Plädoyers im Chefarzt-Prozess ab nächster Woche?
Autor: Anna Lienhardt
Bamberg, Mittwoch, 21. Sept. 2016
Über sechs Beweisanträge ist noch nicht entschieden, doch der Richter deutete bereits an: So langsam könne man sich über die Plädoyers Gedanken machen.
Ganz am Ende kam die Überraschung - an Verhandlungstag Nummer 66 im bisher größten Prozess der Bamberger Justizgeschichte ließ der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt aufhorchen: Je nachdem, wie über die noch offenen Anträge entschieden werde, "kämen die Plädoyers in Betracht". Schmidt deutete in Richtung der Prozessbeteiligten an: Man könne anfangen, sich darauf vorzubereiten.
Sogar konkrete Daten nannte er. So könnte die Staatsanwaltschaft ihre Abschlussrede am 28. September vortragen, gefolgt von den Anwälten der mutmaßlichen Opfer und der Chefarzt-Verteidigung. Laut Schmidt sei der 4. Oktober eine "Option für die Plädoyers". Allerdings ist zu erwarten, dass diese sich über mehrere Verhandlungstage hinziehen werden. Als vorerst letzter Prozesstag steht der 12. Oktober im Raum.
Aber, und aus Sicht der Verteidigung ist es ein großes "aber": Noch ist über vier Beweisanträge nicht entschieden, und der Angeklagte selbst stellte direkt zwei weitere. Heinz W. möchte genau wissen, wer innerhalb der Justiz wann von welchem Bildmaterial Kenntnis erlangt hat. Der Angeklagte hat laut eigener Aussage Fotos aus dem Intimbereich von Frauen zu Forschungs- und Dokumentationszwecken angefertigt. Zudem würden laut W. die DNA-Spuren der Hauptzeugin an einer Packung mit Butt-Pluggs und an den "Analstöpseln" selbst beweisen, dass die Medizinstudentin sie in der Hand gehabt hätte. Nach einem Gespräch über eine Doktorarbeit sei W. davon ausgegangen, dass Einverständnis mit der Plugg-Untersuchung und deren Foto- und Videodokumentation bestanden habe.
Doch Rechtsanwalt Jürgen Scholl, der die Hauptzeugin vertritt, grätschte dazwischen: "Dass meine Mandantin nicht einverstanden war, besonders, weil sie gegen ihren Willen betäubt wurde, ist hier mehrfach klar geworden. Das Interesse an einer Doktorarbeit befähigt den Angeklagten nicht dazu, Sex-Spielzeug bei ihr einzuführen."
Etliche Anträge zurückgewiesen
Noch bevor es zu Diskussionen gekommen war, hatte Richter Schmidt eine Latte an Gerichtsbeschlüssen verlesen. Demnach soll unter anderem kein Sexualwissenschaftler als weiterer Gutachter beauftragt werden, denn die Frage nach einer möglichen sexuellen Motivation von W. sei für die Kammer in einer Gesamtschau zu klären.
Außerdem werden nicht sämtliche bisher veröffentlichte Medienberichte verlesen. Und: Die zwölf mutmaßlichen Opfer müssen nicht erneut vor Gericht erscheinen. Auch ein Glaubwürdigkeitsgutachten zu deren Aussagen lehnte die Zweite Strafkammer ab. Die Verteidigung geht davon aus, dass die Frauen durch die mediale Berichterstattung geprägt wurden - und zwar negativ in Bezug auf Heinz W. Gleichwohl merkte Richter Schmidt an, dass die Frage nach einem möglichen Einfluss durch die Medien immer wieder gestellt worden sei.
Er wies auch den Antrag auf Inaugenscheinnahme von weiteren 24 600 Bild- und Videodateien zurück. Der Angeklagte hatte sie als Chefarzt am Klinikum angefertigt, um Krankheitsbilder und -verläufe darzustellen. "Es gäbe keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Allein für das Ansehen bräuchten wir weitere 25 bis 30 Verhandlungstage", sagte Schmidt, der das Wort "Prozessverschleppung" in den Mund nahm.
Nach dem Vorlese-Marathon betonten der Angeklagte und sein Verteidiger Klaus Bernsmann erneut: Die im Verfahren gehörten Sachverständigen seien mit Themen betraut worden, deren Inhalte außerhalb ihrer Kernkompetenz lägen. "Wir müssen dringend echte Sachverständige heranziehen", forderte Bernsmann.
Der Prozess geht am kommenden Dienstag (27.09.16) um 10 Uhr weiter.