Pflege und Dienstpläne nach Maß
Autor: Jutta Behr-Groh
Bamberg, Mittwoch, 06. März 2013
Vor fast 20 Jahren gründete Sabine König in Bamberg den ersten privaten Pflegedienst. Heute arbeiten unter dem Dach der "visit"-Gruppe drei Unternehmen mit Stützpunkten auch in Forchheim und Nürnberg.
Um ihren Beruf als Krankenschwester mit der eigenen Familie - Mann und vier Söhne - besser vereinbaren zu können, machte sich Sabine König (damals Himmler) Ende 1994 selbstständig. Sie gründete den ersten privaten Pflegedienst in Bamberg und nannte ihn "visit". Die Bambergerin bewies Mut und Weitsicht: Ihr Unternehmen behauptete sich nicht nur auf einem Markt, in dem bis dahin ausschließlich die Wohlfahrtsverbände und Kirchen agierten, sondern es wuchs und wuchs und wuchs.
Was in einem gemieteten Ein-Raum-Büro an der Siechenkreuzung begann, "wo wir unsere Tässchen im Clo gespült haben" (Sabine König), entwickelte sich bis heute zu einer Firmengruppe mit drei Unternehmen und knapp 250 Beschäftigten: ambulante Pflege, soziale Dienste und "visit and care". Aus dem ambulanten Pflegedienst ist ein Dienstleister für fast alle Lebenslagen geworden.
Ein besonderes Geschäftsgeheimnis hat die "visit"-Gründerin nicht, aber wohl eine besonders feine "Antenne" für das, was die alternde Gesellschaft braucht. Und den Ehrgeiz, unbürokratische und individuelle Lösungen anzubieten. Den demografischen Wandel versteht sie als einen Markt, "in dem viele Ideen auf der Straße liegen". Sie scheint sie früher als andere zu erkennen.
Pflege- und Dienstleistungsangebote
Beispiel "visit und care", das jüngste Kind unter dem Dach der Unternehmensgruppe. Es verbindet Pflege- und Dienstleistungsangebote nach Wahl. Zielgruppe sind Selbstzahler, ob pflegebedürftig oder nicht. Sie können unterschiedlich geschnürte "Pakete" buchen, die zum Beispiel einen monatlichen Großeinkauf oder Behördengang beinhalten, eine Stunde zur freien Verfügung pro Monat, aber auch den wöchentlichen Anruf durch Mitarbeiter von "visit and care".
Entgegen den Erwartungen von Sabine König und ihrem Ehemann und Mitgeschäftsführer Peter sind es nicht die haushaltsnahen Tätigkeiten, die am stärksten gefragt sind. Der Renner sei, "dass einfach jemand kommt und da ist". Eigentlich "ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, wenn jemand Geld dafür bezahlt, dass jemand mit ihm Blumenpflücken auf einer Wiese geht", stellt die Geschäftsführerin fest. Einerseits. Andererseits findet sie es wichtig, dass dieser Bedarf gedeckt wird.
Ein unbürokratisches Netzwerk an Dienstleistungen anzubieten, das Patienten und deren Angehörigen hilft - so formuliert die "visit"-Gründerin ihr Selbstverständnis als Unternehmerin. So nahm man schon 1995 die Betreuung pflegebedürftiger und schwerstkranker Kinder in das Angebot auf; wenn nötig, werden Kinder rund um die Uhr betreut und auch in die Schule begleitet.
Eine junge Frau, die schon seit ihrem 13. Lebensjahr von "visit" betreut wird, wohnt neuerdings - durchaus wörtlich zu nehmen - unter dem Dach der Unternehmensgruppe, die Ende 2012 ein eigenes Firmengebäude an der Würzburger Straße bezogen hat. Die fünf Kleinstwohnungen wollte man ursprünglich an Studenten vermieten. Jetzt wohnen junge Erwachsene darin, die einer außerklinischen Intensivpflege bedürfen. Die meisten von ihnen müssen 24 Stunden medizinisch und pflegerisch betreut werden.
Marktlücke geschlossen
Es handelt sich um einen Personenkreis, für den es im Raum Bamberg keine Alternativen gibt. Bis zur Volljährigkeit können sie gewöhnlich in Behinderteneinrichtungen bleiben; nach dem 18. Geburtstag müssten sie im Grunde in ein Alten- oder Pflegeheim. So ist es eine Marktlücke mehr, die "visit" für die Region schließt. Pflegeprofis - nach Unternehmensangaben werden zu 98 Prozent Fachkräfte beschäftigt - kümmern sich Tag und Nacht um die Bewohner.
Vorübergehend lebt die an Multipler Sklerose leidende Bambergerin Elisabeth G. im "visit"-Haus. Obwohl sie nur noch den Kopf bewegen kann und auf fremde Hilfe angewiesen ist, wird sie bald wieder nach Hause können. Sabine und Peter König sind gerade dabei, für die MS-Patientin eine maßgeschneiderte Versorgung in deren eigenen vier Wänden aufzubauen.
Individuelle Wünsche versucht man bei "visit" auch den Beschäftigten zu erfüllen, was die Arbeitszeit angeht. "Wir arbeiten mit Wunschdienstplänen", erläutert die Chefin. Flexible Einsatzzeiten gehören zu ihrer Unternehmensphilosophie. Schließlich waren es die eigenen Erfahrungen mit unflexiblen Dienstplänen in einem Krankenhaus, die die vierfache Mutter bewogen haben, sich selbstständig zu machen.
2008 und 2012 wurde das Bamberger Unternehmen als einer der besten Arbeitgeber in Deutschland ausgezeichnet. Die Stadt nominierte "visit" heuer für den Oskar-Patzelt-Preis, einen begehrten Wirtschaftspreis für mittelständische Firmen.
Die Aufgaben an der Spitze der Unternehmensgruppe sind klar aufgeteilt. Sabine König (54) hat das fachliche Knowhow von der Pike auf gelernt. Ihr Ehemann Peter ist für alles Kaufmännische, die strategische Geschäftsentwicklung und das Marketing zuständig. In der Pflege ist der 53-Jährige ein Quereinsteiger. Nach einem technischen Studium war er im Management eines internationalen Konzerns tätig. In der Firma seiner Frau betrat er Neuland. Und es klingt begeistert, wenn er sagt: "Es war eine ganz andere Kategorie Mensch, die da auf mich zugekommen ist."
Der ambulante Pflegedienst, die Basis von "visit", ist derzeit mit etwa 160 Patienten ausgelastet. Gut gefüllt ist wenige Wochen nach der Inbetriebnahme die jüngste Einrichtung, eine Tagespflege im Erdgeschoss des Firmensitzes: Elf von 16 Plätzen sind belegt.