Pelzig bringt alles unter einen Cordhut
Autor: Günter Flegel
Würzburg, Freitag, 28. April 2017
Erwin Pelzig will nur noch "Weg von hier". Warum der Kabarett-Star trotzdem bleibt, erklärt sein Erfinder Frank-Markus Barwasser.
Infranken: Sehr geehrter Herr Barwasser, nach dem Ende von "Pelzig hält sich" beim ZDF hat man längere Zeit nichts von Ihnen gehört. Wie haben Sie die Pause genutzt?
Frank-Markus Barwasser: Ich bin vor ziemlich genau einem Jahr Vater geworden. Von einer Atempause würde ich also nicht sprechen. Aber es ist wunderbar und ich bin sehr froh, mir diese Zeit zu nehmen für unseren kleinen Sohn. Aber bitte wählen Sie nicht die Überschrift: Pelzig ist Vater. Nein, ist er nicht. Ich bin's. Barwasser.
Wie geht es Ihnen heute, nach dem Start Ihres neuen Bühnenprogrammes - hat ein Profi auch nach so langer Zeit immer noch Lampenfieber?
Klar, das hört nie auf. Ich bin auch überzeugt, dass es absolut notwendig ist, um die richtige Betriebstemperatur zu haben, wenn du auf die Bühne gehst. Fiebern sollst du und möglichst auch Hunger haben, dann läuft"s.
Weg von hier ist ein vielschichtiger Titel - was erwartet die Besucher? Und umgekehrt: Was erwarten Sie? Ist die Live-Präsenz nach der Fernsehzeit so etwas wie eine Frischzellenkur für Sie?
Weg von hier, das beschreibt eine Haltung, die ich beobachte. Viele würden am liebsten weg von hier, weil alles so bedrohlich erscheint. Manche flüchten ja auch in gefühlte Wirklichkeiten oder in Ermangelung einer religiösen Überzeugung in Verschwörungstheorien - oder einfach nur in die Neo-Romantik des Manufactum-Katalogs. Aber klar, ein Pelzig geht nicht. Der bleibt und kämpft sich tapfer durch, das ist ja sein Job. Eine Frischzellenkur ist es nicht gerade, ein neues Programm zu schreiben. Da ist der Zweifel dein ständiger Begleiter, was manchmal wirklich anstrengend ist. Nicht nur für mich, auch für die armen Menschen, die mit mir zu tun haben müssen.
Sie gelten als Künstler, der akribisch plant und sich sorgfältigst vorbereitet. Das war ja auch das Markenzeichen von Pelzig (unter)hält sich. Wie oft mussten Sie das neue Bühnenprogramm schon umschreiben, nachdem weltweit Dinge passieren, mit denen kaum jemand gerechnet hat; denken wir etwa an Trump ...
Natürlich ist Trump ein Thema. Aber Trump ist mit seinen Tweets, Lügen und seinen auch sonst wirren Aussagen thematisch und künstlerisch keine große Herausforderung - zu einfach, da sind sich schnell alle einig. Aber Trump ist ja auch nicht die Ursache eines Problems, sondern nur seine Auswirkung. Genau darum wird es auch gehen, also um Ursachen und Wirkung. Warum der hemmungslose Hass im Netz? Warum der Wahlerfolg von autoritären Führerfiguren? Warum Trump?
Natürlich gibt es in meinen Programmen immer Passagen, in denen ich auf aktuelle Entwicklungen eingehen kann. Aber ich werde ja auch gerne mal grundsätzlich und laufe nicht unbedingt jeder Sau hinterher, die durchs Mediendorf getrieben wird. Also muss ich auch nicht ständig umschreiben. Aktualisieren und erweitern muss ich hingegen schon.
Frage an einen Kabarettisten, der 1993 zum ersten Mal auf der Bühne stand, als Kohl Kanzler war und Clinton (Bill) US-Präsident wurde: War es vor 20 Jahren leichter, Kabarett zu machen, weil man Politik damals noch ernster nahm? Oder anders gefragt: Ist die Welt wirklich so schlecht geworden?
Ach je, die Welt war bestimmt nie weniger schlecht. Wir haben nur manches nicht gewusst oder auch nicht wissen wollen. Im Moment scheint es schon so zu sein, dass sich die politischen Verhältnisse grundsätzlich ändern könnten. Die Nachkriegs-Generation Ü50 hatte hierzulande nun mal ziemliches Glück bislang. Dass sich jemand wie Trumps Chefberater Steve Banon in fünf bis sieben Jahren einen Krieg mit China wünscht, so etwas hat es nach meiner Erinnerung aber länger nicht gegeben. Nein, ernster als jetzt habe ich Politik noch nie genommen. Unsere Themen vor 20 Jahren waren eher harmloser. Wir Kabarettisten haben es uns dabei möglicherweise zu einfach gemacht, auch weil es uns Kohl und Clinton so einfach gemacht hatten.
Sie haben wiederholt gesagt, dass Pelzig für Sie sehr nützlich ist - als perfekte Tarnung und als Alter Ego, das sich Dinge traut, die Barwasser nie machen würde. Ist das so geblieben - trotz Terrorangst und Erdogans Tiraden etwa gegen den Kollegen Böhmermann, den Sie ja sehr schätzen? Geht Pelzig heute mit Beißhemmung an bestimmte Themen ran?
Ich verspüre keine Beißhemmung, eher im Gegenteil. Kabarettisten müssen zuspitzen, verdichten und dürfen auch polemisieren. Bis jetzt verspüre ich auch noch keine Angst, zum Beispiel von Erdogan-Sympathisanten etwas auf die Nase zu bekommen, wenn ich etwas über ihr Idol sage. Das Problem ist für mich nicht die Beißhemmung. Das Problem ist die Frage, wie werde ich bei aller notwendigen Zuspitzung der Komplexität mancher Themen gerecht? Was meine Arbeit angeht, betrachte ich diese Zeit - natürlich subjektiv - nicht als schlechter, nur als sehr viel anspruchsvoller.
In der Anstalt war zuletzt immer wieder DER FLÜCHTLING das Thema. Sie werden in einem Programm, das Weg von hier heißt, sicher nicht an dem Thema vorbei gehen. Wenn man, wie von Pelzig zu erwarten, in die Tiefe des Problemes geht und die Ursachen von Flucht und Kriegen und die vielfältigen Verstrickungen aufdröselt, wird es schnell unübersichtlich und unappetitlich. Wie viel Wahrheit verträgt Kabarett? Wie halten Sie die Balance, dass das Lachen vielleicht schon mal im Halse stecken bleibt, aber dann doch wieder rauskommt?
Mit dem Begriff der Wahrheit tue ich mir schwer, aber gut, verwenden wir ihn mal. Kabarett verträgt die Wahrheit, beziehungsweise das, was ich dafür halte, unbegrenzt. Die Frage ist, wie viel Wahrheit der Zuschauer ertragen kann und will. Ich beobachte beim Publikum allerdings ein zunehmendes Bedürfnis nach Antworten, Erklärungen und, ja, noch so ein großes Wort, Aufklärung. Und Unterhaltung. Das alles unter einen Hut zu bekommen, ist manchmal schwer. Die Kunst ist es immer, klare Bilder zu schaffen, die deutlich sind und etwas erklären. Da hilft so eine Kunstfigur wie Pelzig sehr.
Ihre Kunstfigur Erwin Pelzig hat in den letzten Jahren eine erstaunliche Verwandlung mitgemacht. Die notorisch nörgelnde Nervensäge bohrt sich mit gescheiten Fragen tief in die Eingeweide dieser Welt. Jetzt hatte Pelzig lange Ruhe. Wie kommt Pelzig aus dem Offside zurück - ist er reifer, erwachsener geworden? Böser? Zynischer? Desillusioniert?
Die Zeit hat für Pelzig nicht gereicht, um reif zu werden. Oder Gott sei Dank. Im neuen Programm wird es ja auch um die Zeit der Aufklärung gehen. Das beschäftigt mich gerade sehr. Ich hoffe, ich kann einlösen, was ich mir vorgenommen hatte: nicht noch böser oder zynischer zu sein, sondern gründlicher.
Und was ist aus den beiden Herren geworden, die Pelzig auf der Bühne und im Radio stets begleitet haben: Hat Dr. Göbel noch mehr Weisheit mit dem Löffel gefressen und Hartmut noch mehr stille Wut auf die Ungerechtigkeit dieser Welt?
Dr. Göbel hat einen großen Auftritt, aber mehr verrate ich nicht. Klar, die beiden sind wie immer mit Pelzig an Bord. Das ist einfach ein perfektes Trio, um drei Sichtweisen zu zeigen. Naja, und Hartmuts Wut bezog sich schon immer mehr auf die zu hohen Benzinpreise und weniger auf die Ungerechtigkeit der Welt. Das ist ja eher Pelzigs Thema.
Als wir uns kurz vor Ihrem 50. Geburtstag unterhalten haben, bekannten Sie, dass Pelzig Ihnen immer ähnlicher wird, etwa alterstechnisch. Bei "Pelzig hält sich" fiel zuletzt auf, dass Pelzigs Fränkisch immer hochdeutscher wurde, so als hätte sich diese Figur von ihrer Herkunft emanzipiert, sozusagen fränkisch globalisiert. War das so beabsichtigt?
Mundartpflege war nie Pelzigs wichtigstes Anliegen. Die Mundart gab und gibt ihm jedoch Charme und Farbe. Aber die meisten Texte funktionieren in hochdeutscher Schriftform genauso, einige sogar besser. Ich habe den Dialekt nie bewusst oder aus Rücksichtnahme abgeschwächt. Das ist wohl unbewusst passiert. Wenn ich frühe Manuskripte mit den heutigen vergleiche, dann merke ich auch, dass ich damals mundartlich gefärbt geschrieben habe. Das mache ich heute eigentlich fast nur noch beim Hartmut. Insgesamt hat sich Pelzig wohl eher an Barwasser angenähert als umgekehrt. Ist mir auch lieber so als anders herum ...
Sowohl beim Ausstieg aus der Anstalt als auch beim Ende von Pelzig hält sich war das Bedauern des Publikums groß. Sie entschieden sich für die Veränderung aus freien Stücken und auf dem Zenit des Erfolges. Haben Sie das Eine oder das Andere im Nachhinein bedauert? Wird es eine Renaissance des pelzigen Talk-Formats geben - es tauchen ja so viele interessante neue Gesprächspartner auf ...
Klar, manchmal juckt es schon. Aber bedauert habe ich keine dieser Entscheidungen. Da lag ich mit meinem Bauchgefühl immer richtig. Ein neues, regelmäßiges Talk-Format mit Pelzig ist nicht geplant. Ich bin aber mit dem ZDF in gutem Kontakt. Mal sehen...
Im Augenblick kümmere ich mich vor allem um das neue Bühnenprogramm. Das ist der Boden unter meinen Füßen. Danach lasse ich alles auf mich zukommen. Ich würde nichts ausschließen, nur die Autobiographie von Pelzig, die wird es nicht geben. Darin liegt ja der Reiz der Figur, dass man so wenig über sie weiß.
Als Vertreter eines klassischen Zeitung komme ich nicht um die Feststellung herum, dass der Job schwieriger geworden ist: weil so viele neue Wirklichkeiten in den sozialen Netzwerken stattfinden; weil die wirtschaftliche Grundlage des Journalismus" immer dünner wird; weil DER LESER, den man erreichen will, immer diffuser ist. Geht es Ihnen mit DEM ZUSCHAUER ähnlich?
Nein, das kann ich so nicht bestätigen. Aber das Kabarett versammelt eine insgesamt viel homogenere Gemeinde um sich, als es einer Tageszeitung oder einem anderen Medium möglich ist. Das ist ja auch die Schwäche des Kabaretts und ein Vorwurf, der ihm zurecht gemacht wird, letztlich nur die Gleich- oder ähnlich Denkenden zu vereinen, die sich gegenseitig bestätigen. Im Grunde ist das dann auch so eine Filterblase, von der sonst nur im Kontext der sozialen Medien gesprochen wird. Ich versuche zwar schon, das zu brechen, aber das Grundproblem bleibt.
Wie denken Sie darüber, dass einige Ihrer Kollegen vom Kabarett in die Politik gewechselt sind? Ihren ZDF-Kollegen von der Heuteshow geht dadurch ja langsam das Personal aus.0
Es gibt tatsächlich immer wieder Menschen, die mir schreiben und fragen, warum unsereiner nicht in die Politik geht. Das ist so ähnlich, wie wenn man den Literaturkritiker fragt, warum er selbst kein Buch schreibt und den klugen Leitartikler darum bittet, endlich das Problem mit Nordkorea aus der Welt zu schaffen. Abgesehen davon habe ich ja einige Politikerinnen und Politiker kennenlernen dürfen. Ich bin mir sicher, nicht wenige sind mit einem hohen Anspruch angetreten. Die Mühsamkeit der Realität hat sie dann abgestumpft oder desillusioniert. Viele merken es gar nicht und reden sich ihr politisches Dasein schön. Da hat es der Kabarettist einfacher. Ottfried Fischer sagte mal: Die Aufgabe des Kabarettisten ist die Benennung des Widerspruchs, nicht dessen Auflösung. Prima, oder? Da sind wir doch fein raus!
Erlauben Sie mir am Schluss eine Frage an Pelzigs Ziehvater, den Journalisten Barwasser: Presse-Schelte ist ja eine Zeiterscheinung, die inzwischen in den höchsten Ämtern angekommen ist. Ich werde Trumps Namen jetzt wieder ausdrücklich nicht erwähnen. Sind die Medien wirklich so schlecht, was können sie besser machen? Wird eine Welt, in der sich jeder seine eigene Wahrheit (alternative Fakten) selbst zusammenschustert, für die Medien undurchschaubar und für die Politik unregierbar?
Wenn es irgendwann nicht mehr gelingen sollte, sich auf ein paar gemeinsame Tatsachen zu einigen, wenn alles zur reinen Ansichtssache wird, dann könnte es für Politik, Journalismus und Wissenschaft schwierig werden. Dann ist keine Grundlage mehr da, auf der ein Diskurs geführt werden kann. Aber eine befriedigende Antwort würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Das ist schon eher Thema für eine Doktorarbeit. Die Antwort auf die angesprochenen Probleme kann für mich nur lauten: mehr Journalismus. Gründlicher Journalismus. Mehr Distanz zwischen Politik und Journalismus. Aber Medienhäuser sind ja profitorientierte Wirtschaftsunternehmen und die Arbeitsbedingungen der schreibenden und sendenden Zunft verschlechtern sich aus Kostengründen seit Jahren. Das geht auf Kosten der Gründlichkeit. Im Zeitalter der Informationskriege und einer wachsenden PR-Industrie, welche die Medien zu unterwandern versucht, ist das keine gute Entwicklung.
Ich danke für Ihre Geduld und wünsche Ihnen beruflich und privat alles Gute, stets die richtige Entscheidung zur rechten Zeit und für die Bühne Doi Doi Doi !
Pelzig live
Biografie Frank-Markus Barwasser wurde am 16. Februar 1960 in Würzburg geboren. Nach einem Zeitungsvolontariat und dem Studium in München und Salamanca arbeitete er beim Bayerischen Rundfunk. 1993 stand er erstmals als Erwin Pelzig auf der Bühne.Tournee Das neue Bühnenprogramm "Weg von hier" läuft mindestens bis Ende Dezember. Die nächsten Termine in Franken sind: 3. Mai Aschaffenburg, 5. Mai Schwabach, 18. Juni Fürth,
5. Juli Kitzingen, 6. und 7. Juli Veitshöchheim. Info: www.pelzig.de gf