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Patagonien: ein Reich aus Stein und Eis


Autor: Christian Reinisch

Punta Arenas, Freitag, 15. März 2013

Endlose Gletscher, tiefe Fjorde, bizarre Felsnadeln: der "wilde Süden" Südamerikas ist ein gewaltiges Naturparadies. Wanderer finden in den Nationalparks in Chile und Argentinien faszinierende Möglichkeiten.
Majestätischer Gipfel in rauem Klima: Der Cerro Fitzroy ist mit 3445 Meter Höhe der unbestrittene König der Gletscherwelt an der Grenze zwischen Argentinien und Chile. Foto: cri


Schon der Flug von Santiago hinunter in den "Großen Süden", wie die Chilenen ihren Teil Patagoniens nennen, ist eine Augenweide. Bei klarer Sicht zeigen sich die Bergriesen der Anden in all ihrer erhabenen Pracht. Ein halbe Flugstunde südlich von Puerto Montt beginnt dann das ewige Weiß: die endlosen Gletscherfelder des sogenannten patagonischen Inlandseises leuchten in den Himmel. Nur Arktis und Antarktis verfügen über noch größere Eismassen als Patagonien - und obendrein sind Südamerikas Gletscher weltweit praktisch die einzigen, die dem Klimawandel noch trotzen.

Am spektakulärsten sind die Stellen, an denen die Gletscher ins Wasser stürzen - und wer Glück hat, kann sie beim Kalben beobachten. Dann fällt einer der bis zu 80 Meter hohen Eistürme krachend in sich zusammen und treibt eine Flutwelle hinaus auf den See, der sich aus dem ewigen Eis speist. Der bekannteste und am leichtesten zugängliche Gletscher ist der Perito Moreno auf der argentinischen Seite der patagonischen Anden. Hier wurde eine Art Tribüne am Ufer des Lago Argentino errichtet, von der man hinüberschauen kann auf die kobaltblau schimmernde Eiswüste. Ausflugsboote stehen bereit, um sich der Eiswand auf dem Wasserweg zu nähern - allerdings mit gehörigem Respektsabstand. Man weiß ja nie...



Traumkulisse Torres del Paine
Aber es gibt natürlich auch viel einsamere, wenn auch nicht so bequeme Wege zu den eisigen Naturwundern wie die von Touristenbussen vielbefahrene Straße von El Calafate zum Perito-Moreno-Gletscher. Für Wanderer bieten vor allem die Nationalparks faszinierende Möglichkeiten - von der Tagestour bis hin zum anspruchsvollen Zehn-Tage-Trekking. Ein Naturparadies der besonderen Art sind die Torres del Paine in Chile - und zwar nicht allein wegen der grandiosen Kulisse, zu der sich die über 3000 Meter hohen, im Morgenlicht rötlich schimmernden Granitfelsnadeln des Gipfelplateaus fügen. Dort suchen Extrembergsteiger aus aller Welt ihren Kick. Aber in der grandiosen Landschaft aus Fels, Eis und Urwald, umgeben von fjordartig mäandernden Seen findet auch der über normale Kondition verfügende Wanderer alles, was das Herz begehrt.

Die Wege in den Torres del Paine sind gut markiert, und wer Zelt und Proviant zu tragen in der Lage ist, der findet sich auch ohne Bergführer gut zurecht. Allerdings ist Patagonien klimatisch ein raues Land, ein steifer Wind ist ständiger Begleiter - und an manchen Tagen finden alle Jahreszeiten gleichzeitig statt, man gerät nahtlos von Schweiß treibendem Sonnenschein in Nebel und Schnee. Dabei setzt die Natur der Abenteuerlust auch Grenzen: Wir hatten uns vorgenommen, den "Circuito" zu gehen - also die große Runde um die Torres. Aber es war November, also Frühling auf der Südhalbkugel. Der Winter zuvor war hart und lang, viele Wege verschüttet oder weggespült, und die Parkwächter hatten den zentralen Übergang über den John-Garner-Pass sperren lassen.
Traumreise Chile at sellaround.net
Die Alternative, die sogenannte W-Tour (weil der Wegverlauf auf der Landkarte aussieht wie ein großes W), war zwar kürzer, aber spannend genug. Und belohnte uns am Ende mit dem Anstieg zum Grey-Gletscher, dem man sich einen halben Tag lang nähert, ehe der Weg an der Seite des Gletschers steil in die Höhe geht. Irgendwo dort oben liegt der spartanisch ausgestattete Zeltplatz Los Guardas, zu dem sich nur wenige Trekker verirren. Aber eine stillere Sternennacht mit Aussicht auf den blau schimmernden Gletscher nebenan ist kaum vorstellbar!
Auch auf der argentinischen Seite gibt es ein ähnlich bizarres Bergparadies aus Eis und Fels.

Der Name des Nationalparks sagt schon alles: "Glaciares" - die Gletscher. Das Pendant zu den Torres del Paine ist der 3450 Meter hohe Cerro Fitzroy und dessen Nachbar, der unter Kletterern berühmt-berüchtigte Cerro Torre. Das Fitzroy-Massiv ist noch etwas höher, noch zerklüfteter, noch abweisender. Es versteckte sich drei Tage lang vor unseren Blicken. Nebel, dicke Wolken, ein immer stärker brausender Sturm und nadelartig peitschende Eiskörner waren unsere Begleiter beim Aufstieg zum Basislager am Fuß des Cerro Fitzroy. Der Zeltplatz Campamento Poincenot bot Schutz vor dem Orkan, aber auch dort fanden wir uns am nächsten Morgen unter einer dicken Schneedecke. Dafür war der Himmel in Bewegung, und beim Aufstieg über die verwehten Flanken des Gebirgsstocks zeigten sich endlich hinter wabernden Nebelschwaden die mächtigen Felsklötze des Fitzroy. Ein Anblick, der Lohn genug ist für alle alpinistischen Anstrengungen.

Patagonien - das ist ein Land der Kontraste. Spektakuläre Gebirge wie Fitzroy und Torres del Paine sind das eine Extrem, das andere findet sich in den endlosen Weiten, den Mühen der Ebene. Aber es sind genau diese Kontraste aus wilden Bergen und weiten Ebenen, die diesem fast menschenleeren Land seinen ganz urtümlichen Reiz verleihen. Dort unten, am anderen Ende der Welt.