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Plötzlich tickt Alkoholikerin in Buttenheim aus


Autor: Anna Lienhardt

Buttenheim, Donnerstag, 04. Februar 2016

Eine alkoholkranke Frau erpresst Geld von einer 78-Jährigen, verletzt sie, sperrt sie ein und flüchtet. Die Seniorin kann keine Nacht mehr durchschlafen.
In Buttenheim spielte sich am 28. Juli 2015 ein schwerer Raub ab, bei dem eine Seniorin um ihr Leben fürchten musste.  Foto: Ronald Rinklef


Ihr Arm tut ihr heute noch weh, aber das ist nicht so schlimm, sagt die ältere Dame. Sie meistert ihre Zeugenaussage vor dem Bamberger Amtsgericht, durchlebt Schritt für Schritt noch einmal den schrecklichen Abend des 28. Juli 2015. Nur einmal zittert die Stimme der 78-Jährigen. "Ich bin noch nicht drüber weg, kann keine Nacht schlafen."

Es ist "das Seelische", was Gerti U. (Name geändert) mitnimmt. "Ich hab dieser Frau doch nichts getan!" Obwohl die Täterin seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt, sucht sie ihr Opfer fast jede Nacht heim - "ich träume, dass sie nachts vor meinem Bett steht und mich erschießt. Oder dass sie einen bösen Hund dabei hat".
"Sie", das ist Sabine K. (Name geändert), 53 Jahre alt, alkoholkrank seit ihrem 16. Lebensjahr. Die Frau hat Arthrose und ist auf Medikamente angewiesen. Deswegen - und wegen des Alkohols - ist die Buttenheimerin seit 2012 in Erwerbsunfähigkeitsrente. Im Februar 2015 ist ihr Lebensgefährte gestorben - der zuvor mit der Tochter des Opfers Gerti U. verheiratet war.

Die Seniorin und ihre Peinigerin kannten sich viele Jahre, wenn der Kontakt am Ende auch nicht besonders eng war. An jenem Sommerabend vergangenes Jahr dann griff Sabine K. zum Telefonhörer und rief ihr späteres Opfer an. Es kam zum Streit, zu diesem Zeitpunkt hatte die Täterin bereits einige Bier intus - und trank während des Gesprächs weiter. Sie spricht von vier bis fünf Bier, wie jeden Abend. Manchmal waren es bis zu zehn - aber nur, wenn Sabine K. am nächsten Tag nicht zu ihrem Nebenjob als Putzfrau ging.


Alkoholisiert zum Opfer gefahren

Kurze Zeit nach dem Telefonat, gegen 20 Uhr, fährt sie betrunken mit dem Auto zu Gerti U., die ebenfalls in Buttenheim wohnt. Die öffnet die Tür, man kennt sich schließlich. Doch schnell stellt die ältere Dame fest, dass etwas nicht stimmt: "Sie hatte die Haare anders, eine dunkle Brille auf und trug Einmalhandschuhe. Ihre ersten Worte waren: ,Ich will was zu saufen‘", wie die Geschädigte vor Gericht rekapitulierte.

Im Wohnzimmer habe die Bekannte dann plötzlich eine Pistole gezogen, auf Gerti U. gezielt und Geld gefordert. Als das Opfer um Hilfe schreit, bedrängt die große Sabine K. die zierliche Seniorin und verletzt sie durch Schläge. "Sie hat zugedrückt und gesagt, wenn ich noch weiter schreie, drückt sie so fest, bis ich nicht mehr schreie." Die Täterin betätigt den Abzug der Waffe, eine Schreckschusspistole des verstorbenen Lebensgefährten. Es ist ein Klicken zu hören, doch K. drückt nicht ab. Die Seniorin händigt ihrer Epresserin 150 Euro Bargeld aus. Sabine K. lässt ihr Opfer verletzt in der Wohnung zurück - steckt aber vorher noch das Handy, das Festnetztelefon und den Haustürschlüssel der 78-Jährigen ein, damit diese nicht fliehen kann. Doch die ältere Dame schafft es, aus dem Küchenfenster zu klettern und rettet sich zur Nachbarin, die sofort die Polizei ruft.

Noch in der Nacht wird die Täterin verhaftet. Die Beamten greifen sie zu Hause auf. Sie hatte sich nach der Tat der Waffe und der Telefone entledigt und den Wohnungsschlüssel in der Gefriertruhe in einer Schachtel Spinat versteckt. Dann hatte sie ein weiteres Bier getrunken - die Polizei stellt später eine Blutalkoholkonzentration von 1,2 Promille fest - und sich schlafen gelegt.

"Ich war wie im Film, kann mir bis heute nicht erklären, warum ich das getan habe", sagte die 53-Jährige vor dem Bamberger Amtsgericht. Bis zu diesem Fall war sie für die Justiz ein vollkommen unbeschriebenes Blatt. Auf der Suche nach einer Erklärung bringt Sabine K. vor, dass sie voller Nöte gewesen sei. Vielleicht habe sich da etwas "entladen".

Richterin Marion Aman erkannte zwar an, dass die Täterin durch den Tod des Lebensgefährten betroffen sei. Und dass eine "gewisse Enthemmung" der Frau durch den Medikamenten- und Alkoholkonsum eingetreten sei - Sabine K. hatte nach eigenen Angaben am Tatabend zum ersten Mal zwei Tabletten des Schmerz- und Beruhigungsmittels Tramadol eingenommen.

Dennoch: "Alkohol ist für Sie nichts Ungewöhnliches. Sie haben eine hilflose, gebrechliche Person in ihrer Wohnung zurückgelassen! Haben Sie schon mal daran gedacht, dass sie zu Tode hätte kommen können?", fragte Richterin Aman die Angeklagte.

Diese legte vor dem Schöffengericht ein Geständnis ab und beteuerte: "Ich werde mir nie verzeihen, dass sie das in ihrem Alter noch erleben musste."


Drei Jahre Gefängnis

Das Schöffengericht verurteilte die Täterin zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren; zudem darf sie zehn Monate nicht Auto fahren, und sie trägt die Kosten des Verfahrens.

Mehrmals während der Verhandlung bat Sabine K. die 78-jährige Gerti U. um Vergebung. Dies hat sie bereits in einem Brief getan, den sie der Seniorin aus dem Gefängnis geschrieben hatte. Doch die ältere Dame, die während ihrer Vernehmung nicht nur einmal tief hatte durchatmen müssen, wollte ihrer Peinigerin nicht ins Gesicht sehen.