Nur ein Unfall bringt Erlösung
Autor: Christoph Hägele
Bamberg, Montag, 07. Oktober 2019
Wer richtig leben will, muss dem Tod erst tief ins Gesicht geschaut haben. Mit dem furiosen Stück "dosenfleisch" eröffnet das Bamberger Theater im Gärtnerviertel (TiG) die neue Saison.
Für einen Spielort entscheidet sich das Theater im Gärtnerviertel (TiG) nicht, weil er gerade zu haben ist und günstig noch dazu. Mit seiner Aura und Geschichte stattdessen soll der Spielort den Hallraum des Stückes erweitern, um eine auch körperlich erfahrbare Dimension.
Die Zuschauer am Freitagabend brauchten lediglich feine Sinne und etwas Fantasie, um den Geruch von Gummi und Öl in der Nase zu haben. Für "dosenfleisch", das erste Stück der neuen Saison, hat das TiG die erst jüngst aufgegebenen Räume eines Geschäfts für Auto- und Motorradzubehör bezogen. Von einem schmückenden Bühnenbild sah Regisseurin Alice Asper ab. Die morbide Aura von Stück und Spielort verstärkte dieser Verzicht nur noch.
So bespielte das Ensemble mit den Räumen des aufgegebenen Geschäfts eine Schädelstätte des automobilen Zeitalters. Dass passt zum Stück. Das passt auch zum gegenwärtigen Debattenklima.
Das Auto ist verdächtig geworden. Seit seiner Erfindung durch Carl Benz im Jahre 1886 war es nicht nur Quelle nationaler Identität, sondern auch gesellschaftlichen Wohlstands. Heute hängt am Auto der Pesthauch des Betrugs, es wird gegeißelt als Klimakiller und in Form des SUV als Symbol gesellschaftlicher Spaltung.
Bei Lichte besehen war das Auto von der Stunde seiner Erfindung an beides: Garant von Freiheit, Ursache von Entfremdung. Diese Doppelbedeutung spiegelt der österreichische Autor Ferdinand Schmalz in seinem Stück "dosenfleisch" auf sprachmächtige und schwarzhumorige Weise.
Mit Dosen gemeint sind Autos, mit Fleisch die Menschen darin. Fleisch in Dosen ist auch der Fernfahrer, den Stephan Bach zwischen Gereiztheit und Erschlaffung flackern lässt. Sein Beruf und dessen Zwänge, die lebenszeitfressenden Staus und der rasende Stillstand auf den Autobahnen entkoppeln ihn von seinen Gefühlen und Bedürfnissen. Statt mit seiner Frau daheim ins Bett zu gehen, muss er auf einem Parkplatz unter Zuhilfenahme von Schmuddelheftchen "die Einsamkeit verreiben".