einem Verfassungsanspruch auch Verfassungswirklichkeit werde und jeder in Bamberg seinen individuellen Lebensentwurf verwirklichen könne. "Wer andere diskriminiert, ausgrenzt, beleidigt oder attackiert, erfährt unseren deutlichen und hörbaren Widerspruch." Jede und Jeder sei gefordert, die notwendige Zivilcourage zu zeigen, wenn andere Menschen hier oder sonst wo intolerant oder unwürdig behandelt werden.
OB Starke nannte eine weitere Lehre des 9. November 1938: "Nie zu verzagen, den Verstand und das Herz in die Hand nehmen und eng zusammenstehen, wenn es darum geht, demokratische Errungenschaften zu verteidigen und den menschlichen Zusammenhalt in unserer Stadtgesellschaft zu fördern".
Das Stadtoberhaupt nahm aber nicht nur Bamberg in den Blick, sondern verwies auf Europas derzeitiges "hässliche Gesicht". Auf Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und fehlende Mitmenschlichkeit etwa gegenüber Flüchtlingen in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. "Mehr statt weniger Europa, Zusammenarbeit der Völker, gegenseitiges Verständnis und das Wissen über die unterschiedlichen Kulturen sind unverzichtbare Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen", betonte Starke.
Mahnende Worte
Martin Arieh Rudolph, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg, fand ebenfalls mahnende Worte. Es dürfe nicht bei einer Aufarbeitung der Vergangenheit bleiben, sondern es müssten Lehren daraus gezogen werden, etwa in Gestalt eines aktiven Eintretens gegen jedwede Benachteiligungen, Respektlosigkeiten, Diskriminierungen anderer. Ferner "dürfen wir uns nicht auf der erlangten Rechtsstaatlichkeit ausruhen", forderte Rudolph und brachte die "Reichsbürger" ins Spiel, gegen die vorgegangen werden müsse.
Auch den Asylbewerbern und Flüchtlingen in Bamberg galt das Augenmerk des Redners: Diesen Menschen müssten Perspektiven seitens der Politik eröffnet werden.Klagend, Gänsehaut erzeugend sang Martin Arieh Rudolph das "El male Rachamim". Peitschenhieben gleich die Namen, die für grenzenlose Grausamkeiten stehen: Auschwitz, Majdanek, Bergen-Belsen, Treblinka...Gemeinderabbiner Dani Danieli sprach auf Hebräisch das Kaddisch - ein tröstliches, versöhnendes Gebet. Der Synagogenchor unter der Leitung von Dimitry Braudo begleitete die Gedenkstunde mit verhalten klingenden, fast melancholischen Liedern. Doch der musikalische Schlusspunkt füllte den Synagogenplatz: "Wir wollen Frieden für alle, wir wollen Frieden auf der Welt...!"